Sonnenuntergang-Festung Ehrenbreitstein, Koblenz, © H. Brehm

Schau mich bitte an!

03.11.2009

In unserer Ehe haben wir Höhen und Tiefen erlebt. Nach Auseinandersetzungen und Verletzungen habe ich mich oft vergeblich nach einem Wort der Entschuldigung von meinem Mann gesehnt. An seinem Sterbebett wurde es mir geschenkt.

Direkt nach dem Tod meines Mannes saß ich mit unseren erwachsenen Kindern zusammen. Einer sagte: „Sollen wir nicht austauschen, wie wir den Vater erlebt haben?" Ich dachte: „Jetzt bin ich doch mal gespannt, was die Kinder sagen."

Die Reaktionen waren unterschiedlich. So manchen hat er hart heran genommen. Das Fazit bei allen war: „Wir haben uns gesehnt nach Zeichen der Liebe vom Vater. Sie kamen selten. Wenn sie kamen, dachten wir zu schweben."

Eines unserer Kinder sagte: „Mutter, das war schwer für dich mit Vater, aber im Grunde hat er dich geliebt."

 

Mein Mann hatte eine schwere Kindheit. Er ist ohne Vater aufgewachsen und konnte als Erwachsener seine Liebe nur selten mitteilen. Das war auch eine schwere Hypothek für unsere Ehe. Beim Verlobungsgespräch sagte unser Pfarrer damals zu meinem Mann: „Geh nun auch gut mit deiner Freundin um, sie hat ein zartes Gemüt." Mein Mann hat das leicht versprochen, aber hinterher...

 

Kein Wort der Entschuldigung

Ich erinnere mich noch an ein Erlebnis am Anfang unserer Ehe. Mein Vater war gestorben und wir hatten ausgemacht, nicht zur Fastnachtsfeier zu gehen. Ich richtete zu Hause ein schlichtes Essen. Ich hatte alles fertig vorbereitet, da sagte er: „Ich gehe mal kurz auf die Feier sehen, wie es dort geht. Er kam nicht wieder - erst um drei Uhr nachts. Kein Wort der Entschuldigung.

 

Er hat es mir manchmal schwer gemacht, ihn zu lieben. Vor kurzem las ich in einem Buch:  'Man kann auch mit dem Willen lieben.' Das habe ich über weite Strecken so gemacht, dass unsere Ehe nicht auseinander ging.

 

Bitte verzeih mir

Zwei Wochen vor seinem Tod, als er schon pflegebedürftig im Bett lag, sagte er zu mir:

„Setz dich zu mir hierher, schau mir in die Augen. Was habe ich dir nur angetan! Wie habe ich dich behandelt - auch in jungen Jahren - bitte verzeih mir. Ich kann nichts ungeschehen machen. Aber mein Leben wird sich ändern, grundlegend ändern."

Er küsste mich innig.

„Wie bin ich tief ..., tief ..., tief ...

Was hab ich dir nur angetan! Ich kann nichts ungeschehen machen - bitte verzeih mir...

„Nimm das ganze Geld und schau, dass du einmal in ein Pflegeheim kommst. Ich kann dich nicht so pflegen, wie du mich, aber schau, dass du das Geld dafür alles nimmst - ...

Ich möchte in deinen Armen sterben."

 

Das wiegt alles auf

Dieses Erlebnis ist ein kostbarer Schatz für mich und wiegt alles auf! Nach solchen Worten habe ich mich so oft gesehnt. Er konnte sich sonst nicht entschuldigen.

 

Wenige Tage vor seinem Sterben saß ich bei ihm und betete still den Rosenkranz, um ihn mit meinem Gebet nicht zu belästigen. Er hatte die Augen geschlossen. Sprechen war ihm nicht mehr möglich. Ich sagte zu ihm: „Siehst du mich noch?"

Dann schaute er auf und schenkte mir einen so gütigen Blick ... Das war der letzte Blick!

 

Ich bin traurig und glücklich zugleich

Wir haben uns am Sterbebett abgewechselt. In der letzten Nacht saßen unsere beiden Söhne  bei ihm am Bett. Er sagte plötzlich: „Haltet mich fest!" Sie hielten jeder eine Hand fest. Er sagte wieder: „Haltet mich fest!"

„Vater, wir halten dich ganz fest, du kannst dich fallen lassen!" Dann war er ruhig. Das waren seine letzten Worte.

 

Nach dem Tod, als unser Pfarrer kam, sagte ich: „Jetzt bin ich traurig und glücklich zugleich."

Ich bin jetzt nicht allein. Ich musste vorher schon meine Entscheidungen allein treffen, das fällt mir nicht schwer. Ich bin meinem Mann doch irgendwie eigenartig verbunden. Der Glaube ist das Kostbarste, was ich habe. Ich bin meinem Mann verbunden über den Tod hinaus.

 

Aus: UNSER WEG, Schönstatt Familienmagazin, 2/2007

www.unserweg.com


 

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