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Generalisierte Angststörung - Info to go

06.06.2011


Beispiel aus dem Leben

Frau G. (36) ist Hausfrau und Mutter zweier Kinder (6, 4). Stundenweise arbeitet sie als Sekretärin. Sie hat „schon immer viel gegrübelt“. Seit Jahren gehen ihr Gedanken durch den Kopf, die sie nicht abstellen kann: „Der Kopf denkt immer weiter!“ Sie hat Angst, ihr Mann könnte seine Arbeit verlieren, ihre Kinder könnten verunglücken und sie selbst könnte Krebs bekommen. Frau G. weiß, dass ihre Sorgen übertrieben sind.

Ihre Schulter-Nacken-Muskeln sind stark verspannt. Sie ist „immer auf dem Sprung“. Abends kann sie nicht einschlafen wegen der ständigen Sorgen. Immer öfter trinkt sie deswegen zwei Glas Rotwein. Ihr Mann hält ihr vor, sie werde noch zur Alkoholikerin, wenn sei so weitermache. Sie solle die Dinge „'mal lockerer sehen.“ So entsteht langsam ein Teufelskreis.


Typische Symptome der Generalisierten Angststörung

Die Generalisierte Angst erfasst den ganzen Menschen. Man leidet unter körperlich-seelischen Beschwerden. Oft treten auch Probleme in Partnerschaft und Familie auf.

Haupt-Symptome: Übermäßige Sorgen wegen alltäglicher bzw. familiärer Angelegenheiten. Die Sorgen sind ausgeprägt und werden als unkontrollierbar erlebt. Die Betroffenen sind oft körperlich angespannt und ängstlich. Dieser Zustand muss mindestens 6 Monate andauern.

Körperliche Beschwerden: Ruhelosigkeit oder Nervosität, Schlafprobleme, Muskelverspannungen (z.B. im Schulter-Nacken-Bereich).

Psychische Beschwerden: das Gefühl, ständig auf dem Sprung zu sein“, schnelles Erschöpft sein, Konzentrationsprobleme.

Verhalten und zwischenmenschliche Probleme: Reizbarkeit, Rückversicherungen: ständiges Nachfragen, ob nichts Schlimmes passiert ist.

 

Störungswissen: Infos zur Diagnose

Verbreitung

Die Generalisierte Angststörung (GAS) ist eine typische Krankheit unserer Zeit: Unsicherheiten und Zukunftsängste nehmen in der modernen Welt zu. So zeigen Studien, dass die GAS v.a. in der jungen Generation vermehrt um sich greift. Allein in Deutschland sind 3 Millionen Menschen von der GAS betroffen. Etwa 5% leiden im Laufe ihres Lebens an dieser Störung. Im Durchschnitt grübeln die Betroffenen mehr als sechs Stunden am Tag (Gesunde etwa 1,5 Stunden/Tag). Frauen sind doppelt so häufig betroffen wie Männer.

 

Symptome

Das Wort „generalisiert“ bedeutet, dass die Sorgen sich auf viele Lebensbereiche beziehen - und nicht, wie bei Phobien, nur auf bestimmte Situationen und Inhalte. Man spricht auch von „frei flottierender Angst“.

Die Sorgen unterscheiden sich vom Inhalt her nicht von denen von Gesunden. Jeder hat hin und wieder Angst, er könne seinen Job verlieren, die Kinder könnten verunglücken oder der
Partner könnte an einer unheilbaren Krankheit leiden. Entscheidend ist, dass der Kranke die Sorgen nicht mehr aus dem Kopf bekommt und überzeugt ist: „Es gibt keine Lösungen für meine Probleme!“ Beim Therapeuten werden die Sorgen anfangs immer wiederholt. Eine Handlungs-Orientierung ist bei den Betroffenen nicht mehr erkennbar.

 

Ein interessanter Unterschied zu Menschen mit einer Depression: das Grübeln des Depressiven ist vergangenheitsbezogen und kreist oft um die Themen Verlust und Versagen. Das Sich-Sorgen des Ängstlichen ist zukunftsbezogen und kreist um mögliche Katastrophen und erwartete Versagens-Erlebnisse.

