Quelle: Jon Sullivan /pdphoto.org

Gutes tun - glücklich sein

12.02.2013


Viele Menschen führen ein freudloses Leben. Kleine Süchte, die Zeit beanspruchen, spielen dabei eine große Rolle. Darauf hat der Pädagoge und Priester Josef Kentenich schon zu Beginn der 1950er hingewiesen. Am meisten suchtfördernd sind das Internet und das Fernsehen. Ich habe als Psychologe alte, schwerkranke Menschen am Krankenbett aufgesucht, die den Fernseher nicht ausmachen wollten, weil ihnen die virtuelle Talkshow wichtiger war als ein wirkliches Gespräch. Dabei weiß man inzwischen, dass Dauerfernsehen die Leute in einen Zustand leichter Depression versetzt. Solchermaßen ungelebtes Leben hat mittlerweile epidemische Ausmaße angenommen. Nach Schätzungen von Experten welken drei Viertel der modernen Amerikaner kraftlos dahin.

 

Da waren die alten Griechen schon weiter. Aristoteles (384 – 322 v. Chr.), Philosoph und Erzieher Alexander des Großen, wollte sich mit dem vegetativen Leben aus Ernährung und Fortpflanzung nicht zufrieden zu geben. Er wollte das Beste aus sich herausholen und ein gutes, tugendhaftes Leben führen. Er empfahl seinen Schülern die Freizeit zu nutzen, um ihre Persönlichkeit weiterzuentwickeln: sie sollten studieren und sich für die soziale Gemeinschaft einsetzen. Tatsächlich geht das Wort „Schule“ auf den Begriff „scholae“ zurück, was soviel wie Freizeit bedeutet.

Josef Kentenich (1885 – 1968), knüpfte an der Tradition des „Werde, was du bist!“ an. Er betonte die Wichtigkeit der „Geistpflege“ im Alltag. Der katholische Priester taufte das menschliche Streben nach Selbstverwirklichung. Zur Überwindung lähmender Abhängigkeiten und Routinen empfahl er die Ausrichtung an einem „persönlichen Ideal“. In unzähligen Begegnungen verhalf er vielen Frauen und Männern, die „göttliche Grundstimmung“ in ihren Gedanken und Gefühlen zu erkennen. Er ermunterte seine Schüler zu einem sorglosen Leben – nicht aus Nachlässigkeit, sondern im Vertrauen auf Gott.

 

Wer im Gleichklang mit seinem Ideal lebt, aus dem sich Ziele und Projekte ergeben, der kann viel im Leben erreichen. Die Ideal-Inhalte können von Mensch zu Mensch verschieden, aber nicht beliebig sein. Die christlich orientierte Pädagogik betont, dass zunächst eine starke Persönlichkeit da sein muss, die sich dann die richtigen Ziele auswählt. Die moderne Hirnforschung hat das Gegenteil herausgefunden: Wer sich trotz Unsicherheiten Ziele setzt und etwas riskiert, der verändert seine Gehirnstruktur und reift dabei zu einer Persönlichkeit.

Dazu ein Beispiel: Ein Bekannter erzählte mir, er sei als Gymnasialschüler nur mittelmäßig gewesen. Nachdem er eine Klasse wiederholt hatte, riet man ihm, zur Realschule zu wechseln. Trotz seiner sozialen Unsicherheit boxte er sich durch und schaffte das Abitur. Das anschließende Medizinstudium war anstrengend, aber lohnend. Er orientierte sich an einem Spruch, den er von einem Lehrer aufgeschnappt hatte: „Der Weg entsteht beim Gehen“. Heute ist er ein erfolgreicher Arzt, der seine Arbeit als Berufung ansieht.

 

Mihali Csikszentmihalyi (sprich Tschik Sent Mihaji), ein amerikanischer Psychologe, hat über Jahrzehnte Menschen wie meinen Bekannten nach ihren Zielen und Aktivitäten befragt. Lebenszufriedenheit erreicht man seiner Überzeugung nach nicht dadurch, dass man arbeitet, um viel Geld zu verdienen. Glück und Geld gehen nur in unseren Wunschträumen zusammen. Tatsächlich hat das eine nichts mit dem andern zu tun. So konnten Psychologen nachweisen, dass die Massai in Kenia ebenso glücklich sind wie die 400 reichsten Amerikaner! Geld als scheinbare Abkürzung auf dem Weg zum Glück ist zum Scheitern verurteilt. Wird das Lebensglück losgelöst von einem tugendhaften Leben, „führt das zu Leere, Mangel an Authentizität, Depressionen und – mit den Jahren – zu der nagenden Erkenntnis, dass wir uns immer nur abstrampeln, bis wir tot sind.“ So das Urteil des bekannten Psychologen Martin Seligman.

