Anderer Bickwinkel - Annecy, Frankreich © K. Glas

Anderer Blickwinkel: weg vom Problem hin zu Dir

20.08.2009


Meine Freundin Karin erklärte mir neulich: "Wir hatten uns nach langen Diskussionen geeinigt, zu einem Psychologen zu gehen und von unseren Eheproblemen zu erzählen. Wir hatten zehn Sitzungen - und nach jeder Sitzung wurde unsere Beziehung noch schwieriger. Wir listeten unsere Probleme auf und sollten eines nach dem anderen unter die Lupe nehmen. Beim Heimfahren sprachen wir kein Wort miteinander, jeder war wütend über das, was der andere dem Therapeuten erzählt hatte - wie gut er selbst dabei weggekommen war und wie schlecht der Partner da stand. Und nach einer Woche, wenn dieser Frust etwas verheilt war, begannen wir in der nächsten Sitzung wieder, die schlecht vernarbten Wunden aufzukratzen. Nach einer Weile entschieden wir uns: Auf die nächsten zehn Sitzungen verzichten wir mit Handkuss! Lieber gehen wir in dieser Zeit zusammen schwimmen (das Schwimmbad lag direkt neben den Räumen des Psychologen)."

 

In den letzten Jahrzehnten bediente sich die Psychologie und (Ehe-)Therapie häufig der

 

"Mechaniker-Methode"

 Wenn wir im Motor unseres Autos ein seltsames Geräusch hören, bringen wir es zum Mechaniker, er nimmt das defekte Teil heraus und setzt ein Ersatzteil dafür ein. Das funktioniert prima bei Maschinen - aber nicht bei Menschen. Bei der "Mechaniker-Methode" wurde meist versucht herauszufinden, was nicht stimmt, und dann nach einer Lösung gesucht. Das heißt aber, ich muss mir erst bewusst werden, dass etwas nicht stimmt, muss dann den Mut haben, jemanden zu such

en, der mir helfen könnte, muss mich überwinden, ihm mein Problem zu erzählen - und dann die Kraft haben, aus dieser Negativstimmung und Enttäuschung heraus an der jeweiligen Schwierigkeit zu arbeiten. Ein bisschen viel verlangt!!! Kein Wunder, dass man da oft viel zu lange wartet, ehe man Hilfe sucht, beziehungsweise dass die Fronten dann oft schon so verhärtet sind, dass man keine Kraft und Lust mehr hat, überhaupt noch etwas in seine Ehe zu investieren.

Ein anderer, effektiverer Ansatz wäre die Frage:

 

Was tut uns jetzt gut?

Natürlich müssen wir uns letzten Endes mit dem auseinandersetzen, was störend zwischen uns steht - aber nicht, wenn die Ehe im Moment sowieso ausgezehrt und kränklich scheint, sondern erst dann, wenn sie durch einige "Spurenelemente und Vitamine" wieder zu Kräften gekommen ist. Denn dann wiegen die Schwierigkeiten meist schon nicht mehr so schwer.

Unsere Ehe wird dadurch gestärkt, dass wir regelmäßig positive Erfahrungen miteinander machen, die unsere Bindung stärken und die Atmosphäre zwischen uns "leicht" und stimmig machen. Aus so einer Atmosphäre heraus gewinnen wir die Kraft, uns auch um Unangenehmes zu kümmern und Schwierigkeiten aus der Welt zu schaffen, ohne uns dabei gegenseitig fertig zu machen.

 

Platz für "Miteinander-Erlebnisse" schaffen

Als der mehrfache Champion des längsten Hunderennens Alaskas nach dem Geheimnis seines Erfolgs gefragt wurde, war seine überraschende Antwort: "Je mehr Pausen ich meinen Hunden gönne, desto besser laufen sie!" Jeder von uns ist eingespannt in ein System, das ihn kaum zum Atmen kommen lässt. Im Beruf, in der Familie, im ehrenamtlichen Engagement sowie in der Freizeit folgen Termine dicht auf dicht. Wenn wir dann nach Hause kommen, wollen wir nur noch unsere Ruhe haben. Aber bald wird die Ruhe, die wir suchen und deretwegen wir auch nicht mehr viel in unsere Ehe investieren, zur Grabesruhe zwischen den Ehepartnern. Vielleicht unternehmen wir noch etwas mit anderen und erfahren dadurch ein gewisses Zusammengehörigkeitsgefühl, aber zwischen uns beiden als Paar läuft nicht mehr viel. Das unterschiedliche Redebedürfnis und Redeverhalten von Mann und Frau tut oft noch sein Übriges dazu, so dass wir bald nicht mehr voneinander wissen, was der andere erlebt hat und fühlt.