 

Wegen der Einheit von Leib und Seele findet sich neben der „Kopf-Angst“ zumeist auch eine „Körper-Angst“: GAS-Patienten haben Muskelverspannungen im Schulter-Nacken-Bereich und Probleme mit dem Schlafen. Eine Betroffene erklärt warum: „Ich will schlafen, aber mein Kopf denkt immer weiter!“ Tagsüber gönnen sie sich keine ruhige Minute, weil sie ständig „auf dem Sprung“ sind. Partner und Kinder bekommen die ständige Gereiztheit zu spüren – nicht selten nehmen Streit und Stress zuhause zu.

 

Diagnose und Verlauf

Neun von zehn Menschen mit GAS entwickeln – oft im Gefolge davon – weitere Krankheiten. Am häufigsten kommt es zu einer Depression und weiteren Angststörungen. Dazu gehört u.a. die Panikstörung mit Agoraphobie. http://www.hoffnungsvoll-leben.de/assets/artikeldownloads/Info-to-go-Panik.pdf?
Viele leiden an GAS, wissen aber nicht, dass es sich um eine Krankheit handelt. Der Hausarzt wird aufgesucht wegen „unspezifischer Beschwerden“, wie Bauchschmerzen oder Einschlafproblemen. So kann er nur in einem Drittel der Fälle die korrekte Diagnose stellen. Unbehandelt verläuft die Krankheit chronisch, d.h. sie verschwindet nicht wieder von selbst, sondern hält meist 10 Jahre oder länger an!

 

Ursachen

Viele GAS-PatientInnen berichten, sie seien „schon als Kind ängstlich“ gewesen. Forscher vermuten eine genetische Anfälligkeit für Angst. Zum Ausbruch kommt die GAS aber erst durch alltägliche Belastungen (z.B. Überforderung im Haushalt, in der Erziehung) oder belastende Lebensereignisse (v.a. Trennung/Scheidung, Krankheit oder Tod). So kamen bei Frau G. übertriebene Sorgen erst nach der schweren Geburt des zweiten Sohnes auf. In die Vorfreude auf das Baby mischte sich Angst, weil ihr Kind die Nabelschnur um den Hals hatte; es musste per Kaiserschnitt geholt werden. In den Folge-Monaten sorgte sich Frau G. mehr um ihre Kinder: sie hatte Angst, ihr Ältester könne zu Tode stürzen und ihr Jüngster im Gartenteich ertrinken.

 

Zwei Komponenten müssen zusammenkommen: angeborene Ängstlichkeit und auslösender Stress, den man nicht bewältigen kann. Alltäglicher Stress, der sich aufsummiert, wirkt dabei genauso nachteilig wie seltene, aber belastende Lebensereignisse. Drittens braucht es aufrechterhaltende Bedingungen. Diese erklären, warum die Sorgen nicht einfach verschwinden. Dazu zählen folgende fatale Zusammenhänge:
- Durch Gedanken kann man unangenehme Körperempfindungen, z.B. einen „rasenden Puls“, besser herunter regulieren.
Kurzfristig hat das Sich-Sorgen-machen einen Vorteil. Das merkt sich das Gehirn - ganz beiläufig. Langfristig werden die Sorgen dadurch verstärkt.

- Die Angst nimmt nur dann ab, wenn sie zuvor intensiv erlebt wird. Dazu müsste man sich die erwarteten Katastrophen bildlich, quasi wie in einem Film, vorstellen. Durch Gedanken wird aber gerade das verhindert: eine wirkliche „Verdauung“ der Sorgen kann nicht stattfinden, sodass sie wie eine emotionale Altlast immer wieder hochkommen.

 

Infos zur Therapie: Änderungswissen

7 Regeln der Selbsthilfe

  1. Akzeptieren Sie, dass Sie Sorgen haben, die sie nicht kontrollieren können. Leider ist es unmöglich, an „Nichts“ zu denken. Wenn Sie sich etwa sagen: „Ich darf jetzt nicht daran denken, dass meinem Kind etwas passiert!“, denken sie ja schon daran!

