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Ausstieg ins Leben

10.01.2018

 

Warum Menschen aussteigen und was sie antreibt, das zu tun

Mal ehrlich: wir bewundern Aussteiger. Personen, die von jetzt auf gleich aus dem beruflichen Trott ausbrechen und ein anderes Leben beginnen. Wer hat nicht schon einmal von einem Spitzen-Manager gelesen, der auf Geld und Karriere pfiff, um fortan als Yogalehrer seine Brötchen zu verdienen. Vielleicht haben Sie auch von dem gut bezahlten Investmentbanker gehört, der seine Berufung als Pädagoge entdeckte und Leiter einer Privatschule wurde.

Wer aus seiner alten Tätigkeit aussteigt, will Unangenehmes hinter sich lassen: die kraftraubende Jagd nach Produktivitätssteigerung, die Kopfweh fördernde Arbeitszeitverdichtung und vor allem: die Spaß raubende Verantwortung. Wenn das beruflich Belastende Überhand nimmt, sind wir geneigt, dem Druck zu entfliehen. Das ist nicht verwunderlich, denn das menschliche Hirn ist so verdrahtet, dass es negative Informationen vorrangig beachtet und bearbeitet. Das Gehirn-Prinzip „Bad is stronger than good – Schlecht wirkt stärker als gut“ haben Roy Baumeister und seine Kollegen 2001 in einem vielzitierten Fachartikel vorgestellt.

Wie oft im Leben, gibt es nicht nur schwarz oder weiß: Ausstieg oder Ausharren in belastenden, beruflichen Strukturen. Schon seit Jahren gibt es in größeren Firmen und öffentlichen Einrichtungen die Möglichkeit, ein Sabbatical zu machen. Wer dieses Arbeitszeitmodell mit Sonderurlaub in Anspruch nimmt, ist ein „Aussteiger auf Zeit“. Der Arbeitsvertrag der gut betuchten Angestellten läuft dabei in der Regel weiter. Vor 20 Jahren entstand in den USA ein weiterer Trend, der in Deutschland mehr und mehr Anhänger findet: das Downshifting. Dabei steht die Verringerung der Arbeitszeit im Vordergrund. Den zumeist jüngeren Leuten geht es darum, nicht erst mit 50 in eine Work-Life-Balance zu kommen. Studien aus verschiedenen Ländern zeigen, dass 25 Prozent der Arbeitnehmer freiwillig Stunden abgeben, um mehr Zeit für sich und ihre Lieben zu haben.

Frei von … frei für …

Es macht einen Unterschied, ob man einfach nur weg will, aber keinen Plan hat, wie es weitergehen soll. Oder ob man weggeht, weil man das gelobte Land gefunden zu haben glaubt. Die Psychologie spricht von Vermeidungs- und Annäherungszielen. Annäherungsziele stellen uns Dinge vor Augen, die uns am Herzen liegen, Vermeidungsziele beinhalten Dinge, die einem im Magen liegen.

Vermeidungsziele beeinhalten ein Wegbewegen von etwas. Ein unzufriedener Mitarbeiter will den beruflichen Zwängen entfliehen und den strengen Chef nicht mehr sehen. Wenn man etwas nicht will, erfordert das ständiges Monitoring: Wie lange dauert es noch bis zur nächsten Besprechung mit dem Chef? Ist er heute ein bisschen weniger bärbeißig als gestern? Tatsächlich kostet ein vermeidender Bewältigungsstil viel psychische Energie. Der Psychotherapieforscher Klaus Grawe verweist auf Studien, die zeigen, dass die Betroffenen überzufällig häufig unter Magenschmerzen und Kopfweh leiden. Auch sind diese Personen ängstlicher und depressiver als andere und leiden unter einem geringen Selbstwertgefühl.

Annäherungs- und Vermeidungsziele sind, Gott sei Dank, keine Gegenpole. Es handelt sich um Zieltypen, die unabhängig voneinander bestehen. Welche positiven Annäherungsziele streben Menschen an, wenn sie weniger der Erwerbsarbeit nachgehen wollen? Häufig werden Dinge genannt, wie „mehr Zeit für sich haben“, „mehr Lebensfreude erleben“, „mehr Zeit für die Familie haben“, „mehr Sinnvolles und Soziales tun“. Personen, die solchen Zielen folgen, sind motivationsmäßig anders unterwegs als Vermeider. Sie haben den Sternen-Blick, der mit einem Lächeln auf den Lippen einhergeht. Eine gute Stimmung ist wichtig, um vom Klage-Modus in den Handlungs-Modus zu schalten. Wer sich mit seinen Annäherungszielen beschäftigt, aktiviert im Gehirn, den Nucleus accumbens. Der Schöpfer hat diesen Motivationskern aus Nervenzellen geschaffen für den Lebensvorgang Lebensfreude. Die Psychologin Barbara Fredrickson konnte zeigen, dass sich eine Person erst dann glücklich fühlt, wenn sie in einem bestimmten Zeitraum dreimal mehr wunderbare Dinge erlebt als Wunden schlagende. Man kann vor diesem Hintergrund des Guten eigentlich nie zu viel tun.

