Marienvesper mit Papst Benedikt XVI. in Etzelsbach © bph

Mein Etzelsbach-Erlebnis

28.09.2011

In den Achtziger Jahren bin ich jedes Jahr mit 6 bis 10 Kindern aus meiner Pfarrei Ohrdruf, zu der 11 Orte gehörten, in das Eichsfelddorf Beuren zur Religiösen Kinderwoche (RKW) gefahren. Die RKW wurde in den meisten Pfarreien der ehemaligen DDR durchgeführt. Anregungen für Katechesen, zum Basteln, eigene Lieder und ein alles umspannendes Motto gehörte zum Medienpaket, mit dem die RKW vorbereitet und durchgeführt wurde. In Beuren leiteten unsere Schönstatt-Schwestern den Kindergarten und ein kleines Altersheim. Eine Schwester war als Gemeindereferentin tätig. Der alte Pfarrer in Beuren war ein von den Roten gefürchteter Marxismus-Kenner, aber Kinderarbeit lag ihm nicht so, und er war ganz froh, dass ich ihn da ergänzte. Von Beuren aus waren es nur wenige Kilometer bis Etzelsbach; und so war es nahe liegend, dass wir in das Programm der RKW auch eine Fußwallfahrt nach Etzelsbach aufnahmen. Der schattige Hain rund um die Gnadenkapelle war ideal zum Picknicken und der nahe gelegene Wald eignete sich gut für Geländespiele. Für „meine“ Kinder aus der Thüringischen Diaspora, die ja oft die einzigen Katholiken in ihrer Klasse waren, war es ein tolles Erlebnis, mit 50 anderen – auch katholischen! - Kindern diese Woche zu erleben. Wegkreuze, Bildstöcke, Kreuzwege entlang des Wanderweges – all das gab es nicht in der Diaspora. Für manche Kinder, die zu Hause die hl. Messe immer in der evangelischen Kirche mitfeierten, waren selbst Kniebänke ein Neuheitserlebnis. Gastfamilien in Beuren nahmen die Kinder auf, und so war auch für die Zeit nach unserem gemeinsamen Programm Raum für Begegnungen und Gespräche. Manche damals geknüpfte Freundschaft hält bis heute.

 

Schenk Deine Hoffnung!

In Etzelsbach führten wir Schönstatt-Patres unter der Leitung von Pater Rainer Zinke (+1999) auch jährlich eine Schönstatt-Wallfahrt für die Jugend des Eichsfeldes ein. Die erste stand unter dem Motto „Nimm meine Angst! Schenk deine Hoffnung!“ – Wenn das Gospel „Ja wenn der Herr einst wiederkommt …“ außerhalb des Gottesdienstes gesungen wurde, dann durfte natürlich die selbst gemachte Strophe „Ja, wenn der Papst ins Eichsfeld kommt ….“ nicht fehlen. Ich kann mich noch gut an meine gemischten Gefühle bei diesem Text erinnern. Ich konnte es als nicht ernst zu nehmende, humorvolle Utopie einfach abtun, oder mich unwohl fühlen, weil darin doch ein kollektiver Egozentrismus und eine Überschätzung des Eichsfeldes ausgedrückt wurden. – Nehmen wir uns doch nicht ganz so wichtig!

 

Ja, wenn der Papst ins Eichsfeld kommt...

Und nun passierte dass damals Unvorstellbare: Der Papst kam tatsächlich ins Eichsfeld. Da meine Mutter in Heiligenstadt wohnte, konnte ich dort vom Donnerstag zum Freitag übernachten und bin dann auf den Rad- und Pilgerwegen, die teils neu angelegt, teils neu geschottert worden waren, nach Etzelsbach gelaufen. Unterwegs habe ich sogar Bekannte getroffen, die schon etliche km mehr hinter sich hatten. So konnten wir uns gut unterhalten. Auch meine Schwester und meinen Schwager, die aus Leipzig gekommen waren, habe ich unterwegs getroffen. Auf dem 20ha großen Pilgerfeld sprachen mich manche an, weil ich mein Halstuch mit dem Schönstatt-Logo umgebunden hatte. Mit schlafwandlerischer Sicherheit geriet ich an einen Schönstätter, der mir das Programm- und Liederheft in die Hand drückte. Außerhalb der eingezäunten Areale fand ich ein sonniges Wiesenplätzchen, von wo ich eine gute Sicht auf die Altarinsel sowie auf eine Video-Wand hatte. Das mehrstündige Vorprogramm gab Einblicke in das katholische Leben im Eichsfeld. Für damalige DDR-Verhältnisse war es eine Ausnahme, dass im Umkreis von 50km ca. 110.000 Katholiken wohnten. Mein Schwager erzählte, dass einer seiner nichtchristlichen Bekannten in Leipzig die Eichsfelder mit den Galliern verglich, die sich erfolgreich der römischen Übermacht widersetzten. Auch der Papst würdigte in seiner Ansprache den Widerstand aus der Kraft des Glaubens gegenüber der braunen und roten Diktatur.

 

Die wunderschöne und tiefe Meditation des Papstes über die Piéta von Etzelsbach und überhaupt über die Rolle Mariens im Heilsplan Gottes wird vermutlich wieder in Vergessenheit geraten. Schade! – Aber was bleibt: Die Wirklichkeit: Der Papst hat das Eichsfeld besucht. Von der besonderen Gospelstrophe, die ich anfangs erwähnte, wandert mein Herz zu dem Bibelvers:


So spricht der Herr der Heere: Wenn das dem Rest dieses Volkes in jenen Tagen zu wunderbar erscheint, muss es dann auch mir zu wunderbar erscheinen? (Sach 8,6)

 

Für Gott ist nichts unmöglich

Der Prophet Sacharja wirkte ca. 520-518 v. Chr. in Jerusalem. Nach der Eroberung Babylons durch die Perser endete das Exil, und die Juden konnten nach Jerusalem zurückkehren. Es muss für die kleine Schar der Heimkehrer bedrückend gewesen sein, das verödete Land und die zerstörte Stadt zu erleben. In diese Stimmung hinein spricht der Prophet Sacharja seine Verheißung. Für mich ist die Tatsache des Papstbesuches im Eichsfeld angesichts meiner damaligen Skepsis und vorweggenommenen Resignation eine Herausforderung, Gott mehr zuzutrauen, als es mein bisheriger Erfahrungshorizont erlaubt.

 

Die Verheißung Sacharjas deckt sich mit dem Wort des Engels Gabriel an Maria in der Verkündigungsstunde: Für Gott ist nichts unmöglich. (Lk 1,37)

Ich hoffe, dass mir diese meine Gedanken dann wieder einfallen, wenn mein als Realismus getarnter Kleinglaube und meine vorweggenommene Resignation mein seelisches Klima prägen. Denn dann kann aus dem Tief wieder ein Hoch werden.

 

P. Elmar Busse


 

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