Frau küsst Sphinx - Gizeh, Ägypten © G. Glas

Die Frau und ihr Charisma

11.09.2009


In der Bibel heißt es: „Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie" (Gen 1,27). Das Menschsein ist „männlich" und „weiblich" ausgeprägt. Im zweiten Schöpfungsbericht (Gen 2, 4-25) wird dargelegt, dass Mann und Frau zusammenarbeiten sollen, weil sie aufeinander angewiesen sind.

Von Beginn der Schöpfung an sind Mann und Frau „unterschieden und bleiben es in alle Ewigkeit" (Kongregation, 2004). Pater Kentenich sieht in der Polarität ein Prinzip, das Gott selbst in Individuum und Gemeinschaft „hineingeschaffen" hat (Schönstattlexikon, 1996).

 

Verschiedenheit und Ergänzungsbedürftigkeit sind nach kirchlicher Lehre wichtige Lebensprinzipien. Mit Verschiedenheit sind nicht nur die offensichtlichen körperlichen Unterschiede gemeint. Auch psychische und geistige Geschlechterunterschiede sind nach Ansicht der Kirche gottgewollt (Kongregation, 2004). Nach Pater Kentenich ist eine gesunde polare Spannung im Sinne einer „Zwei-Einheit" von Mann und Frau anzustreben.

 

Durch den „Sündenfall" wurde nicht nur die Beziehung zwischen Mensch und Gott gestört. Auch das Verhältnis zwischen Mann und Frau wurde in Mitleidenschaft gezogen. Papst Benedikt XVI. spricht von einer guten, aber verwundeten Beziehung.

Das Heil, das mit Jesus Christus in die Welt gekommen ist, hat die Beziehung zwischen Mann und Frau ein für alle Mal in Ordnung gebracht. Mann und Frau leiden aber  immer noch an den Folgen der Erbsünde. So gibt es nach wie vor viel Leid in vielen Ehen. Mann und Frau sollen sich deswegen auf den „Weg der Heiligkeit" machen.

 

Der Zugang von „unten"

Zum Thema Geschlechterunterschiede sind in den letzten Jahren viele Bücher erschienen, die fast alle Bestseller wurden. Dass es Unterschiede im Erleben und Verhalten von Männern und Frauen gibt, ist unstrittig. Die Auseinandersetzungen gehen darum, wie diese Unterschiede verursacht werden: sind eher biologische oder doch kulturelle Einflüsse ausschlaggebend? Mitte der 1970er Jahre veröffentlichten zwei Psychologinnen der Stanford University ein Buch, indem mehr als 1500 Studien ausgewertet wurden. Die feministisch bewegten Autorinnen kamen zu dem Schluss: Die seelische Verschiedenheit von Mann und Frau beruht auf Stereotypen. Die Gesellschaft neige dazu, minimale Unterschiede der Geschlechter maßlos zu übertreiben. In dieses Horn stieß auch eine deutsche Psychologin, die mit dem Buch Furore machte: „Wir werden nicht als Mädchen geboren - wir werden dazu gemacht" (Scheu, 1983). 

In den letzten Jahren hat sich das Blatt gewendet. Man darf heute wieder mit einer gewissen Unbefangenheit äußern, Mann und Frau seien „von Natur aus anders" (Bischof-Köhler, 2002). Was viele nicht wissen: Vorarbeit in diese Richtung hat ausgerechnet die bekannte Ethnologin Margaret Mead geleistet. Nach ausgedehnten Forschungsreisen hatte sie Mitte der 1930er behauptet, jedes weibliche Verhalten sei allein durch die jeweiligen kulturellen Gepflogenheiten bestimmt. Wenige Jahre später nahm sie ihre Ansichten zurück und warnte vor der Tendenz, die Verschiedenheit von Mann und Frau zu „verkleinern", weil dadurch „ihre Fähigkeit, sich gegenseitig zu ergänzen" verloren ginge (Mead, 1985, S. 291)

