Gipfel der Gefühle © K. Glas

Drunter und Drüber - Schritte aus dem Wirrwarr der Gefühle

17.05.2011


Geht es Ihnen manchmal auch so? Gerade waren das Leben und Ihre Gefühlswelt noch in Ordnung. Plötzlich fühlen Sie sich niedergedrückt oder aggressiv, gehetzt oder voller Angst – oder alles zusammen. Es ist, als ob sich eine dunkle Wolke über alles gelegt hätte, was gerade noch lebenswert oder schön oder normal aussah.

 

Meine Freundin hat es so beschrieben: "Gerade stehe ich im Garten und freue mich an der neu aufgeblühten Pfingstrose: tiefrot. Ich höre – nur im Unterbewusstsein –, dass das Auto des Nachbarn vorfährt und aus dem Haus Streitgetöne unserer Kinder dringt. Ich frage mich: Wie kann sich die Schönheit meiner Pfingstrose so schnell wandeln? Warum sehe ich plötzlich das viele Unkraut und die schlecht gepflegten Beete? Eben war doch in meiner Seele ein tiefer Friede dabei, sich auszubreiten. Von einem Moment auf den anderen: alles weg!

 

Mit bleischweren Füßen verlasse ich den Garten, schleppe mich ins Haus und stelle mich unwillig diesem schweren Leben. Erst später am Abend, als ich allein in der Sofa-Ecke sitze, wird mir bewusst, was den raschen Stimmungswandel herbeigeführt hat: Vor dem Nachbar habe ich langsam Angst; sobald er zu Hause ist, ist es mit unserer Ruhe vorbei. Er findet immer etwas an uns oder an unserem Garten auszusetzen und betätigt sich oft mit dröhnenden Maschinen, was mich regelrecht stresst. Und dass die Kinder in letzter Zeit so oft streiten, verträgt sich schlecht mit meinem Harmoniebedürfnis. Wenn sie sich in die Haare bekommen, denke ich: Was habe ich nur falsch gemacht?!"

 

Arten von Gefühlen

Gefühle sind momentane subjektive Empfindungen. Sie können angenehm oder unangenehm sein und unterschiedlich stark. Man spricht von Grundgefühlen – Wut, Angst, Ärger, Trauer, Freude – und von einer Reihe weiterer Empfindungen wie Schuldgefühle, Schamgefühle, Minderwertigkeitsgefühle, verletzte Gefühle, Neidgefühle, Selbstwertgefühle, Liebesgefühle, Lustgefühle, Mitgefühl, Bauchgefühl, Glücksgefühl.

 

Wie Gefühle entstehen

Täglich findet in jedem von uns viele Male ein "Kreislauf" statt, dessen wir uns meist gar nicht bewusst sind: Eine Situation, ein Ereignis tritt ein und ruft Gedanken in mir hervor. Daraufhin entsteht eine chemische Reaktion im Gehirn. Diese löst ein Gefühl in mir aus, sendet mir meine Empfindung gegenüber dieser Situation, diesem Ereignis. Diese Empfindungen bzw. Gefühle rufen weitere ähnliche Gedanken hervor, die wiederum eine chemisch-emotionale Reaktion bewirken usw. Und das alles in ein paar Millisekunden.

 

Unsere Gefühle entstehen dadurch, dass wir Situationen deuten und bewerten. Mein Vordermann im Auto würgt den Motor ab, nachdem die "langsame" Ampel endlich auf grün gesprungen ist. Nach längeren Versuchen springt sein Auto wieder an, er kommt gerade noch über die Ampel. Bei mir schaltet sie wieder auf rot. Ich ärgere mich. – Hinter diesem Gefühl steht die Bewertung: "Das ist unfair! Warum ich und nicht er?! Wegen einem anderen komme ich jetzt zu spät!"

Das Gefühl der Angst entsteht, wenn wir Situationen oder Menschen als gefährlich ansehen und überfordert sind, auf diese Situationen oder Menschen angemessen zu reagieren.

Trauer empfinden wir, wenn wir etwas, von dem wir überzeugt sind, es für ein gutes Leben zu brauchen, unwiderruflich verloren haben.

