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Vertrauen

23.09.2009


Der Platz neben Karin ist wieder leer. Eigentlich brauche ich gar nicht mehr zu fragen, warum. "Bettina hat Bauchschmerzen und ist nach Hause gegangen", sagen mir die Kinder. Sie sind jetzt seit drei Monaten in der neuen Schule und alle sind voller Begeisterung. Alle, bis auf Bettina - Bettina hat Bauchschmerzen. Bettina hat Angst.

"Manchmal", erzählt mir meine Kollegin, "da wache ich in der Nacht schreiend auf, weil ich geträumt habe, mein Mann ist zurückgekommen." Drei Jahre ist es her, dass sie sich von ihrem Mann getrennt hat, der unter Depressionen litt und der Familie das Leben zur Hölle machte. Die Angst von damals steigt noch immer in ihr auf.

Angst, zu versagen; Angst in Beziehungen; Angst vor neuen Lebenssituationen; Angst vor anderen Menschen - wie oft möchten wir einfach alles hinter uns lassen, nach Hause laufen und uns in die Arme der Mutter flüchten, so wie Bettina mit ihren Bauchschmerzen.

 

Ich erinnere mich an das Gefühl der Verzweiflung und Angst, das mich ergriff, als der Arzt im Krankenhaus mir mitteilte, dass meine Mutter unheilbar krank sei. Ich glaubte, ins Bodenlose zu fallen; die Hilflosigkeit, ihr nicht helfen zu können, war unerträglich. In den schlaflosen Stunden der Nacht trieb es mich hinaus unter den Sternenhimmel, wo man Gott oft näher zu sein glaubt als im Haus, und ich habe selten so heftig mit ihm gerungen und zu ihm gebetet wie damals. Ich wollte eine Antwort von ihm, ein Zeichen, einen Trost. Er war die einzige Zuflucht in diesem Leid, wo alle Menschen nichts mehr vermochten.

 

Und wie ging es meiner Mutter, fragte ich mich damals. Wie musste ihr zumute sein, in ihrem Zimmer im Krankenhaus, ohne Rückzugsmöglichkeit, alleine und vor sich nur den Tod? Ihr Leben lang hat sie zur Gottesmutter gebetet, aber wurden ihre Gebete erhört? Ist sie enttäuscht in ihrem Vertrauen? Sie hält an ihrem Glauben fest - es ist das Einzige, was noch zählt. Alles andere verliert an Bedeutung - die Krankheit, das Leben draußen -, nur die Liebe zu ihrer Familie und ihr unumstößlicher Glaube bleibt. "Bete nicht um Gesundheit für mich", sagt sie zu mir, "bete um einen guten Heimgang". Sie ist angstfrei gestorben, in der Überzeugung, nach Hause zu gehen.

Dieses Vertrauen in Gott, das aus dem gelebten Glauben erwächst, hat auch mich inzwischen nicht nur durch so manche bedrückende Situation getragen, sondern mir auch in den kleinen und großen Sorgen und Nöten des Alltags immer wieder Trost und Halt gegeben.

 

Andrea Evers
Aus: BEGEGNUNG - Zeitschrift aus Schönstatt für Frauen, 1/2008

www.zeitschrift-begegnung.de


 

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