Foto: Jörg Klemme, Hamburg/ pixelio.de

Amoklaeufer

17.12.2012

 

Amok bedeutet übersetzt „wütend“ oder „rasend“. Mit dem Schrei „amuck“ stürzten sich malaiische Krieger im 15. Jahrhundert auf ihre Gegner, um sie zu töten. Diese Form des Gruppen-Amoklaufes war damals sozial akzeptiert. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts mehrten sich dann Berichte über individuelle Amokläufe, bei dem Familienmitglieder und Freunde getötet wurden.


Heute werden drei Formen des Amoklaufes unterschieden:

 

  1. der klassische Amoklauf, bei dem ein erwachsener Täter scheinbar ohne erkennbaren Grund an einem öffentlichen Ort wahllos Menschen tötet,

  2. schwere Gewaltverbrechen am Arbeitsplatz, bei dem der Täter bestimmte Personen tötet, die er zuvor ausgewählt hat,

  3. „School Shootings“, bei dem der zumeist jugendliche, männliche Täter Schüler und Lehrer erschießt. Die Tat wird über Tage und Monate hinweg geplant und vorbereitet.

Amoktaten sind sehr selten; in Deutschland geht man von einer Amok-Tat pro Jahr aus. Aber Amoktaten hinterlassen aufgrund ihrer Grausamkeit, ihrer scheinbaren Unerklärbarkeit und ihren traumatischen Folgen ein ausgeprägtes Gefühl der Bedrohung. Seit einigen Jahren sammeln Psychologen und Polizisten systematisch bio-psycho-soziale und strukturelle Spuren, die man zu integrieren und zu deuten versucht. Dabei hat man folgendes Modell entwickelt:


Person: Personen, die später Amok laufen, leiden häufig unter Depressionen und haben eine suizidale Neigung. Sie haben aber auch viel Wut im Bauch. Viele weisen narzisstische Persönlichkeitszüge auf, d.h. sie sehen alles nur aus der Perspektive des eigenen Ich. Vor allem aber können sie sich schlecht in andere einfühlen. Sie sind sehr empfindlich und reagieren schnell gekränkt. Dabei sind bei ihnen negative Emotionen, wie Ärger und Wut, lange vorhanden, weil sie durch Gedanken und Fantasien aufrechterhalten werden - so wie ein angeschlagener Moll-Akkord lange nachklingt, wenn der Gitarrenspieler die Hand auf dem Griffbrett belässt. Für den ersten Eindruck instabiler Personen versucht Psychologie-Professor Armin Schmidtke herauszufinden, ob sein Gegenüber Humor hat. "Wenn jemand etwa noch lachen könne über den Vorschlag, die erlittene Ungerechtigkeit für alle Welt sichtbar an die Chinesische Mauer zu pinseln, dann sei alles halbwegs im Lot“, so Schmidtke in der „Süddeutschen Zeitung“.


Situation: Der Jugendliche erlebt aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur viel Zurückweisung. Er fühlt sich als Opfer. Die anderen scheinen ihn ständig abzulehnen. Allmählich entwickelt er Gewaltfantasien, denen er sich stundenlang hingibt. In seinem Kopfkino läuft alles anders als im wirklichen Leben: da ist er stark, er kann es den anderen so richtig zeigen. Er kann sie in der Vorstellung sogar umbringen. In dieser Phase tröpfelt hin und wieder etwas von seinem Innenleben nach außen: der junge Mann hinterlässt mehr oder minder bewusst Spuren in Internet-Foren, deutet etwas in Gesprächen an oder macht Zeichnungen mit Gewaltinhalten. Oft zeigt er ein großes Interesse an Waffen. Viele schwärmen für frühere Amokläufer.


Kritisches Ereignis und Tatplanung: Ein bedrohlich erlebtes Ereignis - ein Schulverweis oder eine Zurückweisung im Freundeskreis - führt zu bösen Gedanken. Die Rache-Gefühle werden genährt durch das häufige Anschauen von Gewalt verherrlichenden Filmen und Computerspielen, bei denen man mit Schusswaffen unterschiedliche Gegner eliminiert. Diese „Ego-Shooter“ werden stundenlang gespielt. Sie tragen nachweislich dazu bei, reale Schieß-Leistungen zu verbessern.


Es bleibt nicht bei den Fantasien. Untersuchungen zeigen: gefährdete Jugendliche zeigen ein auffallend starkes Interesse an Waffen. Alle bisherigen Amokläufer hatten Zugang zu Schusswaffen. Auch in dieser Phase sickert etwas von den Absichten des Betroffenen durch: er schreibt einen Aufsatz, in dem er detailliert den Mord an Lehrern beschreibt, er trägt demonstrativ Tarnkleidung in der Schule oder sammelt Informationen über frühere Schulmassaker.


Auch künftig wird man nicht alle Amok-Taten verhindern können. Aber man wird anhand von Bedrohungsanalysen feststellen, auf welche Jungen man Acht geben muss. Und zwar im doppelten Sinne: der Jugendliche muss in seinem Bedrohungspotential erkannt werden, und er muss als Mensch beachtet, geachtet und in seinen Nöten ernst genommen werden.

 

Der Junge, der sich zum Täter entwickelt, ist kein gefühlloser Killer. Er ist in seinem Empfinden hoch-verletzlich. Er leidet unter starken, negativen Emotionen, von denen er überflutet wird. Das Hochwasser belastender Gefühle bleibt lange in seiner Seele stehen. Ein Amoklauf scheint ihm eine Möglichkeit, seine Probleme ein für alle mal zu lösen. Dabei nimmt er den Tod vieler in Kauf – auch seinen eigenen.

 

Literatur

H. Scheithauer & R. Bondü (2008) Amoklauf. Wissen was stimmt. Freiburg: Herder.
http://www.sueddeutsche.de/bayern/psychologie-von-amoklaeufern-sammler-von-ungerechtigkeiten-1.25454 (Abruf am 17.12.2012)
Berliner Leaking-Projekt:

http://www.leaking-projekt.de/index.php?id=10 (Abruf am 17.12.2012)


 

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