 

Vorsicht vor der Mischung

Die Schwierigkeit liegt darin, dass wir im Alltag oft Gefühle und Gedanken vermischen. Gedanken aber können subjektiv sein und entsprechen häufig nicht den Tatsachen. Es kann sein, dass wir unter- oder übertreiben. Schauen wir folgende Situation an: Ich stelle eine Frage – mein Mann schweigt. Ich werte dieses Schweigen als Desinteresse, aber er überlegt erst noch. Ich folgere: Meine Frage interessiert ihn nicht, ich interessiere ihn nicht! Früher war alles besser zwischen uns, aber jetzt? Er frühstückt einfach genüsslich weiter und hat offenbar keine Ahnung davon, dass ich gerade den Niedergang unserer Ehe "festgestellt" habe ...

Negative Gedanken lösen negative Gefühle aus. Negative Gefühle schränken meine Entfaltungsmöglichkeiten ein, während positive Gefühle neue Entfaltungsmöglichkeiten erschließen.

 

Wie können diese negativen Gefühle vermieden werden? Indem ich beim nächsten Mal das Schweigen meines Mannes nicht sofort bewerte, sondern einfach mal abwarte und – wenn dann gar nichts kommt – nachfrage: "Wie soll ich das jetzt verstehen?" Dann hat er die Möglichkeit, sein Schweigen zu deuten. Vielleicht sagt er: "Ich weiß es (noch) nicht; ich bin gerade mit etwas ganz anderem beschäftigt." Oder: "Ich sage es dir später, wenn ich mich entschieden habe; im Moment bin ich noch nicht so weit."

 

Unsere Gefühle werden – unabhängig davon, ob unsere Gedanken den Tatsachen entsprechen oder nicht – automatisch wach, als Folge unserer Gedanken. Sowohl gute als auch schlechte Gefühle können unsere "Freunde" sein, wenn wir die Botschaft entschlüsseln, die sie in sich tragen. Gute Gefühle setzen Freude frei, lösen Hoffnung und Bestätigung aus. Negative Gefühle dienen als Warnsignale, dass etwas in unserem Leben nicht so ist, wie wir es uns wünschen, dass hier ein Gebiet aufgetaucht ist, das noch auf Gestaltung wartet – wie ein leerer Acker oder ein Acker voller Unkraut, der sich zum Prachtacker entwickeln will. Für mich war eine Erkenntnis hilfreich: Gefühle, die mir zu schaffen machen – Wut, Ärger, Neid –, kommen nicht hoch, um mich zu blockieren, sondern sie sind wie Hinweis- oder Warnschilder und damit ebenso "Freunde" wie gute Gefühle.

 

Ich kann meine Gefühle beeinflussen
Von Geburt an haben wir Gefühle, aber den Umgang mit ihnen müssen wir ein Leben lang einüben und lernen. Ja, wir können unsere Gefühle beeinflussen, wir sind ihnen nicht hoffnungslos ausgeliefert. Eine Möglichkeit ist zum Beispiel der Umgang mit der eigenen Stimme, wie Dr. Rolf Merkle festgestellt hat. Wenn ich mich selber fertig mache: "Wie konnte ich nur, ich Idiot!", dann klingt meine Stimme ärgerlich, aggressiv, barsch. Wenn ich denselben Satz betont langsam oder schmeichlerisch oder mit besonders hoher oder besonders tiefer Stimme ausspreche, schwächt dies die Wirkung der harschen Worte ab – und damit auch deren schädlichen Einfluss auf mein seelisches und körperliches Befinden.

Das Gleiche gilt, wenn ich auf andere wütend bin. Auch hier kann ich durch den Klang meiner Stimme meinen Gefühlen ein Stück weit die negative Energie entziehen.

