Foto: Benjamin Thorn

Midlife Crisis meines Mannes

27.08.2012


Ganz langsam, fast unbemerkt und heimlich, schlich sie sich an. Anfangs waren es nur Kleinigkeiten, wie neue Unterwäsche, Unzufriedenheiten im Alltag, weniger Anrufe von Geschäftsreisen...

Doch sie steigerte sich und schwoll an. Was so harmlos wie ein lauer Wind begann, entwickelte sich bald zu einem Orkan, der über mich hinwegfegte und mich zu verschlingen drohte: die Midlife Crisis meines Ehemannes!

 

Bis zu dem Zeitpunkt, zu dem sie mich unmittelbar betraf, hielt ich sie für ein Gerücht. Ich wurde unsanft, ja geradezu brutal, eines Besseren belehrt. Drei Tage vor Weihnachten, im Fitness-Studio, einträchtig nebeneinander an den Geräten schwitzend, bat er mich ernsthaft um ein „Auszeit-Jahr“ von unserer Ehe, die bis dahin 15 Jahre währte – samt der daraus resultierenden vier Kinder.

 

Vier Wochen und unzählige Umstimmungsversuche später fand ich heraus, dass die Auszeit einen Namen hatte, der einer jungen Südamerikanerin mit Schokohaut gehörte. In der Folgezeit stellte er seine Ernährung um, trainierte sich seinen Bierbauch weg und einen Waschbrettbauch an, nahm ab, sodass er zwei Kleidergrößen weniger brauchte, ließ sich eine neue Frisur stylen...

 

Je jünger seine Freundinnen wurden, umso flippiger fielen seine Kleidung und Wortwahl aus. Plötzlich kannte er alle In-Kneipen, -bars und -diskotheken im Umkreis von 100 Kilometer – dafür aber nicht mehr das Fernsehprogramm. Die Speisekarte angesagter Restaurants rangierte in der Wertigkeit jetzt deutlich vor der Tageszeitung und den Nachrichten, die für ihn bislang ein absolutes „Muss“ darstellten. Er wollte nur noch cool, hip sein, um sich durch seine mittlerweile über 20 Jahre jüngeren Freundinnen wieder jung bzw. jugendlich zu fühlen. Dieses Verhalten hält bis heute, 2 1/2 Jahre später, geradezu zwanghaft an.

 

Und ich? Ich habe mich nur noch „halb“ gefühlt, verletzt, wertlos, weggeworfen, ausgetauscht, gedemütigt, ohne jegliches Selbstbewusstsein, körperlich nur noch ein Schatten meiner selbst. Ich verstand die Welt nicht mehr, hatte ich doch aus grenzenloser Liebe zu ihm alles für diesen Mann getan, was eine Frau nur tun kann. Vermutlich war genau das mein Fehler – ich war zu präsent, nicht mehr interessant genug.

 

Also, wie habe ich diese grauenvolle Zeit überstanden? Eine Zeit, in der ich mich am liebsten eingeigelt hätte, um in Selbstmitleid zu ertrinken. Ging jedoch nicht: Ich musste ja irgendwie weitermachen, Tag für Tag. Schließlich waren da 4 Kinder, die mich mehr denn je brauchten – mein Glück.

Aber wie verkraftet es eine 45-jährige Frau, die 15 Jahre lang Extrem-Familie gelebt und geliebt hat, plötzlich und ungewollt in den zu diesem Zeitpunkt verhassten Status „alleinerziehend“ zu kommen? Wie geht sie mit täglich quälenden Bauchschmerzen um, die direkt nach dem Aufwachen und dem ersten Gedanken an ihren Mann einsetzen und bis zum Einschlafen und den letzten Gedanken an ihn ihr hartnäckiger und treuer Begleiter bleiben? Wie schafft sie es, ihren Tagesablauf zu bewältigen mit permanenten Sehnsuchtsgedanken im Kopf und –gefühlen im Herzen? Was unternimmt sie gegen diese Symptome des Broken-Heart-Syndroms?

 

Sie redet, redet, redet und weint, weint, weint bei allen, die für sie da sind: ihre Therapeutin, sehr guten Freundinnen, Eltern und Geschwister, die auch nachts jederzeit erreichbar sind. Das half mir, zu verarbeiten, heute noch. Außerdem machte ich täglich Sport, um mich abzulenken und um nachts wenigstens ein paar Stunden schlafen zu können.

Noch eines war mir bald klar: Um wieder stark zu werden, musste ich so schnell wie möglich aus meiner gedanklichen „Opferrolle“ herauskommen. Dazu las ich gute Bücher und redete mir positive Dinge ein – es funktionierte.

Ganz wichtiger Bestandteil meiner Genesung: ein fester Glaube an Gott und daran, Ihm zu vertrauen, dass Er mich führt und am Ende alles gut wird.

Last but not least lernte ich einen tollen Mann kennen, der mein Selbstbewusstsein sukzessive wieder aufbaute und mir das Gefühl gab, so wie ich bin, liebenswert zu sein.

 

In diesen 2 ½ Jahren sind so viele unglaubliche Dinge passiert, die mich stark gemacht haben. Ich führe mittlerweile ein erfülltes Leben, bin selbstbestimmt, fühle mich wohl, gesund, glücklich und zufrieden. Das Verhältnis zu meinen Kindern ist gut. Wir sind ein eingespieltes Team. Meine Persönlichkeit hat sich in Quantensprüngen weiterentwickelt. Ich entdecke ungeahnte Fähigkeiten in mir. Aktuell habe ich ein Studium begonnen und freue mich riesig, dass ich die Chance bekomme, in meinem Alter nochmal ohne finanzielle Sorgen lernen zu dürfen.

 

Für all das bin ich meinem Mann dankbar.

 

C.P.


 

© 2024 Klaus Glas | Impressum | Datenschutzhinweise