 

Stellen wir uns doch die Frage: Was tut uns als Paar jetzt gut? Vielleicht ein Spaziergang um den Block vor dem Abendessen oder zwei Stunden schwimmen (gegen meine Rückenschmerzen und seinen sich rundenden Bauch; also gleich noch ein guter Nebeneffekt). Vielleicht mal wieder wie früher als Zuschauerin am Rand stehen, wenn er Fußball spielt, oder einfach zusammen auf der Gartenbank sitzen und uns an der Hand halten. Vielleicht Federball spielen (mit viel Gelächter über die komischen Verrenkungen) oder gemeinsam den Garten bearbeiten und neue Beete planen oder einmal die Woche zusammen Kaffee trinken, wenn er oder sie am Spätnachmittag heimkommt ...

Sie meinen: Schön und gut, aber wie soll ich das ins Gespräch bringen? Da macht mein Mann nicht mit! Gegenfrage: Könnte es sein, dass wir viel zu oft auf die inneren Stimmen hören, die uns von Neuem zurückhalten wollen? Denn: Neue Wege beschreiten, macht immer zuerst Angst! Könnten wir das Wort Jesu nicht auch mal in diesem Zusammenhang hören: "Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder ..."? Ob er damit nicht auch dieses vertrauensvolle, lockere, unbeschwerte Umgehen mit Neuem meint? Und wäre aus so einer Einstellung heraus nicht doch mal ein Vorstoß möglich? "Ach Schatz, ich möchte eigentlich viel mehr Zeit mit dir verbringen. Ich arbeite im Haus und im Beruf, ich versuche unseren Kindern eine gute Mutter zu sein, ich engagiere mich hier und da - und manchmal frage ich mich: Wie viel Zeit bleibt eigentlich für uns beide, für dich, das Liebste, was ich auf dieser Welt habe? Hättest du nicht Lust auf ...?"

 

Reden, zuhören, Nähe vermitteln

Neulich erzählte Fred: "20 Jahre lang hatte ich Angst vor Sabines Redeschwällen und suchte Schutz hinter meiner Zeitung. Sie sagte, sie würde sich mir nahe fühlen durch Gespräche. Wenn wir nicht miteinander sprächen, würde sie sich fern von mir fühlen, ohne warme Gefühle für mich. Ich verstand kein Wort - und war sicher, dieses intensive Reden und Zuhören würde mich heillos überfordern. Ich war mir auch nicht sicher, ob ich es überhaupt lernen wollte ... Als unsere Beziehung immer langweiliger wurde und Sabine immer mehr auf Abstand zu mir ging, auch körperlich, dachte ich: Ich könnte ja einfach mal interessiert zuhören, wenn sie spricht, ohne Zeitung dazwischen. Also legte ich mir keine überzeugenden Antworten mehr zurecht, grunzte nicht mehr desinteressiert dazwischen, sondern hörte einfach nur aufmerksam zu, nickte mal oder stellte Zwischenfragen, wenn ich etwas nicht verstehen konnte. Das Ergebnis hat mich total verblüfft: Sabine war überglücklich über dieses Zuhören von mir - und mich hat es auch nicht überfordert. Vor allem hat es mir das ungute Gefühl genommen, ich wäre vielleicht nicht gut genug für diese Frau oder unfähig, sie glücklich zu machen."

Denken Sie jetzt: Schön für Sabine und Fred - aber mein Mann hat das eben noch nicht gemerkt!? Gegenfrage: Haben Sie ihm schon einmal offen gesagt, dass Sie das Bedürfnis haben, ihm manches zu erzählen, und dass Sie ihn einfach als Zuhörer brauchen, damit sich Ihre Gedanken klären können? Haben Sie ihm schon mal deutlich gemacht, dass Sie das alles auch einer Freundin erzählen könnten, dass Sie Ihre Gedanken und Ihr Leben aber viel lieber mit ihm teilen wollen? (Und dann holen Sie am besten nach fünf Minuten erst mal gründlich Luft - nicht erst nach einer Stunde -, damit er sich langsam "angewöhnen" kann).

 

Der andere Blickwinkel

Von unserem Blick - auf das Problem mit dem Partner geheftet - geht etwas Lähmendes, Unruhiges aus. Der veränderte Blickwinkel - was tut meinem Partner im Moment gut - löst Befreiung aus, er lässt Raum für Überraschung und Hoffnung entstehen.

Wenn wir als Ehepaar zusammen beim Krimigucken fiebern, wenn wir beim Vorbeigehen am Computer ihm oder ihr den Nacken massieren, wenn wir einander die Hand drücken oder uns über den Tisch hinweg zulächeln, dann kommt das dem Blick des Goldschmieds nahe, der schon Gold erkennt, wo ein Ungeübter nur wertloses, blindes Metall wahrnimmt. Hilfreich für meinen Mann ist es auch, wenn ich meine Bedürfnisse äußern kann und nicht schweige und denke, jetzt müsste er doch spüren, was ich brauche und was mir gut tut. Gott hat mir einen Mund geschenkt - also kann ich sagen: "Es tut mir so gut, wenn du den Abfalleimer rausbringst." Oder: "Ich würde mich so über eine warme Bettflasche freuen!"

