Gekränkt sein © S. Glas

Hilfe, ich fühle mich so schnell gekränkt

28.09.2010


Kennen Sie das auch? Sie fühlen sich heute richtig gut. Endlich sitzt mal die Frisur, die Fettpölsterchen konnten geschickt unter der neuen Bluse versteckt werden, Sie gehen innerlich aufgeräumt mit einem frohen „Guten Morgen! Na, wie geht’s?“ auf eine Bekannte oder Kollegin zu, als Sie auch schon angefaucht werden: „Wie soll’s einem gehen, wenn man dich als Gegenüber hat und dazu noch deine falsche Abrechnung von gestern verbessern musste ...?!“

 

Was Kränkungen auslösen

 

Ob kleine Belastungen oder massive Verletzungen: Kränkungen treffen – und sie treffen jeden anders. Gekränktsein ist eine Reaktion auf Ereignisse, durch die wir uns zurückgewiesen, ausgestoßen, abgewertet fühlen. Wir fühlen uns von dem, der kränkt, falsch verstanden, nicht anerkannt, nicht genügend respektiert. Das verunsichert, wir bekommen Selbstzweifel, fühlen uns ohnmächtig, wütend, verachtet und enttäuscht.

Nicht alles, was uns verletzt, ist vom Gegenüber auch so gemeint. Das Nein zu einer Einladung kann auch damit zusammenhängen, dass der andere zu diesem Termin tatsächlich keine Zeit hat. Doch in der Regel sind wir bei einem erfahrenen „Nein“ schnell in Versuchung, es als gegen uns persönlich gerichtet zu nehmen und zu denken: Na, ja, wenn ich ihm wichtig wäre, würde er seinen Termin verschieben ...

 

Wodurch werde ich gekränkt?

 

Nicht jeder Mensch fühlt sich durch dieselben Dinge gekränkt – und: Es gibt geringer und schwerer wiegende Kränkungen. Je länger wir an einer Sache zu „knabbern“ haben, desto größer ist die Kränkung für uns. Unter große Kränkungen fallen all die Situationen, in denen wir unsere Liebe zurückgewiesen empfinden und unseren Wert als Person in Frage gestellt sehen. Kleine Kränkungen können Unhöflichkeiten sein, zum Beispiel: Ich will hinter einer Person durch die Tür gehen, doch mein „Vorgänger“ lässt sie, anstatt sie mir aufzuhalten, genau vor mir zufallen. Kleine Kränkungen können auch ironische Bemerkungen, Taktlosigkeiten, unangemessene Belehrungen sein: „Diesen Grill putzt man so!“ (Wobei ich denke, seit wann gibt es nur einen Weg, um einen Grill sauberzumachen?)

Entscheidend ist die Frage: Was erlebe ich als große und was als kleine Kränkung?

 

Je sicherer ich mich als Person fühle, desto weniger kränkbar werde ich sein. „Na toll – aber wie werde ich denn sicher?“, fragte mich neulich eine Freundin, als wir in einer Runde über dieses Thema sprachen. Zu unser aller Überraschung antwortete die Schüchternste in unserem Kreis: „Für mich war das jahrelang die schlimme Frage. Ich wusste genau, ich würde nie sicher und selbstbewusst werden – und dadurch würden mir viele weitere Türen verschlossen bleiben. Doch dann merkte ich: Ich kann auch dadurch Sicherheit gewinnen, dass ich irgendwo verwurzelt bin: in meiner Familie, in Schönstatt, in meiner Arbeit …; eben wenn ich einen Lebenssinn gefunden habe und mich mit anderen verbunden fühle.“

 

Wie reagiere ich?

 

Jeder Mensch reagiert anders – individuell und originell – auf erlittene Kränkungen. Beim einen lösen sie Gefühle der Ohnmacht und Hilflosigkeit aus; Energieverlust und Empfindungen wie Schmerz, Traurigkeit, Misstrauen und Resignation werden spürbar und hemmen. Solche Menschen fühlen sich durch Kränkungen ein Stück weit erstarrt, verwundet, leer. Die Kränkung wird nach innen, gegen die eigene Person gerichtet. Nach außen zeigt sich oft eine etwas gekrümmte, zusammengekauerte Haltung und körperliche Schwäche. Die Sehnsucht nach Anerkennung ist groß, so dass man das Gefühl der Kränkung beschwichtigt. Der Wunsch nach Harmonie um jeden Preis und das Bemühen, alles richtig zu machen – wenn es sein muss bis zur Selbstaufgabe –, treten auf den Plan.

Andere entwickeln bei Kränkungen eine enorme Wut. Man sieht ihnen ihre feindseligen Gefühle an, eine gewisse Kampf- und Verteidigungshaltung wird spürbar – Anspannung, geballte Fäuste ... Diese Menschen haben die Tendenz, das Gegenüber, das sie gekränkt hat, zu entwerten. Je nach dem werden sie laut, beginnen zu toben, versuchen den anderen fertigzumachen. Sie neigen dazu, den Kontakt zu Menschen, die sie verletzt haben, abzubrechen.

