Tür in Rhodos © G. Glas

Interviews mit Frauen: Angst vor Krankheit bewältigen

19.08.2009


Jeden kann es treffen - sich langsam anbahnend oder aus "heiterem Himmel": Krankheit, Gestoppt-Werden, Verlust von Sicherheit. Die Diagnose "Krebs" stellt plötzlich das ganze Leben auf den Kopf.

 

Frau L., was löst das aus, wenn man plötzlich selbst diejenige ist, die so eine Nachricht bekommt?

 

Frau L.: Die Diagnose "Brustkrebs" wirkte wie ein Schock auf mich. Von einem Tag auf den anderen sollte ich plötzlich lebensbedrohlich krank sein?! Ich konnte es nicht fassen. Ich fühlte mich schwach und hilflos, denn bis zu meinem 68. Lebensjahr war ich noch niemals ernsthaft krank gewesen. Was diese Diagnose bedeuten kann, hatte ich bei meiner Nachbarin erlebt, die ich in der Zeit ihrer Krankheit bis zu ihrem Tod - ein Jahr später - begleitet hatte. Ich musste Entscheidungen treffen und wusste nicht welche. Meine Tochter, die mir viele Jahre durch eine ungute Partnerschaft viel Kummer bereitet hatte, wurde mir in dieser Zeit zu einer großen Stütze. Sie begleitete mich und half mir, die notwendigen Schritte zu gehen. Sie war es auch, die ihren Geschwistern die Nachricht übermittelte, denn ich konnte noch nicht darüber sprechen.

 

Verändert sich diese namenlose Angst vom Beginn oder bleibt sie der ständige Lebensbegleiter? Was hilft, dass sich die Angst verändern kann?

 

Frau L.: Nach der Operation begann ich, meine Situation langsam zu begreifen. Ich kam zur Ruhe und fing an, über meinen zukünftigen Weg nachzudenken. Ich versuchte, die Krankheit als Herausforderung zu sehen und anzunehmen. Das war nicht leicht. In einer Predigt hörte ich einen Satz, der mich aufweckte: "Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren." Ich fühlte mich plötzlich stark. Meine "Waffe" - meine Bündnispartnerin, die Gottesmutter - kam mir in den Sinn. Ihr vertraute ich mich an, und mit ihr im Hausheiligtum besprach ich alles, was auf mich zukam. Das "Nichts ohne dich - nichts ohne mich" wurde konkret. Ich erlebte ein Gefühl der Geborgenheit und des Getragenseins, wie ich es mir nie hätte vorstellen können. Ich begann, jeden Tag bewusster zu leben und auf die kleinen Zeichen zu achten. Dies gab mir innere Ruhe und Kraft, auch die erforderliche zweite Operation und die sich anschließende Chemo-Therapie gut zu überstehen.

 

Welche Reaktionen Ihrer Umwelt haben Sie als hilfreich empfunden, welche eher störend und deprimierend?

 

Frau L.: In dieser schweren Zeit war ich froh und dankbar für das Geschenk, zu unserer Gemeinschaft, der Schönstattbewegung Frauen und Mütter, zu gehören, denn hier erfuhr ich viel echtes Mitgefühl, Trost und Rücksichtnahme. Viele versprachen mir ihr Gebet, und ich spürte, wie ernst es ihnen damit war. Das tat mir gut!

In der Folgezeit erlebte ich viel Schönes, aber auch Schmerzliches. Meine Kinder und Angehörigen versuchten, mir Freude zu machen durch die Zeit, die sie mir schenkten. Einige Beziehungen zu Verwandten und Bekannten wurden intensiver, andere brachen ab. Ich bekam gut gemeinte Ratschläge über Therapien und Verhaltensweisen, die mich jedoch oft mehr be- als entlasteten. So lernte ich in dieser Zeit, geduldiger zu sein mit mir selbst und mit anderen.

 

Viele von uns leben in der ständigen Angst, dass die Diagnose Krebs auch sie treffen wird. Was würden Sie ihnen raten?

 

Frau L.: Wichtig ist das Vertrauen zu den behandelnden Ärzten. Auch Vorsorgeuntersuchungen bieten Sicherheit, denn wesentlich mitentscheidend ist die frühzeitige Behandlung. Wenn ich Rückschau auf mein Leben vor der Erkrankung halte, sehe ich darin auch ein Signal meines Körpers, etwas in meinem Leben zu ändern. Ich war eine typische "Ja-Sagerin", wollte es allen recht machen und ignorierte oft meine eigenen Wünsche und Bedürfnisse. Heute habe ich gelernt, mich selbst nicht zu überfordern und angebotene Hilfe anzunehmen. Das stärkt mein Selbstwertgefühl und wirkt sich auf den Umgang mit meinen Angehörigen und Freunden aus. Ich werde dankbar und kann anderen mehr geben an Freundschaft, Zuneigung, Mitgefühl, ich gehe liebevoller mit ihnen um, ohne mich zu verausgaben.

 

Wie leben Sie mit der Angst, dass der Krebs wieder aufbrechen könnte?

Frau L.: Nach der Diagnose "Krebs" dachte ich zu Beginn: Nun kann ich dieses Jahr aus meinem Kalender streichen. Auch wenn ich heute mit dem Wissen lebe, dass der Krebs jederzeit wieder - auch an anderer Stelle - aufbrechen kann, sehe ich die Krankheitszeit als eine sehr intensive Zeit für mich, mit neuen Beziehungen zu Menschen, die ich sonst nicht kennen gelernt hätte, mit wertvollen Erkenntnissen und Kontakten. Ich lebe bewusster, freue mich über Kleinigkeiten und bin dankbar, dass ich trotz meiner Krankheit anderen vieles schenken kann: Aufmerksamkeit, Zuhören, Mitfühlen. Ich genieße es, dass ich jetzt viel Zeit für andere habe. So erlebe ich jeden Tag als ein Geschenk.

 

Die neue Jahreslosung heißt: "... und du bist dabei!" Was sagt sie Ihnen in Ihrer derzeitigen Situation?

 

Frau L.: Auf dem mühevollen Weg der Genesung ist mir schmerzhaft bewusst geworden, dass nicht alles nach meinem Willen geht. Ich habe gelernt, anzunehmen und loszulassen. Das Vorbild unseres Gründers, Pater Kentenich, ist meine große Kraftquelle. Vieles wurde mir leichter, wenn ich an seine Zeit im Konzentrationslager Dachau dachte, zum Beispiel der Verlust meiner Haare aufgrund der Chemo-Therapie. Das Gebet zur Gottesmutter "Ich bau auf deine Macht und deine Güte ... " ist mein Seil, an dem ich mich in allen Situationen festhalten kann. Ich habe erlebt und erfahren: das Liebesbündnis trägt.

Erst jetzt verstehe ich die Aussage Pater Kentenichs: "Unsere größte Sorge sollte sein, endlos sorglos zu sein ..." und kann ohne Angst vor der Zukunft daraus leben.

 

Die Interviews führte Claudia Brehm
Aus: BEGEGNUNG - Zeitschrift aus Schönstatt für Frauen, 1/2008

www.zeitschrift-begegnung.de

 


 

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