  2. Beobachten Sie sich selbst. Halten Sie alle negativen Gedanken in einem „Sorgen-Tagebuch“ fest. So können Sie herausfinden, was Ihre Sorgen auslöst. Aber Sie erkennen auch gute Zeiten, in denen Sie die „Leichtigkeit des Seins“ spüren.
    Hier finden Sie den Vordruck „Sorgen-Tagebuch“: http://www.hoffnungsvoll-leben.de/assets/artikeldownloads/Sorgentagebuch2.pdf

  3. Zum Abbau von Stress und körperlicher Anspannung lohnt es sich, jenes Entspannungsverfahren zu lernen, das weltweit am erfolgreichsten angewandt wird: die „Progressive Muskelrelaxation“ (PMR). Hier finden Sie eine Anleitung: http://www.hoffnungsvoll-leben.de/assets/artikeldownloads/Entspannungstraining-PMR.pdf

  4. „Geht nicht, gibt’s nicht!“, sagen Handwerker gerne. Tatsächlich gibt es für viele Probleme auch Lösungen. Füllen Sie für eine Sorge, die Sie mittelstark belastet, den „7-Schritte-Problemlöse-Bogen“ aus. http://www.hoffnungsvoll-leben.de/assets/artikeldownloads/Problemlsebogen-HL.pdf

  5. Konfrontieren Sie sich mit ihrer Angst: Wählen Sie ein Thema aus. Schreiben Sie dazu eine „Sorgen-Geschichte“. Malen Sie sich bildlich aus, was alles Schlimmes passieren könnte. (Leichter gesagt, als getan. Vielen hat eine Verhaltenstherapie geholfen!)

  6. Ein Sprichwort sagt „Am Abend soll man seine Sorgen in die Schuhe stecken“ - also nicht mit ins Bett nehmen. Halten Sie eine positive Tagesrückschau. Schreiben Sie zwei schöne Erlebnisse in dieses „Dankbarkeits-Tagebuch“: http://www.hoffnungsvoll-leben.de/assets/artikeldownloads/GnseblmchenTagebuch.pdf

  7. Beten Sie täglich das „Gelassenheits-Gebet“ von R. Niebuhr (1892 – 1971, Theologe):
    „Gott, gib' mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,
    den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,
    und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“

    Psychotherapie
    Die Behandlung einer Generalisierten Angststörung wird von einem Psychologen oder Arzt durchgeführt. Experten sind Psychologische und Ärztliche Psychotherapeuten sowie Psychiater. Wenn sie einige der o.g. Symptome bei sich oder Familienangehörigen erkennen, sprechen Sie am besten mit Ihrer Hausärztin.

Sie können sich auch direkt an einen Therapeuten wenden („Gelbe Seiten“ unter der Rubrik „Psychotherapie: Psychologische Psychotherapeuten“). Oder sie schauen im Internet nach: www.psychotherapiesuche.de

Vorsichtig bei Personen, die in der Tageszeitung psychologischen Rat anbieten. Psychotherapeuten sind gefragte Fachleute: sie dürfen und brauchen keine Werbung machen: in manchen Gegenden hat man mit Wartezeiten zw. 6 und 24 (!) Monaten.

 

7 Schritte einer Verhaltenstherapie
Eine Verhaltenstherapie findet wöchentlich oder 14-tägig statt. Eine Sitzung dauert 50 Minuten. Eine Therapie besteht üblicherweise aus 30 – 50 Sitzungen.