Nicht selten werden wir bei Kränkungen zwischen diesen beiden Reaktionsmustern hin- und hergerissen: Wir schlucken die Kritik herunter, bleiben nach außen hin stumm, kommentieren die Angelegenheit innerlich mit Selbstvorwürfen – bis schließlich Groll und Trotz aufsteigt: Was fällt dem eigentlich ein?! Wir suchen unser angeschlagenes Selbstwertgefühl wieder aufzurichten. Unter Umständen schlagen wir Türen zu, entwickeln Rachepläne, setzen den Kontakt aus oder sagen Dinge, die wir später am liebsten wieder zurücknehmen würden. Solche Reaktionen können zwar im Moment entlastend wirken, sind auf Dauer aber keine Lösung. Wir lähmen damit unser Denken, wie wir aus der Situation gewinnbringend wieder herauskommen könnten, und lassen uns – anstatt Alternativen zu suchen und zu finden – von negativen Zukunftsbildern bedrängen.

 

Veränderung ja – aber nicht durch wegschieben

 

Beide Reaktionen – die stärker nach innen und die stärker nach außen gerichtete – sind schwierig, sowohl für einen selbst als auch für die Umgebung. Wie oft denken wir hinterher: Jetzt hat es wieder nicht geklappt! Warum nur schaffe ich es nicht, besser – nutzbringender – auf Kränkungen zu reagieren? Dummerweise verfestigen sich unsere negativen Symptome in dem Maße, als wir versuchen gegen sie anzukämpfen. Diesen Zusammenhang spüren wir deutlich, wenn wir zum Beispiel aufgeregt sind – sei es, weil der Bus bald abfährt, das Lehrergespräch ansteht, die Diskussion im Gemeinderat auf mich zurollt. Wenn ich mich krampfhaft bemühe, nicht aufgeregt zu sein, bekomme ich Magenkrämpfe, Herzrasen oder beginne zu zittern. Wenn ich meine Aufgeregtheit stattdessen einfach da sein lasse, sie wie einen guten Freund begrüße: „Ah, da bist du ja wieder! Wir kennen uns ja schon. Na gut, dann stellen wir uns der Situation eben gemeinsam!“, dann lässt die Aufgeregtheit mit der Zeit nach. Das lässt sich auch auf das Gefühl des Gekränktsseins anwenden. Wenn wir von uns verlangen, nicht gekränkt zu sein, es aber trotzdem sind, zerfleischen wir uns mit Selbstvorwürfen und lassen kein gutes Haar an uns – und anstatt zu schrumpfen, wird das Gekränktsein nur noch weiter zunehmen. In dem Augenblick, in dem wir das Gefühl des Verletztseins anerkennen und mit „hereinnehmen“, akzeptieren wir, dass wir im Moment noch kränkbar sind, uns verletzt fühlen, aufgewühlt sind. Gleichzeitig können wir akzeptieren, dass wir weder etwas vorspielen müssen, um die Verletztheit zu verstecken, noch dass wir in Depressionen verfallen müssen über unseren ach so großen Misserfolg. Hier kommt der Postkartensatz zum Tragen: „Man kann dann anders werden, wenn man vollständig wird, was man ist.“

 

Was heraus hilft

 

Bei einer Kränkung darf ich mir zunächst einmal eingestehen: Ja, ich fühle mich verletzt, abgelehnt, zurückgewiesen. Ich darf so sein, wie ich bin, und ich darf so fühlen, wie ich fühle. Vielleicht werde ich nie so souverän reagieren, wie ich das zutiefst gern möchte, doch: „Ideale sind wie Sterne. Wir erreichen sie nie, aber sie zeigen uns den Weg.“ Dieses Eingestehen schafft eine gewisse Distanz zu der Situation oder Person, die mich gekränkt hat.

 

Wir sind eine Körper-Geist-Seele-Einheit. Wir können unserem Körper, der sofort auf die Kränkung reagiert und sich zusammenzieht, helfen, indem wir tiefer atmen und uns bewegen. Dadurch entsteht wieder Raum – Raum, in dem dann auch seelisch und geistig Neues entstehen kann. Dann gilt es zu realisieren: Ich bin nicht das Opfer – hilflos, schwach, deprimiert, machtlos –, und der Kränkende ist nicht der Täter. Ich habe die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, wie ich auf die geschehene Kränkung reagiere. Ich überlege zum Beispiel: Muss ich diese Kränkung auf mich beziehen oder hat das Ganze viel stärker mit dem Kränkenden selbst zu tun? Dann lasse ich das Problem bei ihm, anstatt es zu meinem eigenen zu machen. Wie erzählte neulich unser Nachbar? „Das ist doch nicht mein Problem, wenn unser Vermieter gerade Streit mit seinem Makler hatte. Das lasse ich an mir abperlen und sage ihm höchstens: ‚Ich werte Ihre aggressive Aussage jetzt nicht negativ. Ich warte, bis es Ihnen wieder besser geht. Sicher können Sie mir Ihr Anliegen dann noch mal neu und etwas netter sagen.‘“

