In Italien © Martina Julier

Schlafe selig und süß

18.01.2012

 

Frau S. nimmt sich alles sehr zu Herzen. Sie bezeichnet sich selbst als „Sensibelchen“. Die Arbeit als Kassiererin macht ihr keinen Spaß. Oft geht ihr durch den Kopf: „Hoffentlich ist der Tag bald ’rum!“ Mehrmals in der Woche hat sie Kopfschmerzen. Wenn sie im Bett liegt, grübelt sei von A bis Z über alle möglichen Dinge nach. Sie macht sich Sorgen, ob ihre Partnerschaft hält, ob sie ihre Arbeit verliert, ob es ihrer auswärts lebenden Tochter wohl gut geht. Eigentlich will sie in diesen Fragen absolute Sicherheit, weiß aber, die gibt sie nicht. Wenn sie nach einer Stunde immer noch wach liegt, wird sie ärgerlich: „Ich muss jetzt endlich einschlafen, sonst bin ich morgen auf der Arbeit müde und schlecht gelaunt.“ So geht das nun schon mehr als drei Jahre lang. Interessanterweise schläft Frau S. am Wochenende wunderbar – wenn sie weiß, dass sie anderntags nicht arbeiten muss.


Was ist normal?

Ein bisschen Dornröschen ist jeder von uns: 25 Jahre verbringen wir im Schlaf. Nach acht Stunden Schlaf haben wir nur 50 Kalorien weniger verbraucht als tagsüber. Im Schlaf sind Hirn und Körper aktiv. So wälzen wir uns hin und her und wachen zwischendurch fast 30 Mal auf. Dieses spontane Erwachen, an das wir uns anderntags nicht erinnern, ist ein Überbleibsel der Evolution: das Alarmsystem im Kopf ist Tag und Nacht aktiv und scannt die Umgebung ständig auf mögliche Gefahren ab. Mütter mit kleinen Kindern kennen das; sie hören den kleinsten Mucks bei ihren Babys, schlafen aber weiter, wenn draußen ein lauter Laster vorbeifährt.

Der gesunde Schlaf verläuft in Phasen. Nach dem ersten Tiefschlaf wird man wieder wacher. Es folgt eine kurze Traumepisode. Dann fällt man schnell wieder in einen tiefen Schlaf. Dieses Muster wiederholt sich vier- bis sechsmal in der Nacht. Der Schlaf gleicht einer Berg- und Talfahrt, bei der sich Ruhephasen mit Zeiten der Aktivität abwechseln. Zusammengerechnet dämmern wir die Hälfte der Nacht nur in leichtem Schlaf dahin. Ein Viertel verträumen wir buchstäblich. Die zwei bis drei Tiefschlafphasen in der ersten Nachthälfte sind besonders wichtig für den Organismus. Das Gehirn schläft dabei nicht. Es verknüpft die Erlebnisse des Tages mit unseren bisherigen Lebenserfahrungen.

Wer für eine Prüfung lernt, sollte auf genügend Schlaf achten, denn das tagsüber „online“ Gelernte wird nachts „offline“ wiederholt und dauerhaft in der Großhirnrinde abgespeichert. Im Schlaf geschieht noch mehr. Das Wachstumshormon wird vermehrt ausgeschüttet. Es sorgt dafür, dass Kinder ein bisschen wachsen und Erwachsene neue Körperzellen bilden. Außerdem macht auch das Immunsystem eine Nachtschicht. Es sorgt dafür, dass wir im Krankheitsfall schnell wieder auf die Beine kommen. Der Herr gibt’s den Seinen im Schlaf...

 

Wie kommt es zu Schlafstörungen?