Von Seins- und Haben-Zielen

Mihali Csikszentmihalyi (sprich: Tschik Sent Mihaji) hat über Jahrzehnte Menschen nach ihren Zielen und Aktivitäten befragt. Der Flow-Forscher bezweifelt, dass an dem Motto „Hast du 'was, dann bist Du 'was“ etwas dran ist. Lebenszufriedenheit erreicht man seiner Überzeugung nach nicht dadurch, dass man arbeitet, um viel Geld zu haben. Das zeigt etwa eine Untersuchung, nach der die Massai in Kenia ebenso glücklich sind wie die 400 reichsten Amerikaner. Wird das Lebensglück losgelöst vom Lebenssinn, „führt das zu Leere, Mangel an Authentizität, Depressionen und - mit den Jahren - zu der nagenden Erkenntnis, dass wir uns immer nur abstrampeln, bis wir tot sind“, betont Martin Seligman, der jahrzehntelang zu „erlernter Hilflosigkeit“ forschte. Ende der 1990er Jahre begründete der Psychologe mit einigen Kollegen die „Positive Psychologie“. Diese bestätigten in Untersuchungen das, wovon der Nestor der katholischen Soziallehre, Oswald von Nell-Breuning (1890 – 1991), zeitlebens überzeugt war: „Zur Arbeit gehört ein Sinn oder Ziel, um deretwillen man arbeitet. Andernfalls ist es keine Arbeit, sondern bloße Beschäftigung“.

 

Der Sozialpsychologe Jens Förster, der „täglich achtzehn Stunden gearbeitet hat und von einem Kongress zum anderen hetzte“, ist selber ein Aussteiger ins Leben geworden. In seiner Monographie „Was das Haben mit dem Sein macht“ hat er eine Fülle von Forschungsbefunden aus der Psychologie zusammen getragen. Er unterscheidet in Anlehnung an Erich Fromm (1900 – 1980) zwischen Seins- und Haben-Zielen. Zu den Versionen des Habens gehören etwa Raffen und Prassen, Horten und Sammeln, Festhalten und Sparen. Möglichkeiten des Seins bestehen in Teilen und Tauschen, Soziales Leben und Arbeit, Religion und Spiritualität.

Menschen, die den Sinn ihres Lebens gefunden haben und die Seins-Ziele verwirklichen, sind Studien zufolge gesünder, glücklicher und zufriedener als Personen, die ewig auf der Suche sind oder den Sinn ständig hinterfragen. Für gläubige Menschen, welche die Spuren Gottes in ihrem Leben tagtäglich aufzuspüren suchen, ist ein Lebens-Sinn evident. „Intrinsisch Religiösen geht es deshalb besser als Atheisten, weil sie sich in ein großes Ganzes eingebunden fühlen und weil sie ihr Leben für sinnvoll halten“, resümiert Förster.

Achtsamkeit als Lebenshaltung

Der Ausstieg aus einem missliebigen Job ist eine Lebensveränderung, dem rationale Überlegungen und quälende Grübeleien vorangegangen sind. Akzeptanz ist dagegen ein Weg, auch schwierige berufliche Phasen anzunehmen. Idealerweise wird man versuchen, ganz im Hier und Jetzt zu sein. Das ist schwer, denn wer Angst hat, macht sich Sorgen, die naturgemäß in die Zukunft weisen und einem den Schlaf rauben. Der achtsame Mensch bemüht sich, aufdringliche Gedanken zu registrieren, diese aber wieder ziehen zu lassen. „Wahrnehmen - ohne zu bewerten“, lautet das Motto der Apostel der Achtsamkeit. In ihrer radikalsten Form geht es der Achtsamkeits-Bewegung darum, schlimmste Momente aushalten zu können, indem man die anflutenden körperlich-seelischen Empfindungen nicht verdrängt, sondern ihnen Raum gibt, bis sie sich verflüchtigen.

Die Pflege der Achtsamkeit zwingt uns jedoch nicht, „das Tun aufzugeben. Sie bringt uns vielmehr die Möglichkeit, uns bewusst zu entscheiden“, ist Mark Williams von der Universität Oxford überzeugt. So kann ein Lebensgefühl kultiviert werden, bei dem man mit allen Sinnen an dem Leben teilnimmt, das man schon hat – ganz gleich, ob man sich gerade in einer schönen oder schweren beruflichen Phase befindet.

in: basis 7/ 2017


 

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