einfacher leben, Türkei © Sarah Glas

Einfacher leben

25.11.2010


Das ist die Sehnsucht vieler Menschen. Verschiedene Aspekte zeigen die Fülle einfachen Lebens.

 

Vor Jahren entdeckte ich bei meinen Eltern ein Buch. Der Titel „Einfach Leben“ sprach mich sofort an. Die Autorinnen vermitteln darin die Grundzüge der Lehre der Hl. Hildegard von Bingen, einen Zugang zur ganzheitlichen und eigenverantwortlichen Lebensführung als einen Einstieg in ein bewusstes Leben. Allein Amazon kennt aktuell 180 Bücher, die „Einfach leben“ im Titel haben. Darin ist eine Sehnsucht vieler Menschen zu spüren, die auch meine eigene Sehnsucht ist. Intensives Leben, volles Leben, gelingendes Leben, und das in großer Klarheit und Einfachheit. Reizvoll finde ich dabei den doppelten Sinn des Wortes: Einfach leben!

 

Einfach mal weniger

Viele Menschen überlegen sich, wie sie materiell gesehen einfacher leben können, weil die äußeren Umstände sie dazu zwingen. Aber auch ohne existentielle Sorgen tun diese Überlegungen gut. Was brauchen wir wirklich zum Leben? Was macht mich wirklich zufrieden? Zudem ist der bewusste Umgang mit Nahrungsmitteln und Ressourcen ein Gebot unserer Zeit. Wie gut es tut, das Leben zu vereinfachen, erleben wir immer wieder, wenn wir Schränke oder Keller ausmisten und uns dabei von Altem und nicht mehr Brauchbarem trennen – befreien. Eine Freundin, die mit sehr vielen Dingen in einer sehr kleinen Wohnung lebt, entschloss sich radikal aufzuräumen, auszuräumen und wegzuwerfen. Viele Säcke Müll brachte sie weg, und sie erzählte begeistert, dass auch in ihr die innere Ordnung wachse. Es ist, als nehme ein Zuviel uns die Luft zum Atmen. Auch die Fastenzeit lädt uns ja jedes Jahr wieder neu ein, Belastendes zu bedenken und abzuwerfen – frei werden für Gott und das Leben selbst.

 

Einfach mal keine Gedanken machen

Spannend finde ich allerdings den Gedanken, sich auch vom Grübeln und Sorgen zu befreien. Ich kenne, wie sicher viele Menschen, die Macht der kleinen „Drein- Redner“, denen es gelingt mir ein schlechtes Gewissen zu machen, meine Ängstlichkeit zu nähren oder meine Selbstsicherheit in Zweifel zu ziehen. Kannst du das wirk - lich ...? Machs halt, dann sind alle zufrieden ...! Was soll denn mein Besuch von mir denken ...?

 

Man kann sehr viel Zeit damit verbringen, sich Gedanken darüber zu machen, wer was warum tun oder nicht tun sollte. Leichter und einfacher wird damit das Leben nicht. Komplizierte Gedanken und ängstliche Sorgen sind wie ein Netz um meine Seele, das den Blick auf Wesentliches sehr einschränkt. Dagegen steht eine Gelassenheit, die das Leben und den Nächsten nimmt wie es kommt. Einfach leben – vielleicht der Spagat zwischen ganz im Hier und Jetzt sein, innerlich aber frei und gebunden nur an Gott.

 

Menschen

Heinrich Böll erzählt die Geschichte eines Fischers, der nach getaner Arbeit aufs Meer hinaus blickt und die Sonne genießt. Ein Tourist möchte ihn überzeugen, doch viel mehr zu arbeiten, ein großes Unternehmen zu gründen, viel Geld zu verdienen, damit er in einigen Jahren Zeit hätte, aufs Meer hinaus zu blicken, um die Sonne zu genießen. Die Kunst, die Sonne zu genießen, auf welchem Weg auch immer ...

 

Mir kommen Menschen in den Sinn, die einfach leben: Eine Ordenschwester, der es gelingt in wenigen Worten Wesentliches auf den Punkt zu bringen und dabei ganz klar ist. Eine Frau, die sich gut abgrenzen kann und damit für sich sorgt, die viel leistet, aber nur das, was sie wirklich möchte, und das, was sie als Gottes Wunsch für sich erkennt. Ein berufstätiger Vater, sehr eingespannt in seinen Beruf, der aber mit klarem Zeitplan doch viel Zeit mit seinen Kindern verbringen kann.

 

Ich habe mir die Frage gestellt, wann das Leben für mich einfach ist und wie es gelingen kann. Ich lebe dann einfach, wenn ich in guter Verbindung mit mir und mit Gott bin. Wenn ich mich mit dem beschäftigen kann, was mich erfüllt. Wenn ich lebendig bin, wenn ich zum wachsenden Leben beitrage, wenn ich meine von Gott geschenkten Begabungen nutze, wenn ich mich frei mache von fremden Erwartungen.

 

Gott vertrauen

Dazu fällt mir das Wort Jesu ein: Seid wie die Blumen auf dem Feld. Damit ist sicher nicht Naivität gemeint, sondern Vertrauen auf Gott. Wenn mein Sohn eine Schulaufgabe schreibt, kann ich unruhig überlegen, ob ich ihn genügend zum Lernen gedrängt habe, oder ich kann sagen, er und ich haben unseren Teil getan, Gott gibt das Notwendige dazu. Wenn ich eine berufliche Entscheidung getroffen habe, kann ich mich noch lange fragen, was wäre gewesen wenn ..., oder ich gebe es ab.

 

Der Sehnsucht trauen

Wenn es mir gelingt, einfach zu leben, suche ich das, was ich nicht kaufen und nicht planen kann. Und ich kann dabei vielleicht auch wahrnehmen, worauf mich meine vielen Gedanken und mein geschäftiges Tun und meine Sorgen hinweisen möchten. Ich kann dann durch meine materiellen und ideellen Wünsche hin auf meine wirkliche Sehnsucht schauen: Einfach leben.

 

Aus: unser weg, Schönstatt Familienmagazin 1/2009

www.unserweg.com


 

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