 

Eine andere Möglichkeit, meine Gefühle positiv zu beeinflussen, ist die Veränderung meiner äußeren Haltung. Das kennen wir alle: Wenn wir traurig sind, sind unsere Schultern ein wenig nach vorne gebeugt, unser Gang wird schleppend und wir schauen eher nach unten. Schauen wir stattdessen nach oben in den blauen oder auch andersfarbigen Himmel und straffen unsere Schultern, ist unser Problem zwar nicht gelöst, aber wir gehen anders darauf zu. Ich fühle mich gelangweilt, wenn ich eine gelangweilte Körperhaltung einnehme, und ich fühle mich energiegeladen, wenn ich eine konzentrierte, wache, neugierige Haltung einnehme. Das ist der kleine, oft gut funktionierende Trick bei den Hausaufgaben: Wenn mein Sohn – oder auch ich – völlig „abschlaffen“, stellen wir uns vor, diese jetzt noch zu bewältigende Aufgabe wäre total interessant, wir wären an einem Forschungsprojekt, auf dessen Ergebnis die Welt voller Verlangen wartet; dann geht es mit den Aufgaben plötzlich wieder energiegeladener, interessierter und vor allem zügiger weiter.

 

Hilfreich sind auch positive Formulierungen. Unser Gehirn kann das Wort "nicht" nicht verarbeiten. Wenn ich Ihnen sage: "Denken Sie jetzt bitte in den nächsten paar Minuten nicht an ein rotes Auto!", werden Sie mit Sicherheit an ein rotes Auto denken. Wenn ich mir also sage: "Ich will keine Angst haben!", versteht mein Gehirn nur: "Ich will Angst haben". Sage ich mir: "Ich will mich nicht ärgern!", versteht es: "Ich will mich ärgern". Also ist es hilfreich, positiv zu formulieren, zum Beispiel: "Ich will gelassen bleiben. Ich will ruhig bleiben."

 

Pater Kentenich wusste um diesen Zusammenhang. Deshalb riet er, Vorsätze positiv zu formulieren: "Ich will ehrlich sein!" statt: "Ich will nicht lügen!" Dasselbe gibt auch der Formulierung eines persönlichen Lebenszieles, eines persönlichen Ideals Kraft: "Ich will Brücke sein!" Oder: "Ich will allen alles werden!" Oder: "Ich will das Leben tanzen!" Diese Botschaften versteht mein Gehirn und hilft mir bei der Umsetzung.

 

Und was, wenn die Gefühle monatlich durchdrehen?

Kennen Sie das auch? An mindestens zwei, drei Tagen im Monat hängt der Gefühlssegen schief. Empfindlich wie ein rohes Ei, gedämpfte Stimmung; was gestern noch bunt und leuchtend aussah, sieht heute grau bis schwarz aus ... Wir Frauen haben nicht nur einen Zyklus, wir sind zyklisch; da gibt es ein ständiges Auf und Ab wie bei den Wellen des Ozeans.

 

In der Bibel im Alten Testament stehen Aussagen wie: Die Frau sei während ihrer Periode "unrein" und solle sich von der Gemeinschaft fernhalten. Als Jugendliche fand ich das total ungerecht – ein deprimierender Vorgang, in ohnehin schwierigen Tagen auch noch ausgeschlossen zu werden. Unser dreijähriger Afrika-Aufenthalt lehrte mich jedoch, die Sache von einer anderen Seite zu sehen. Bei manchen Stämmen, in denen die Frauen schwere körperliche Arbeit zu leisten haben, bedeutet das "Unreinsein" nicht Ausgrenzung, sondern Schonzeit – dass die Frauen das Recht haben, weniger zu arbeiten und sich häufiger auszuruhen. Das Zurückziehen von der Gemeinschaft bedeutet also gleichzeitig, mehr Ruhe und Zeit für sich selbst zu haben.

 

Diese Beobachtung – dass ich meine organischen Gegebenheiten nicht wegdrücken muss mit Sätzen wie: "Jetzt stell dich nicht so an, schaff weiter!", sondern sie mit in mein Leben einbauen darf – führte mich zu einer neuen und positiveren Beziehung zu meinen "kritischen Tagen". Sie sind kein Manko, nicht etwas, was wir Frauen erleiden müssen und wovor die Männer verschont geblieben sind (neidischer Seitenblick), nein, sie sind eine monatliche Erinnerung von Gott, der mir gleichsam liebevoll auf die Schulter klopft und sagt: "Mach langsam, zieh dich öfters mal zurück, jetzt ist wieder Entspannung angesagt. Dein Körper signalisiert dir: stopp! Du darfst einen Gang zurückschalten, Ruhe genießen." Vielleicht sagt er sogar noch: "Komm in meine Arme, heul dich mit allem aus, was dich bedrückt – ich bin da!"