Phase 1: Gute Bindung

Es ist wichtig, dass Sie sich von Anfang an, bei dem Psychotherapeuten wohl fühlen und den Eindruck haben „Der nimmt meine Sorgen und Ängste ernst!“ Ihr Therapeut wird sie vielleicht auch darauf hinweisen, dass Sie nicht alleine sind. Außer Ihnen leiden noch 3 Millionen Menschen - allein in Deutschland! - unter der GAS.
Phase 2: Diagnostik

Am Anfang wird untersucht, ob neben der GAS noch andere Störungen vorliegen. Denn fast 90% der Betroffenen leiden zusätzlich noch an mindestens einer weiteren seelischen Krankheit, z.B. an einer Depression. Siehe dazu: http://www.hoffnungsvoll-leben.de/assets/artikeldownloads/Info-to-go-Depression.pdf?PHPSESSID=000t7mpf18eti9oh8c760o0ja2

Phase 3: Informationen und Schaubilder

Der Verhaltenstherapeut erarbeitet mit Ihnen eine persönliche Herkunfts- und Änderungs-Geschichte: Sie lernen verstehen, wie sich die GAS bei Ihnen entwickeln konnte. Von Anfang an müssen Sie mitarbeiten („Hausaufgaben“). Ohne Ihre Mitarbeit wird nichts besser.

Phase 4: Sorgen-Konfrontation

Die Angst geht erst dann zurück, wenn eine emotionale Verarbeitung der Sorgen-Inhalte stattfindet. Sie müssen gewissermaßen dem „Drachen der Angst“ ins Auge blicken. Das geschieht in der Vorstellung, durch „Kopf-Kino“: unter Anleitung des Verhaltenstherapeuten müssen Sie sich - wie in einem Film - die ausgedachten Katastrophenszenen bis zum bitteren Ende vorstellen. Das ist anfangs sehr belastend. Aber durch weitere Übungen gewöhnt sich der Körper daran – und die übertriebene Angst verschwindet.

Phase 5: Konfrontation im Alltagsleben

Auch hier gilt die Regel: Die Angst vergeht erst dann, wenn man sich ihr stellt, wenn man sich nicht gegen sie wehrt. Vermeidungsverhalten (z.B. keine Todesanzeigen lesen, keine TV-Nachrichten sehen) soll abgebaut werden. Jetzt heißt es, sich den schlechten Nachrichten stellen und die Angst aushalten - bis sie von alleine verschwindet.

Phase 6: Gute Gedanken entwickeln

Alle Ängstlichen leiden unter Katastrophen-Gedanken: man sieht das Kind schon unterm Auto liegen, obwohl es noch zuhause am PC hockt. Mit Hilfe verschiedener sog. „kognitiver Techniken“ lernen Sie, angemessenere Gedanken zu entwickeln. Diese sollen Sie dann im Alltag ausprobieren und anwenden.

Phase 7: Angewandte Entspannung

Wenn bei Ihnen nicht die Grübeleien, sondern körperliche Symptome - wie ausgeprägte Muskelverspannungen oder Schlafprobleme im Vordergrund stehen -, lernen Sie die Technik der „Angewandten Entspannung“. Ziel ist es, sich innerhalb von Sekunden zu entspannen. Später soll man in Angst-Situationen, den Körper gezielt lockern und entspannen.
Dieses Verfahren ist erfolgreich, setzt aber Ihrerseits eine hohe Motivation und die Bereitschaft zum ständigen Üben voraus.


Literatur

Becker, E. & Margraf J. (2007). Generalisierte Angstsstörung. Ein Therapieprogramm. Weinheim: Beltz Verlag.

Hoyer, J & Beesdo. K. (2006). Generalisierte Angststörung. In: Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (Hrsg.). Klinische Psychologie und Psychotherapie, S. 781-794. Berlin: Springer.

 

Ratgeber für Betroffene und Angehörige

Becker, E. & Margraf, J. (2008). Vor lauter Sorgen... Hilfe für Betroffene mit Generalisierter Angststörung (GAS) und deren Angehörige. Weinheim: Beltz Verlag.

Hoyer, J., Beesdo, K. & Becker, E. S. (2007). Ratgeber Generalisierte Angststörung. Informationen für Betroffene und Angehörige. Göttingen: Hogrefe.

Schmidt-Traub, S. (2008). Generalisierte Angststörung. Ein Ratgeber für übermäßig besorgte und ängstliche Menschen. Göttingen: Hogrefe.


 

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