Aufgrund der psychologischen Forschung muss man heute zur Kenntnis nehmen, „dass das Geschlecht nicht erst durch einen Akt sozialer Konstruktion erschaffen wird, sondern vom Beginn unseres Lebens an schon Weichen stellt, die uns in eine naturgegebene Polarisation gleiten lassen" (Bischof-Köhler, 2002, S. 105)

 

Ein großes Problem besteht in den Bewertungen der geschlechtstypischen Eigenschaften. Die Frauen und ihre Fähigkeiten wurden und werden oft abschätzig behandelt. So beklagte Papst Johannes Paul II. (1995), Frauen seien „zu allen Zeiten und an jedem Ort in ihrer Würde verkannt, in ihren Vorzügen entstellt, oft ausgegrenzt und sogar versklavt worden".

Die Kirche hat sich an der Unterdrückung der Frau mitbeteiligt und sich dafür entschuldigt. Heute will sie die Frau auf ihrem „Weg zur vollen Achtung ihrer Identität" unterstützen und ihr helfen, ihr ureigenes Charisma zu entdecken. Der Begriff „Charisma" kommt aus dem Griechischen und bedeutet „Gnadengabe". Es geht um Veranlagungen und Fähigkeiten, die Gott in die menschliche Seele gelegt hat.

 

Ehe

Frauen reagieren empfindsamer auf Kälte als Männer. Zum einen, weil sie eine dünnere Haut, zum anderen weil sie weniger Muskeln als Männer haben. Das gilt auch im übertragenen Sinne: gibt es Probleme in der Partnerschaft, spürt die Frau das schneller und intensiver als der Mann. In einer Schulnote ausgedrückt bewertet sie das Ehe-Klima mit einer „5", während ihr Mann achselzuckend meint, es sei doch alles in Ordnung und deshalb eine „2" gibt.

Die Frau ist sehr auf warmherzige Beziehungen und gute Gespräche angewiesen. Wer steckt dem Ehepartner: „Du, wir müssen Mal wieder über diese Sache reden?" Die Frau. Wer organisiert die Kinderbetreuung und ist meist als erste am Hörer, wenn das Telefon klingelt? Die Frau.

Das Interesse an sozialen Beziehungen, das in einer größeren Person-Orientiertheit zum Ausdruck kommt, ist in der weiblichen Leib-Seele-Einheit stärker verankert als in der männlichen. Diese natürliche Veranlagung ist buchstäblich augenfällig: Schon Mädchen nehmen öfter als Jungen Blickkontakt zum Gegenüber auf und halten diesen länger aufrecht. Dieser Unterschied bleibt ein Leben lang bestehen (Bischof-Köhler, 2002). Von Kindesbeinen an reagiert das weibliche Geschlecht auch sensibler auf die menschliche Stimme. Erwähnenswert ist der sog. Ammenschlaf: eine Mutter überhört zwar das laute Martinshorn, wacht aber beim leisen Weinen ihres Kindes auf.

 

Ich habe den Eindruck, ein wesentliches Charisma der Frau besteht darin, den Blick auf das Wichtigste im Leben zu lenken: den Menschen. Während der Mann eher die technische und wirtschaftliche Seite im Blick hat, ist die Frau für das Beziehungsebene zuständig. Sie nimmt alle persönlich und gibt Acht, dass der Mensch im Mittelpunkt bleibt.

Das soll nach Pater Kentenich (1997, S. 33) auch für den Bereich der sexuellen Begegnung der Eheleute gelten. Die Frau habe beim Sex dafür zu sorgen, „dass die erotische Liebe nicht sinkt". Die erotische Liebe meint das leib-seelische „Wohlgefallen aneinander". Sie hilft dem Paar, dass aus dem Geschlechtsverkehr mehr ein Liebesverkehr wird. Den Ausdruck „Liebesverkehr" hatte Pater Kentenich selbst für einen ganz anderen Bereich reserviert: für die Beziehung Gottes zum Menschen (Güthlein, 2001).

 

Die Bedeutung der Beziehung für die Frau hat eine Schattenseite: Frauen können die Beziehung als Waffe einsetzen. Schon kleine Mädchen strafen nach einer Auseinandersetzung ihre beste Spielkameradin mit „Liebesentzug" und verkünden schnell: "Du bist nicht mehr meine Freundin!"