 

Seit dieser Erkenntnis freue ich mich schon fast auf diese monatliche Zeit, und es gelingt immer besser, die Termine, Botengänge, Großeinkäufe und so weiter, die schon im voraus auszumachen sind, nicht gerade auf die "kritischen Tage" (ach nein, auf die Entspannungstage) zu legen und mich somit nicht so schnell überfordert zu fühlen. Es stimmt, was Psalm 139 sagt: "Ich danke dir, dass du mich so wunderbar gemacht hast. Ich weiß: Staunenswert sind deine Werke!"

 

Danken und vergeben
Den Tag dankbar zu leben, egal wie schlecht oder stressig er vielleicht auch angefangen hat, abends die "Edelsteine" des Tages anzuschauen und einzusammeln – die günstige Parklücke, das neue T-Shirt, die Drei in Mathe (statt der erwarteten Fünf), der überraschende Spielbesuch für die kleine Tochter, der mir eine Stunde Freiheit und Zeit für mich bescherte) – kann helfen, mit den Situationen des Gefühle-Wirrwarrs umzugehen. Denn ich kann mir immer sagen: Im Moment blicke ich zwar wieder mal nicht durch und werde von meinen Gefühlen überschwemmt, aber Gott, mein Schöpfer, der mir so viele schöne Spuren an den Weg legt, lässt mich nicht allein; da komme ich schon durch.

Vergebung ist ein zweites wichtiges Element im Umgang mit unseren Gefühlen. Vergebung ist ein Angebot unseres uns leidenschaftlich liebenden Vatergottes, das wir meistens gar nicht ausschöpfen. Ich darf Gott mein Versagen, meine Fehler bringen und seine Vergebung annehmen. Das heißt, ich muss mich dann nicht mehr weiter um mich und meine schlechten Gefühle drehen, sondern ich schaue auf Gott, auf seine Liebe und auf seine Möglichkeiten.

Die Holländerin Corrie ten Boom hat es einmal so ausgedrückt: "Wenn dir der Herr deine Sünden abnimmt, siehst du sie niemals wieder. Er wirft sie ins tiefe Meer – vergeben und vergessen. Ich glaube sogar, dass er ein Schild darüber anbringt: Fischen Verboten!" Verbringen wir nicht (zu) viel unnütze Zeit damit, nach eigener und fremder Schuld zu angeln?

 

Pendelsicherheit
Pater Kentenich hat immer wieder von der "Kisten- und Pendelsicherheit" gesprochen. Wir Menschen sehnen uns nach einer Art Kistensicherheit: Wir möchten gern hohe Wände um uns herum haben, Wände, hinter denen wir uns geborgen fühlen können und wo keine überraschenden Stürme unser Leben durcheinander wirbeln können. Und wir leben in ständiger Angst, dass uns unsere "Kiste" weggenommen wird. Stattdessen sollten und dürfen wir uns aber in der "Pendelsicherheit" üben. Wir werden durch das, was in unserem Leben geschieht, immer wieder wie ein Pendel hin- und hergeschwungen. Doch derjenige, der das Pendel in Händen hält, ist Gott, der es gut mit uns meint und jede Bewegung sorgfältig im Blick hat. Dieser Glaube kann helfen, innerlich gelockert mitzuschwingen, mitzugehen. Sicher verankert ihn ihm können wir uns getrost, mutig und kreativ dem nächsten "Pendelschlag" überlassen.

 

Ich habe eine ganze Gefühlspalette von meinem Schöpfer bekommen, und ich darf sie dankbar annehmen als Boten, die mich weiterführen. Pendeln wir also zuversichtlich weiter!

 

BEGEGNUNG – Zeitschrift aus Schönstatt für Frauen 2/2011

www.zeitschrift-begegnung.de


 

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