Foto: Christoph Armbrust

Hab keine Angst

17.03.2018

 


Ängste sind grausam, Ängste können einen Menschen terrorisieren. Angst fesselt und hemmt, kommt plötzlich über einen oder bleibt als ständiges Grundrauschen im Leben und lässt immer mehr Lebensenergie verschwinden. Für die einen ist die Angst wie ein Monster, das beim kleinsten Anlass über sie herfällt. Andere erleben Angst wie einen Strudel, der sie mit sich reißt und untergehen lässt. Im tiefen Loch sitzen oder den Schritt ins Leere tun und abstürzen – auf jeden Fall ist Angst äußerst unangenehm, lästig, alles niederdrückend, schreckliche Leere hinterlassend und in die Enge führend.

 

 

Angst gehört zum Leben

Das Wort Angst kommt aus dem Lateinischen „angustiae“, was mit „Enge“ übersetzt wird. Mit der Angst geht das Gefühl einher, keine Luft mehr zu bekommen, nicht mehr atmen zu können, zu ersticken. Angst wird sich immer auf drei Ebenen zeigen: auf der körperlichen Ebene, im Denken und im Handeln.

 

Und doch: Angst gehört zu unserem Leben dazu. Und wie vieles, was zu unserem Leben gehört, hat sie zwei Seiten. Sie kann Signal sein für Schutz und Hilfe im Alltag, sie kann mich aber auch ausbremsen und hemmen, Leben abwürgen und Freude sterben lassen. Sie kann mir als Impuls zur Veränderung dienen, mein Leben weiter und intensiver machen – oder mich beherrschen und meine Entscheidungen einengen.

 

 

Ein neuer Blick auf die Angst

Angst fordert uns immer heraus. Sie macht uns auf Gefahren aufmerksam, zum Beispiel: Schau lieber nochmals nach links und rechts, bevor du diese Hauptstraße überquerst. Ohne Angst würden wir wichtige Warnsignale nicht wahr- oder ernstnehmen. Angst kann auch auf noch nicht bewältigte Konflikte oder Bereiche unseres Lebens aufmerksam machen. Sie signalisiert, dass etwas in uns aus dem Gefüge geraten ist, dass wir uns in einer Situation befinden, der wir nicht oder noch nicht gewachsen sind. Sie fordert uns auf. „Sieh genau hin! Schau an, was los ist! Was kommt an alten Gedanken und Gefühlen hoch? An was erinnert dich diese Situation?“ Damit sagt mir die Angst: „Stell dich! Es tun sich neue Wege auf. Du kommst weiter!“ So kann Angst zum Wachsen und Reifen beitragen.

 

Angst beinhaltet also immer beides: Schutz und Herausforderung zugleich. Ganz deutlich wird dies in Situationen, in denen Veränderung gefordert ist, weil Neues in unser Leben tritt: ein neuer Lebensabschnitt, neue Kollegen, eine neue Stelle, neue Nachbarn, eine Diagnose …

 

Veränderungen verunsichern zunächst. Ich muss mir erst wieder ein vertrautes Raster aufbauen, ausprobieren, wie ich mit dem Neuen umgehe, testen, ob alte, gewohnte Muster greifen oder neue erworben werden müssen. Da steckt immer ein Stück Wagnis drin, und ein Wagnis braucht Mut, einen neuen Schritt zu machen, einen neuen Weg zu gehen.

 

Die Geschichte von den bellenden Hunden

Wer Angst hat, misstraut – sich, anderen oder einer Situation. Das würde im Umkehrschluss heißen: Wer vertraut: sich, anderen oder einer Situation, findet schneller aus der Angst heraus und kann Neues wagen.

 

Die Gebrüder Grimm erzählen in einem Märchen von einem Vater mit drei Söhnen. Der Vater verstößt den Jüngsten, weil er ein „Dummling“ sei, der nichts anderes als die Sprache der Tiere gelernt habe. Auf seinem Weg durch die Welt kommt der „Dummling“ in ein verwunschenes Schloss. Der Burgherr warnt ihn vor den bellenden Hunden, die jeden verschlingen, der sich ihnen naht. Für den „Dummling“ ist dies nicht gefährlich, da er ja die Sprache der Hunde versteht und von ihnen mitgeteilt bekommt, dass sie nur deshalb bellen, weil sie einen Schatz bewachen. Erst wenn dieser Schatz gehoben sei, kämen sie zur Ruhe. Der „Dummling“ kehrt als reicher Jüngling heim, wird rehabilitiert und zu einer geachteten Persönlichkeit.

Anhand dieser Geschichte lässt sich der neue Blick auf die Angst gut sichtbar machen. Keine Angst vor den bellenden Hunden. Sie weisen einen neuen Weg. Sie deuten auf einen Schatz hin: Entwicklungspotential, Veränderungsmöglichkeiten, neue Chancen.