In der Ehe neigen Frauen mehr als Männer dazu, am Partner herumzunörgeln (Gottman, 2002, 1995). Fortdauernde Kritik an der Person des Partners kann die Ehe sehr belasten. Eine Selbsterziehungsaufgabe besteht darin, sich an dieser Stelle etwas zurückzunehmen in dem Bewusstsein, dass ein verletzendes Wort zehn gute Worte zunichte machen kann.

 

Familie

Mädchen spielen schon vom ersten Lebensjahr an gerne mit Puppen. In sehr armen Ländern basteln die Kleinen mangels Barbies sogar aus Früchten ihre Puppenkinder. Von ihren Mamas werden die Puppenkinder liebevoll gepflegt und gehegt. Offensichtlich gehen mit der stärkeren Personorientiertheit weitere Begabungen einher. So wachsen alle Mädchen mit einer natürlichen Veranlagung auf, „die sich in fürsorglichen und pflegerischen Aktivitäten Ausdruck sucht" (Bischof-Köhler, 2002, S. 378).

 

In vielen Kulturen sind die Frauen für das Wasserholen und Lastentragen zuständig. In der modernen Informationsgesellschaft kommt diesen weiblichen Tätigkeiten meines Erachtens ein symbolischer Wert zu: Frauen kümmern sich in der Familie um das Lebens-Notwendige und sie sind Expertinnen in der Bewältigung von Last und Leid. Sie besitzen - wie die Kirche anerkennend bemerkt - „auch in den aussichtslosesten Situationen ... eine einzigartige Fähigkeit, in den Widerwärtigkeiten standzuhalten und in extremen Umständen das Leben noch möglich zu machen" (Kongregation, 2004, S. 18).

 

Die Verschiedenheit von Vater und Mutter zeigt sich auch beim Spielen. Mütter spielen anders und anderes als Väter. So bevorzugen Mütter eher ruhige Spiele, bei denen sie auch viel mit den Kindern sprechen können. Die beruhigende Stimme der Mutter vermittelt den Kindern gerade in den ersten Lebensjahren Sicherheit und Vertrauen. Sie spüren: hier bei Muttern sind wir daheim, hier ist Wohlsein. 

 

Dem Außenministerium der Familie steht - wie könnte es anders sein - die Mutter vor. Sie pflegt die Außenkontakte zu anderen Familien durch persönliche Gespräche von Angesicht zu Angesicht und am Telefon. Mütter stellen die Beziehungen zu Freunden und Bekannten her und halten sie aufrecht. Den Müttern, nicht aber den Vätern, sind typischerweise die Freunde der Kinder und der Anlass für den letzten Beziehungsknatsch der Tochter bekannt. So sorgen wie eh und je die Mütter auch heutzutage fürs Auskommen der Familie und die Väter fürs Einkommen. 

 

Vom religiösen Standpunkt aus hat die Frau das Charisma, das mütterliche Antlitz Gottes in der Welt sichtbar zu machen. Ihre Fürsorge und Pflegetätigkeit soll Abbild der göttlichen Sorge um der Menschen Wohlergehen sein. Es geht - wie Josef Kentenich sagt - um Durchsichtigmachung: die Arme der Mutter sollen durchsichtig sein für die mütterlichen Arme Gottes, die uns im Leben immer wieder auffangen und bergen wollen.

 

Beruf

Was haben eine Krankenschwester und eine Telefonistin gemeinsam? Sie verbinden Menschen.

Frauen suchen sich auch in der modernen Arbeitswelt Berufe, in denen sie „mit Menschen zu tun" haben. So liegt der Frauenanteil beim Lehrernachwuchs für Grund- und Hauptschulen bei 85 Prozent. In Reha-Kliniken werden Patienten zumeist von einer Ärztin behandelt, und wer unter psychischen Problemen leidet, wird in 75 Prozent aller Fälle einer Psychotherapeutin gegenübersitzen.