Fast jeder zweite berichtet von Schlafproblemen. Frauen sind doppelt so häufig betroffen wie Männer. Etwa 20 % haben - wie Frau S. - ausgeprägte Schlafstörungen. Wie kommt es dazu? Körperliche und psychische Erkrankungen können den Schlaf stören. Vor allem chronische Schmerzen und Depressionen. Schmerzen und Grübeln halten eben wach. Häufig kann der Arzt aber gar keine Krankheitsursache erkennen. Bei Frau S. wurde die Schlafstörung ausgelöst durch ein kritisches Lebensereignis: ihr wurde die Stelle gekündigt. Menschen, die sich generell viel Gedanken machen und sensibel auf Stress reagieren, entwickeln besonders leicht Schlafstörungen. Frau S. war nach ihrer Entlassung jeden Abend wie aufgedreht. Sie grübelte darüber nach, was sie falsch gemacht haben könnte. Anderntags war sie schlecht gelaunt und müde.
Als sie eine neue Stelle findet, will sie um jeden Preis gut einschlafen, um fit für den ersten Arbeitstag zu sein. Tatsächlich liegt sie - ihrem Erleben nach – fast die ganze Nacht wach. Seitdem beschäftigt sie sich immer öfter mit ihrem Schlafproblem. Sie nimmt Baldriantropfen und geht eine Stunde früher zu Bett. Weil diese Maßnahmen nicht helfen, versucht sie es mit zwei Gläsern Rotwein. Jetzt schläft sie zwar gut ein, hat aber am andern Morgen Kopfweh. Ein Teufelskreis ist in Gang gekommen, der nur schwer zu unterbrechen ist.

 

Was hilft wirklich?

Frau S. spricht mit einem Psychologen aus ihrem Bekanntenkreis. Der mailt ihr folgende Schlaftipps zu:

- Verbanne den Wecker von deinem Nachtschränkchen (Der ständige Blick 
  
darauf macht dich nur „verrückt“).
- Gehe erst dann ins Bett, wenn du wirklich müde bist. Also: lieber eine Stunde
  später ins Bett, als eine Stunde früher (so wie du es jetzt praktizierst).
- Im Bett bitte nur schlafen, also dort nicht lesen oder fernsehen.
- Wenn du länger als eine Stunde wach liegst: raus aus dem Bett und
  z.B. irgendetwas im Haushalt machen. Wenn du müde wirst, geh’ wieder ins Bett.

 

Solche Regeln zur Schlafhygiene sind außerordentlich nützlich – vorausgesetzt, man setzt sie in die Tat um. Eine weitere Möglichkeit ist die Anwendung einer Entspannungsmethode. Gut bewährt und klinisch erprobt ist die Muskelentspannung nach Jacobson (Kurzanleitung unter "Leib-Seele-Einheit" hier). Man lernt dieses Verfahren am besten in einem Kurs (z.B. Volkshochschule) und zunächst im Sitzen. Bei täglicher Übung kann man nach einigen Wochen mit einer CD selbständig weiter üben. Wenn man die Methode beherrscht, soll man ganz locker daran gehen, sie als Schlafmittel zu benutzen. Man sagt sich „Ich probiere es jetzt einmal. Wenn es nicht gleich klappt, ist das ganz normal!“

Solche hilfreichen Gedanken sind sehr wichtig. Denn zumeist setzt sich der Schlafgestörte unter Druck. Wer sich aber ständig sagt „Ich muss jetzt einschlafen!“, der bleibt wach! Einschlafen hat mit Entspannen zu tun. Besonders locker nehmen es Leute, die sich sagen „Ich versuche einmal so lange wach zu bleiben wie möglich!“ Diese „paradoxen Parole“ führt im günstigen Falle dazu, dass man ganz von alleine einschläft.

Wie kann man mit den sorgenvollen Gedanken umgehen, die einem nicht aus dem Kopf gehen? Es gibt zwei Möglichkeiten. Zum einen kann man allabendlich seine Probleme in ein „Sorgen-Tagebuch“ schreiben. Das soll richtig aus dem Bauch heraus und mit aller Emotion geschehen. So bleiben die Sorgen im Buch statt im Bett. Die positivere Methode besteht darin, ein „Gänseblümchen-Tagebuch“ zu führen (Vordruck unter dem Stichwort "Leib-Seele-Einheit" hier).

Pflücken Sie jeden Abend „geistige Gänseblümchen“: erinnern Sie sich an drei kleine, freudige Erlebnisse und notieren Sie diese in Ihr Tagebuch. Sie schlafen dann selig und süß. Probieren Sie es!

 

Buchtipp: Prof. Dr. Jürgen Zulley (2008). So schlafen sie gut! München: Verlag Zabert Sandmann.


 

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