 

Ich überdenke meinen eigenen Anteil am entstandenen Konflikt, und für diesen übernehme ich die Verantwortung. Schuldzuweisungen bedeuten immer, ich weise die Verantwortung von mir und übertrage sie auf den anderen. Ich schaue den Konflikt aus verschiedenen Perspektiven an, gehe sozusagen um ihn herum. Ich unterbinde meinen ersten Gedanken: „Dem zahl ich's heim!“ Besser ist es, mich zu fragen: Bin ich in meiner Eitelkeit gekränkt? Nehme ich mich selbst vielleicht zu wichtig? Was ist mein wunder Punkt, an dem mich der andere offensichtlich getroffen hat? Das ist anspruchsvoll, muss aber zum Glück nicht allein bewältigt werden. Ich darf meinen ganzen Frust, Ärger, Zorn zu Gott bringen und ihm „wutschnaubend“ erzählen, was da passiert ist. Durch dieses „Abladen“ meiner ersten Reaktionen und Gefühle bekomme ich die nötige Distanz und kann zu lösungsorientiertem, aufbauendem Denken zurückfinden, anstatt in eingetrübtem, „kopflosem“ Denken und Reagieren stecken zu bleiben.

Kränkungen haben meist mit unseren wunden „Punkten“ zu tun. Bin ich beispielsweise ein sehr ungeduldiger Mensch, kann mich ein nett dahin gesagter Satz wie: „Dem Geduldigen gehört die Welt!“ schon in Rage bringen, während ein geduldiger Mensch dies mit Sicherheit nicht als unfreundlich interpretieren würde. Je mehr ich um meine wunden Punkte weiß, (Gottesmutter, zeig' sie mir bitte!), desto größer ist die Chance, dass ich daran arbeiten kann und sie mit der Zeit heilen können. Und das Tollste daran ist, dass ich gar keinen Grund habe, mich dumm und unwert zu fühlen – weil Gott mich einfach toll findet, sonst hätte er mich gar nicht geschaffen!

 

Egal zu welchem Hilfsmittel ich greife: Das Mühen um Versöhnung reicht am tiefsten und stellt den inneren Frieden am ehesten wieder her. (Sie kann allerdings erst erfolgen, wenn ich einige „Vorschritte“ gemacht habe.) Solange ich den Kränkenden hasse, bin ich mit meinen Gefühlen an ihn gefesselt. Das schadet nicht ihm – wie wir uns manchmal klammheimlich erhoffen –, es schadet mir selbst.

Im Deutschen verwenden wir für das Wort „vergeben“ auch das Wort „ent-schuldigen“ und meinen damit die Befreiung eines anderen von seiner Schuld. Gekränktsein macht innerlich einsam und eng; wir brechen nicht nur den Kontakt zu anderen, sondern auch zu uns selbst ab, fühlen uns isoliert, kraftlos, verwundet. Ent-schuldigen weitet unser Inneres und nimmt uns wieder in die Verbindung mit dem anderen hinein. Und plötzlich gelingt es uns, auch uns selbst wieder besser anzunehmen. Die Wunde, nicht dazuzugehören oder unfähig zu sein, schließt sich und macht einem neuen Verständnis füreinander und einer neuen Weite in der Beziehung Platz.

 

Topadresse: Gott und seine Mutter

 

Ein Glück, dass wir uns nicht allein durch erlebte Kränkungen hindurchhangeln müssen. In allen Gefühlszuständen und durch alle „Wühlarbeiten“ hindurch begleitet uns Gott mit liebevollem, motivierendem Blick. Maria nimmt uns an der Hand, stellt sich als unser „Blitzableiter“ zur Verfügung – ähnlich wie wir als Mutter bei unseren Kindern – und hilft uns, Schritt für Schritt neue, konstruktive Wege zu finden, mit unseren Kränkungen umzugehen.

 

Das Telefon klingelt. Andi ist am Apparat – ausgerechnet er, der fähig ist, in jedem Satz eine Unverschämtheit rüberzubringen. „Ich lass' mir heute nichts gefallen!“, tobt es durch meinen Kopf. „Der mit seinen blöden Sprüchen, der hat mir grade noch gefehlt!“ Mein Blick fällt aufs Marienbild; aufmunternd lächelt sie mir zu: „Du schaffst das! Erst mal hören, was er will.“ Na dann, auf in die Beziehung! Alles andere schadet nur. – Aber eins wird probiert: Heute lass' ich mich nicht kränken!

 

Impuls

- Welche Aussage berührt mich besonders?

- Gibt es eine Anregung, an der ich persönlich weiterdenken möchte?

- Welchen konkreten Schritt will ich gehen?

 

Aus: BEGEGNUNG – Zeitschrift für Frauen aus Schönstatt – 4/2010

www.zeitschrift-begegnung.de


 

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