Simone Martini © http://commons.wikimedia.org/wiki/File%3ASimone_Martini_033.jpg

"Der heilige Sankt Martin"

07.11.2022


„Der heilige Sankt Martin“, wie seit jeher die frommen MainzerInnen „ihren“ Heiligen liebevoll nennen, hat im 4. Jahrhundert gelebt: Mainz nannte man damals noch Mogontiácum, dem das kleine castellum (MZ-Kastell) als Brückenkopf gegenüberlag und clevere Statthalter versuchten, die pax romana mit brutaler Waffengewalt aufrechtzuerhalten, doch an vielen Rändern bröckelte bereits der goldene Glanz des Imperiums. Kaiser besuchten oft die Provinzstadt Mogontiacum und ließen sich im Theater feiern und als lebende Götter verehren. Doch unter Kaiser Konstantinus war, für die Menschen der Antike jedenfalls, plötzlich Sensationelles geschehen: der heidnische Kaiser schwört den uralten Göttern Jupiter und Sol Invictus, dem unbesiegbaren Sonnengott, ab und wechselt zur neuen „Sonne der Gerechtigkeit“, dem Christos der Christianer, mit dem er seine Schlachten - mit dem Kreuz auf den Schilden der Soldaten - gewinnt.

 

Unser heutiges Bild vom hl. Martinus wird vor allem vom berühmtesten Heiligenbuch des Mittelalters, von der Legenda Aurea, bestimmt, in der wir lesen können: „…Es geschah an einem Wintertag, dass er…durch das Tor von Amiens (ritt), da begegnete ihm ein Bettler, der nackt war und…noch von niemandem ein Almosen empfangen (hatte). Da verstund Martinus, dass von ihm dem Armen sollte Hilfe kommen; und (er) zog sein Schwert und schnitt den Mantel, der ihm allein noch übrig war, in zwei Teile, und gab die eine Hälfte dem Armen, und tat selber das andere Teil wieder an. Des Nachts…sah er Christum…, der war gekleidet mit dem Stücke seines Mantels, das er dem Armen gegeben hatte. Und der Herr sprach…: Martinus, der noch nicht getauft ist, hat mich mit diesem Kleide bekleidet…“.

 

Nur fromme Legende, die „Mantelteilung“? Sicherlich nicht, denn sie „stört“ die Welt des Militärs, die den Hintergrund bildet: die berittenen römischen Soldaten-Reiter trugen den Mantel, von dem die Rede ist, und der war Armeeeigentum und schützte im Winter vor Kälte. Martinus lebt in der kriegerischen Welt der brutalen römischen Armee ein Gegenbild vor: „mitten im kalten Winter“ teilt er mit dem Armen das, was er doch selbst benötigt, den wärmenden Mantel. „Was ihr dem Geringsten MEINER Brüder – und Schwestern – getan habt, das habt ihr MIR getan!“. Aber Nächstenliebe ist keine christliche Erfindung, sondern verbindet Christen und Christinnen mit Ungetauften und Angehörigen anderen Religionen. Gott-sei-Dank!

 

Sankt Martin wird zum Nationalheiligen der Merowinger und Franken und zum Patron der französischen Nation. Der Mantel, die „Cappa“ des hl. Martinus, wird in der wunderschönen Sainte Chapelle in Paris ausgestellt und von Pilgern verehrt. Unser Wort „Kapelle“ stammt daher, und der Capellanus war der Priester, der die Cappa Sancti Martini gehütet hat. Spätestens seit dem 10. Jahrhundert ist St. Martin Patron des Mainzer Doms, heute die St. Johannis-Kirche, den die alten MeenzerInnen früher „de alde Dum“ genannt haben. Die Mantelteilung ist alljährlich als Schauspiel um den Dom zu erleben, denn auch der St. Martin von 2011 reitet auf einem echten Pferd und fasziniert die Stadtkinder - nicht nur die kleinen, auch die „großen Kinder“.

 

Teilen und Nächstenliebe: kein „Job“, den die Frommen an die „Profis“ von Caritas und Diakonie abgegeben haben, sondern beides gehört zum Zentrum christlichen Glauben. Jesus-Fans tun gut daran, „keine frommen Sprüche zu kloppen“: die sichtbare „Außenseite“ des Christen und der Christin ist die diskrete Sensibilität für den frierenden Nächsten, in dem wir dem frierenden Christus begegnen können. Wenn man ein wenig „geübt“ hat, ist es auch keine „Anstrengung“ mehr. Christsein macht dann viel Freude: eine aus tiefen Quellen gespeiste Liebe zu den Menschen, die uns unser HERR tagtäglich wieder vorbeischickt. Seit 1989 bin ich Mitarbeiter in der Teestube der „Pfarrer Landvogt-Hilfe“, und kümmere mich um die vielen Wohnungslosen in Mainz, die auch oft über den Rhein in die Mainspitze pendeln; viele der „Penner“, wie man sie abfällig schimpft, kenne ich seit langem. Für die Menschen im Krieg und danach war im zerbombten Kriegs- und Nachkriegs-Mainz Pfarrer Landvogt ein moderner St. Martin gewesen.

 

Und ein kleiner heiliger Sankt Martin schlummert auch in jeder und jedem von uns: Wir müssen ihn nur in unseren eigenen halbierten Mantel einwickeln…Den anderen Teil können wir ruhig weitergeben. Viel Freude beim Teilen, Einwickeln und Wärmespenden in Sommer- und in Winterzeiten und auch in der nun beginnenden 5. Jahreszeit wünsch´ ich den LeserInnen!

 

Thomas Maria Handrick
(1958 - 2017)


 

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