 

Romantikanzeiger am ehelichen Armaturenbrett

Es gibt wohl kaum eine Ehe, die von sich sagen könnte, sie erlebe genügend Romantik. Romantik tut den beiden Ehepartnern gut. Romantik heilt Wunden, schafft Sicherheit, löst Prickeln aus, hinterlässt ein tiefes Glücksgefühl. Ihre "Killer" stehen allerdings täglich auf dem Plan: lärmende Kinder, Überstunden, unbezahlte Rechnungen, ständiges Telefon-Klingen, E-mail-Flut ... Manchmal vergessen wir vor lauter Bemühen, den Alltag gut zu organisieren, wie erholsam Romantik für unsere Ehe wäre. Unsere Aufgaben halten unsere Aufmerksamkeit gefangen und verhindern das "Ganz-beim-Anderen-Sein" - die zentrale Voraussetzung für das Aufkommen von Romantikgefühlen.

Romantik entsteht nur, wenn alle Sinne wach sind und Zeit vorhanden ist. Ein rascher "gehetzter" Abschiedskuss hat nichts Romantisches an sich. Bei Fastfood, an der Straßenecke hinuntergeschlungen, können weniger gut romantische Gefühle aufkommen wie bei einem einfachen, aber liebevoll zubereiteten Picknick am Flussufer. Wenn die Sterne leuchten, wenn im Hintergrund Musik läuft, die uns an ein besonderes Erlebnis miteinander erinnert oder die wir beide mögen, wenn ein leckeres Getränk durch unsere Kehle rinnt und sich die Haut des anderen sanft anfühlt, dann sind alle Sinne auf den anderen gerichtet, dann kann Leidenschaft aufkommen und viel gegenseitige Herzenswärme. Eine Erfahrung, in der zwei Menschen die Bestätigung erhalten, dass sie einander mehr bedeuten als alles andere auf der Welt. Und wir alle haben den Wunsch, für jemanden der wichtigste und liebste Mensch zu sein.

Wenn einer der beiden Partner anfängt, Zeit, Sinne und Aufmerksamkeit auf den anderen auszurichten, wird auch der andere nach einiger Zeit meist Ideen entwickeln, weil er spürt, dass ihm diese Aufmerksamkeit und Romantik einfach gut tut. Ich bin überzeugt, dass der Heilige Geist da viele Ideen und Schwung aufbrechen lässt, wenn wir ihn nur anrufen und ihn einladen, in unserer Ehe mitzuwirken.

 

Humor - der Treibstoff im Liebestank des Ehepaares

Jedes Ehepaar findet etwas anderes witzig: witzige Formulierungen, Wortspiele, Stilblüten, Streiche der eigenen Kinder, Anekdoten aus der gemeinsamen Vergangenheit. Lachen dient als Ventil, um Dampf abzulassen. Im gemeinsamen Lachen über etwas sind wir wieder aufmerksam beieinander und empfinden Nähe. Im humorvollen Lachen entschärfen sich Dinge, die schnell zu Problemen werden könnten. Sitzen beide übellaunig von der Arbeit des Tages beim Abendessen, passiert es schnell, dass "ungnädige" Worte hin- und herwechseln. Wenn da ein humorvoller Gedanke eingestreut wird - "Na ja, so übel wie damals, als Tante Käthe den Salzkuchen zum Kaffee servierte, geht's uns heute wirklich nicht!" - dann lässt uns das lachen über die peinliche Situation, die wir einst zusammen durchgestanden haben. Und es macht deutlich: Das damals haben wir gut überstanden, also überstehen wir das heute auch!

Humor schafft einen gewissen Abstand zu einem Problem. Ehepaare, die gern lachen, haben eher die Chance, das "Gebrechen" zu überwinden, das ihre Beziehung gerade beeinträchtigt. Wenn beide beschließen, sich auf die Heiterkeit zu konzentrieren, können sie erreichen, dass manchen unguten Gefühlen die Schärfe genommen wird. Zum Beispiel: "O weh, jetzt hab' ich schon wieder genörgelt. Wenn ich für jedes Nörgeln an dir, Schatz, zehn Cent bekäme, wäre ich ein reicher Mann." Sich - anstatt ausschließlich auf das Problem zu starren - um Humor, gemeinsame Erlebnisse und Romantik zu kümmern, lässt neue Wege zueinander finden.

 

Übrigens: Karin und ihr Mann sind nicht nur einmal schwimmen gegangen, sondern immer mal wieder. Und auf der Heimfahrt haben sie sich nicht angegiftet, sondern ab und zu sogar miteinander gelacht und sich etwas erzählt. Es bleibt noch viel zu tun für ihre Ehe, aber "wir haben wieder Lust, etwas füreinander zu investieren", meint Karin augenzwinkernd.

 

CLAUDIA BREHM
Aus: BEGEGNUNG - Zeitschrift aus Schönstatt für Frauen, 3/2009
www.zeitschrift-begegnung.de

 

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