 

Wenig hilfreiche Reaktionen bei Angst

 

  • Die Flucht antreten; das ließe die Botschaft nicht hören, die die „Hunde“ – die Angstgefühle – für mein Leben bringen wollen.

  • Angriff und Kampf, die „Hunde“ zum Feind erklären; das zöge Blessuren nach sich und verhinderte die Entdeckung der eigentlichen Botschaft.

  • Erstarren; damit ließe ich die mir zugedachte Botschaft ungeachtet und unerkannt liegen, so dass die Ängste die Herrschaft über mein Leben übernehmen und mich „einfrieren“ können.

  • Vermeiden – den Situationen, in denen irgendwann einmal Angst auftrat, permanent ausweichen; das würde meinen Lebensradius immer mehr einengen, mehr und mehr Bereiche würden von der Angst lahmgelegt, das leitende Kriterium wäre immer häufiger die Angst. Zum Beispiel: Ich fahre nicht mehr Auto, ich gehe am 13. nicht mehr aus dem Haus, ich gehe nicht mehr zum Sport … Vermeidung macht unfrei, bindet ungesund an oder isoliert von Mitmenschen, verhindert Freude und Genuß.

Schritte aus der Angst

Hilfreich dagegen wäre es, mit den „bellenden Hunden“ zu reden, der Angst in die Augen zu schauen, sie wahrzunehmen, auf die dahinterliegende Botschaft zu hören. Aber wie geht das?

 

Panikattacken und Phobien kann ich ihre Macht nehmen, wenn ich den Situationen, die Panik und Phobien hervorrufen, nicht ausweiche, sondern stattdessen die bewusste Entscheidung treffe, mich freiwillig in eine angstbesetzte Situation hineinzubegeben, vielleicht zunächst mit einem Begleiter. Der Gedanke: „Ich kann Panik zwar nicht vermeiden, aber ich bin stärker als meine Angst!“, stärkt. Clara hatte panische Angst vor Gewittern. Sie rannte jedes Mal, wenn sich ein Gewitter ankündigte, in den Keller, um sich dort zu verstecken. Als sie ihr Leben eingekeilt zwischen etwaigen oder realen Gewittern empfindet, entschließt sie sich, der Panikursache nicht mehr auszuweichen. Beim nächsten Gewitter rast sie wieder die Treppe hinunter, macht aber vor der Kellertür Halt. Beim übernächsten Gewitter rennt sie bis zur Treppe, aber nicht hinunter. Beim darauffolgenden Gewitter hält sie im Wohnzimmer hinter den verschlossenen Rolläden aus. Irgendwann schafft sie es, die Rolläden nicht mehr hinunterzulassen, sondern das Gewitter so abzuwarten. Ein inneres Bild, das sie dem Schreckensbild des Gewitters entgegensetzt, sind zwei große schützende Hände, in denen sie sich bergen kann, die Hände Gottes. Für andere sind solche hilfreichen Gegenbilder der Gute Hirte, oder ein bestimmter Psalmvers ...

 

Das Wissen, dass ich an einer Panikattacke nicht sterben kann, hat mir sehr geholfen“, erzählt sie später. „Mein Körper schüttet viele Stoffe aus, die nicht zu meinem Schaden sein, sondern mich in die Bereitschaft versetzen wollen, wenn nötig zu reagieren. Im Übermaß sind diese Stoffe eben unangenehm. Das Gefühl geht aber vorüber. Mal sehen, wie lange es nächstes Mal dauert. Ich werde einfach tief durchatmen. Die Panik ist wie eine Welle, sie kommt, aber sie geht auch wieder.“ Auf diese Weise schafft Clara es, Distanz zwischen sich und die Angst zu legen, sie ist ihr nicht mehr hilflos ausgeliefert.

ER will, dass wir das Leben haben

Auf drei kurzen Seiten das schwierige Kapitel „Angst“ umfassend zu behandeln, ist völlig unmöglich. Es will hier nur die Ermutigung herüberkommen, unser Leben nicht von den unzähligen Ängsten, die wir haben könnten, einengen, traurig und unbedeutend werden zu lassen, sondern uns ihnen zu stellen, ihnen in die Augen zu schauen und ihre Botschaft für ein freies, tieferes Lebensglück zu erfragen. Genauso wie Jesus das eben möchte. Ich will, dass sie „das Leben haben und es in Fülle haben“ (Joh 10,10). Nur gut, dass uns Gott dieses Jahr besonders zusichert: „Ich gehe mit!“

 

Quelle: BEGEGNUNG – Zeitschrift aus Schönstatt für Frauen 2/2017
www.zeitschrift-begegnung.de

 


 

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