 

Er muss es wissen. Denn er ist seit Jahrzehnten einer der weltweit führenden Depressions-Experten. Ende der 1990er Jahre gründete er als Gegenpol zu den vielen traurigen Erkenntnissen seiner Wissenschaft die „Positive Psychologie“. Seine Mitarbeiter und Kollegen bestätigen in immer neuen Untersuchungen vieles, was christliche Denker und Erzieher schon immer verkündeten, etwa Oswald von Nell-Breuning (1890 – 1991). Der Nestor der katholischen Soziallehre äußerte sich einmal zu beruflichen und ehrenamtlichen Tätigkeiten: „Zur Arbeit gehört ein Sinn oder Ziel, um deretwillen man arbeitet. Andernfalls ist es keine Arbeit, sondern bloße Beschäftigung“.

 

Der Beruf und die aktive Gestaltung der Freizeit durch freiwillige Mitarbeit in Kirche und Gesellschaft bieten die besten Voraussetzungen für einen seelischen Zustand, den man „flow“ getauft hat. Damit meint sein Taufpate Csikszentmihalyi das völlige Eintauchen in eine Tätigkeit. Unser Wollen, Denken und Fühlen befinden sich im harmonischen Dreiklang. Wir fühlen uns durch die Aufgabe voll herausgefordert und müssen all unser Können einsetzen. Im Zustand des flow sind wir nicht glücklich: der Rücken tut weh, der Magen knurrt - aber wir haben keine Zeit, uns darum zu kümmern. Erst hinterher stellt sich ein Glücksgefühl ein.

 

Ich habe diesen Fließprozess einmal während der Arbeit in der Klinik erlebt: den ganzen Morgen hatte ich schwere Gespräche zu führen, es war keine Zeit etwas zu trinken und auf die Toilette zu gehen, Tür auf – der nächste Patient. Als ich am Abend nach Hause fuhr war ich froh und zufrieden. Mehr noch: ich fühlte mich innerlich stark und empfand Dankbarkeit, dass ich so vielen helfen konnte.

 

In der psychologischen Forschergemeinde war zunächst unklar, ob Menschen, ihre Lebens-Ideale deshalb verwirklichen, weil sie schon glücklich sind oder ob umgekehrt erst die tätige Nächstenliebe zu Wohlbefinden führt. Dazu hat man verschiedene Experimente durch geführt. Professor Seligman legte zu Beginn eines solchen Versuches seinen Studenten einen Glücksfragebogen vor. Dann bat er einen Teil von ihnen jeden Tag drei gute Taten zu tun. Diese sollten sie in ein Tagebuch aufnotieren. Sechs Monate später waren diese Studenten glücklicher und weniger depressiv als die Kontrollgruppe. Sie erlebten das „Helper’s High“.

 

Selbst schwer kranke Menschen wachsen über sich hinaus, wenn sie anderen helfen, statt nur zu empfangen. In einer beeindruckenden Langzeitstudie wurden Frauen, die an Multipler Sklerose erkrankt waren, angeleitet, wie man mitfühlend anderen beisteht. Nach drei Jahren waren diese Frauen glücklicher und innerlich stärker als ihre Mitpatientinnen.

 

Die modernen Helden des Alltags, die versuchen ein tugendhaftes Leben zu führen, machen dies natürlich nicht, um glücklich zu werden. Das Glück kommt sozusagen von selber, wenn man das Gefühl hat: Ich mache etwas Sinnvolles, mein Leben hat Bedeutung. Die Arbeit geht eben leichter von der Hand, wenn man sie als Berufung ansieht. Gläubigen Christen fällt dies nachweislich leichter als den ewig Suchenden. Sie können täglich erleben, was der deutsche Kabarettist und Arzt Eckart von Hirschhausen einmal so ausdrückte. „Wer sein Hobby zum Beruf macht, muss nie mehr arbeiten.“

 

Literatur-Tipps

 

Bucher, A. A. (2009). Psychologie des Glücks. Ein Handbuch. Weinheim: Beltz Velag.

Csikszentmihalyi, M. (1999). Lebe gut! Wie Sie das Beste aus Ihrem Leben machen. Stuttgart: Klett-Cotta.

Lyubomirsky, S. (2008). Glücklich Sein. Warum Sie es in der Hand haben, zufrieden zu sein. Frankfurt: Campus Verlag.

Seligman, M. E. P. (2003) Der Glücksfaktor. Warum Optimisten länger leben. Bergisch Gladbach: Verlagsgruppe Lübbe.

Von Hirschhausen, E. (2009). Glück kommt selten allein… Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.


 

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