In dieser „Hingabe an die anderen im tagtäglichen Leben" liegt nach Überzeugung der Kirche eine Berufung der Frau. Gegen die verbreiteten „Tendenzen eines aggressiven Männertums" setzt die Kirche in der Arbeitswelt auf die weibliche „Macht der Liebe", die sie auch als Ideal für die Männer vorstellt. Männer und Frauen in Führungspositionen sollen sich an Maria orientieren, denn „ihre Herrschaft ist Dienst, ihr Dienst ist Herrschaft" (Johannes Paul, 1995).

 

In schwierigen Geschäftsverhandlungen kommen männliche Führungskräfte übrigens schneller zu einem erfolgreichen Abschluss. Frauen bekommen es aber besser hin, für einen nachhaltigen Erfolg zu sorgen. Es gelingt ihnen nämlich sehr viel besser als den männlichen Kollegen, ein Gefühl der Zusammengehörigkeit unter den Gesprächsteilnehmern zu erzeugen. Ihre Argumente bringen sie typischerweise klar und deutlich, aber auch höflich zum Ausdruck (idw-online, 2006).

 

Bei Mädchen kann man das Phänomen der „Gefühlsansteckung" beobachten. Im Vergleich zu Jungs lassen sie sich viel leichter durch Stimmungen anderer anstecken: weint ein anderes Kind, weinen sie auch. Lacht jemand vor Freude, fallen sie ins Lachen mit ein. Das geschieht ganz intuitiv.

Ob die Frau nicht ein Charisma hat, sich von einer guten Sache anstecken und begeistern zu lassen? Interessanterweise waren es die Frauen, die am Ostermorgen am leeren Grab standen und staunten. Sie erfuhren als erste von dem Engel Gottes, dass Jesus auferstanden sei. Anders als die ungläubigen Jünger, die „alles für Geschwätz" hielten (Lk, 24, 11), ließen sich die Frauen unmittelbar vom Auferstehungsglauben anstecken. Maria aus Magdala genügte ein Wort aus Jesu Mund und sie wusste spürend: Er ist es!

 

Literatur

Bischof-Köhler, D. (2002). Von Natur aus anders. Die Psychologie der Geschlechtsunterschiede. Stuttgart: Kohlhammer.

Gottman, J.M.  (1995). Lass uns einfach glücklich sein! Der Schlüssel zu einer harmonischen Partnerschaft. München: Wilhelm Heyne Verlag.

Gottman, J.M.  (2000). Die 7 Geheimnisse der glücklichen Ehe. München: Ullstein.

Güthlein, Ludwig (2001). Mit Leib und Seele lieben lernen - Lebensvorgang Sexualität. Vallendar-Schönstatt: Patris Verlag.

idw-online (2006). PM Battle of the Sexes: Wer verhandelt besser? Frauen oder Männer? http://idw-online.de/pages/de/news146996

Johannes Paul II (1995). Brief an die Frauen.

Kentenich, J. (1997). Am Montagabend... Mit Familien im Gespräch, Bd. 20: Eheliche Liebe als Weg zur Heiligkeit. Vallendar-Schönstatt: Schönstatt-Verlag.

Kongregation für die Glaubenslehre (2004). Schreiben an die Bischöfe der katholischen Kirche über die Zusammenarbeit von Mann und Frau in der Kirche und in der Welt.

Mead, M. (1985). Mann und Weib. Das Verhältnis der Geschlechter in einer sich wandelnden Welt. Reinbek bei Hamburg: rororo.

Scheu, U. (1983). Wir werden nicht als Mädchen geboren - wir werden dazu gemacht. Zur frühkindlichen Erziehung in unserer Gesellschaft. Frankfurt: Fischer Taschenbuch Verlag.

Schönstattlexikon (1996). Fakten, Ideen, Leben. Vallendar-Schönstatt: Patris Verlag. Vallendar-Schönstatt: Patris Verlag.

 

Klaus Glas
Aus: UNSER WEG, Schönstatt Familienmagazin, 1/2006
www.unserweg.com

 

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