Steine © K. Glas

Ich fühlte mich machtlos

12.09.2011


Über Nacht rutschte unsere Tochter in eine schwere Depression. Es war für uns unerklärlich.

 

Es war ein fröhlicher und unbeschwerter 13. Geburtstag. Unsere Tochter hatte ihre Freundinnen eingeladen. Kaffeetrinken bei herrlichem Sonnenschein im Garten, eine Waldrallye und abendliches Grillen gehörten zum Programm des Festtages. Am nächsten Morgen wollte sie nicht mehr aufstehen. Praktisch über Nacht, ohne erkennbare Vorzeichen rutschte sie binnen weniger Tage immer tiefer in eine kaum vorstellbar schwere Depression. Unsere fröhliche, allseits beliebte Tochter war nicht wieder zu erkennen. Lähmende, undefinierbare Ängste und völlige Antriebslosigkeit hielten sie gefangen. Unsere Tickets für die geplante Romreise mussten wir stornieren. Es folgte ein Marathon von Facharztbesuchen, Diagnose- und Erklärungsversuchen, Therapieansätzen und Klinikbesuchen, von Sorgen und Hilflosigkeit ... Wenn ich mich an den Anfang erinnere, war das am meisten belastende Gefühl, plötzlich überhaupt keinen Zugang mehr zu ihr zu haben. Ich als Vater habe das als schmerzhafte, große Machtlosigkeit erfahren. Kein Wort und keine Umarmung konnten lindern oder trösten.

 

Unendliche Traurigkeit

Nach verschiedensten Therapieversuchen wurde klar, dass ein stationärer Klinikaufenthalt unumgänglich war. Der schwerste Moment war, als wir sie in der Klinik zurücklassen mussten. Sie wollte absolut nicht dort bleiben. Sie stand ganz verzweifelt am Fenster und wir mussten sie da lassen und weggehen. Ein Blick, den wir nicht vergessen werden. Eine unendliche Traurigkeit legte sich auf unser Herz. Besonders zermürbend waren die wochen- und monatelangen Zweifel über den richtigen Weg der Therapie.

  • Ist sie in dieser Klinik gut aufgehoben?

  • Müssen wir den Arzt wechseln?

 

Wir bereisten viele Kliniken, telefonierten mit Experten, lasen Bücher und forschten im Internet. Wir bekamen tausend gute Ratschläge: „Versucht es doch mal mit alternativen Wegen, nicht mit der klassischen Medizin, könnte Euch nicht dies oder jenes helfen, ich habe da von einem Arzt gehört ...“ Andererseits mussten wir auch unserer Tochter die Sicherheit geben, gut aufgehoben und auf dem richtigen Weg zu sein.

 

Wir müssen sie aus der Klinik nehmen

Am Anfang hatten wir noch Hoffnung, die Depression schnell in den Griff zu bekommen, aber die stationäre Behandlung zog sich über immer mehr Monate hin, die Fortschritte waren gering. Für mich, als von Natur aus ungeduldiger Mensch, der das Heft des Handelns gerne in der Hand hat, eine riesige Herausforderung. Zwischenzeitlich meinte der Chefarzt sogar zu uns: „Ich weiß nicht, ob Sie Ihre Tochter jemals wieder nach Hause nehmen können.“ Wir sollten überlegen, ob eine Wohngruppe für psychisch kranke Menschen der richtige Weg ist. Da sagten wir uns: „Das kann es nicht sein, wir müssen sie dort heraus nehmen.“ Ein Segen war, dass meine Frau irgendwie auf eine gute Kinder- und Jugendpsychotherapeutin in unserer Nähe stieß. Nach einer Übergangsphase teilstationäre Behandlung und leichter Besserung holten wir unsere Tochter nach Hause. Ab diesem Zeitpunkt ging es aufwärts. Sie konnte die Schule wieder stundenweise besuchen, inzwischen kann sie wieder normal zur Schule gehen.

 

Nie wirklich hoffnungslos gewesen

Im Rückblick muss ich sagen: Trotz dieser Machtlosigkeit und Traurigkeit, sind wir nie hoffnungslos gewesen. Das Gefühl hat uns nie verlassen: Es gehört zu unserem Leben und zu ihrem Leben. Irgendwofür wird es seinen Sinn haben. Wir haben gemerkt, wie sehr uns die Erfahrungen mit Schönstatt im Glauben und im Leben gestärkt und geprägt haben. Und es ist uns bewusst geworden, wie sehr eine gute Ehe in schweren Lebenssituationen trägt.

 

Viele haben uns getragen

Es hat uns auch sehr berührt, dass viele die Krankheit unsere Tochter und unsere Sorgen mitgetragen haben. Wir leben in einem pietistischen Umfeld. Oft haben uns Menschen angesprochen und gesagt, dass sie in ihren Gebetsgemeinschaften für unsere Tochter gebetet haben. Das fand ich sehr tröstlich. Auch wenn wir damit rechnen, dass unsere Tochter noch Jahre auf Medikamente angewiesen sein wird, ist doch wieder Normalität bei uns eingekehrt. Inzwischen haben wir auch die damals stornierte Romfahrt mit unserer Tochter nachgeholt. Das hat ihr sichtlich gut getan. Es war ein – unausgesprochenes – Zeichen dafür, dass sie auch selber akzeptiert hat, wieder gesund(er) zu sein.

 

X.

Aus: unser weg, Schönstatt Familienmagazin 1/2010

www.unserweg.com


 

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