Das Geheimnis © Sarah Glas

Das eigene Geheimnis zur Entfaltung bringen

02.12.2010


Unsere Kinder sollen ihren eigenen Weg gehen. Wie können wir sie dabei unterstützen und begleiten?

 

Unsere Tochter war recht gut in der Schule. Allerdings hat sie länger überlegt, was danach kommt: Elektrotechnik, Sprachen? Vieles war denkbar. Von der Begabung her hätte sie das alles machen können. Und doch hatten wir das Gefühl: Das ist es nicht. Ein Bekannter meinte: „Sie ist doch so künstlerisch veranlagt. Wie wäre es mit einer Lehre zum Beispiel als Gold- und Silberschmiedin?“ Wir teilten unserer Tochter diese Überlegung mit. Sie strahlte und hat im Herbst diese Ausbildung begonnen.

 

Wenn wir anderen erzählen, was sie jetzt macht, kommen die unterschiedlichsten Reaktionen von „Toll, das kann ich mir bei ihr gut vorstellen“ bis „Was, bei DEN Noten eine Lehre mit Berufsschule?“ Wir fragen uns dann schon manchmal: Was ist uns am Weg eines jungen Menschen wichtig? Dass unsere eigenen Vorstellungen und Erwartungen erfüllt werden, oder dass dieser Mensch mit der Zeit sein eigenes Geheimnis zur Entfaltung bringen kann? Als Eltern können wir unser Kind nur dann begleiten, wenn wir selbst immer wieder fragen: Lieber Gott, du Vater unseres Kindes, was ist dein Plan mit unserem Kind? „Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden“.

 

Pater Kentenich sagt: „Erziehen heißt, fremder Eigenart selbstlos dienen.“ Wir könnten auch sagen: „Wegbegleiter unserer Kinder sein bedeutet, ihrer Eigenart zu dienen, ihre Art zu guter Blüte zu bringen, ihnen den Weg bereiten helfen, den sie ganz speziell nach Gottes Plan gehen sollen.“ Das heißt: unsere eigenen Pläne zurückstellen, Ehrfurcht vor der Person meines Kindes haben. Es heißt, sich vorsichtig vortasten in die Welt meines Kindes.

 

Gott führt unser Kind

„Kinder sind Gäste, die nach dem Weg fragen“. So lautet ein bekanntes Sprichwort. Unsere Kinder sind uns von unserem Schöpfer anvertraut. Sie gehen mit uns und gehen auch wieder allein ihren Weg – und das von Anfang an. Es ist ein spannender Weg, es ist ein Weg der Freude und der Dankbarkeit. Und es ist ein Weg der Fragen, der Unsicherheiten, ein Weg der Sorge und ein Weg des Schmerzes. Ein Weg auch des Trennungsschmerzes.

 

Dieser Weg wird gestaltet von Gott, der uns genau dieses Kind auf den Weg gegeben hat. Er wird von Gott gestaltet dadurch, dass er auch unsere je eigene Lebensgeschichte und Prägung als Vater und als Mutter einkalkuliert. Der Weg wird auch gestaltet durch die Geschwisterkonstellation unserer Kinder, falls wir mehrere haben – oder auch durch die Tatsache, dass ein Kind vielleicht Einzelkind ist.

 

Unser Weg mit unserem Kind verläuft nicht eben und vorhersehbar, weil es Einflüsse von außen auf uns als Eltern und auf unsere Kinder gibt, sodass es immer wieder der Neuorientierung als Eltern bedarf.

 

Was ist der Auftrag unseres Kindes?

Wir sind die ersten Bindungspersonen für unser Kind, und doch gehört es letztlich Gott. Das Kind ist nicht unsere Marionette und auch nicht eine beliebige Knetmasse. Ich kann aus einem Mathematiker keinen Hochleistungssportler machen. Überprüfen wir daher auch immer wieder unsere Pläne für unser Kind und unsere Wünsche und auch das, was unser Kind in seiner Freizeit treibt. Manchmal ist da Einiges, was mehr dem Selbstwertgefühl der Eltern als dem Wohl des Kindes dient. Auch das Kind braucht nicht der Fußballer zu werden, der ich nie wurde.

 

Wir vertrauen darauf, dass unser Kind in sich selbst eine Idee Gottes von seinem Leben trägt. Pater Kentenich nennt dies das „Persönliche Ideal“. Es hat einen Lebensauftrag, zu dem wir letztlich als Eltern keinen Zugriff haben. Lernen wir selbst unser Kind wirklich kennen: Was sehen wir als seine Begabungen? Welche Sehnsüchte hat unser Kind? Welche Signale setzt das Kind? Was braucht es jetzt am meisten? Womit kann es sich am besten ausdrücken: im Sport, in Musik, im Malen, im Gespräch? Wir können unsere Wahrnehmung auch unserem Kind sagen: „Mein Eindruck ist, das Basteln tut dir richtig gut.“ Daher muss auch unser Kind nicht alles machen und können: Es braucht eigentlich nicht jeden Tag ein Freizeitprogramm, denn dann hat es kaum noch Zeit, seine eigenen Interessen und seinen eigenen Schwerpunkt zu entdecken und zu entfalten – und seinen eigenen Charakter.

 

Mithelfen, Gottes Idee umzusetzen

Wir haben einerseits Punkte, von denen wir meinen, es ist gut, wenn unsere Kinder in dieser Richtung eine Grundausbildung haben, um im Leben bestehen zu können, zum Beispiel sich selbst versorgen lernen, Grundkenntnisse im Kochen und Haushalt, Kommunikationsfähigkeit, gemeinsames Tun im Zusammenleben, ein Tanzkurs, der Führerschein. Es ist aber auch hilfreich zu fragen: Welches ist DEIN Spezialgebiet? Jedes unserer Kinder hat inzwischen ein bestimmtes Interessengebiet, in dem es richtig gut geworden ist:

• Unser Ältester ist topfit in Geschichte.

• Unsere Tochter ist Spezialistin in Astronomie und Science fiction.

• Unser Jüngster kennt sich gut mit Computern aus.

 

Jeder kann etwas, jedem hat Gott etwas mitgegeben. Und jeder kann mit seiner Gabe für andere da sein.

 

Die Lebenskraft stärken

Es ist ein Kunststück zu regulieren und zu beschneiden, ohne die Lebenskraft zu schwächen, sondern im Gegenteil zu stärken. Mit den Schwächen unseres Kindes ist in der Regel eine positive Seite verbunden, die es zu beachten gilt. Unsere Tochter war als Kind und Jugendliche sehr verträumt. Es war für uns sehr anstrengend, sie morgens soweit zu bringen, dass sie startklar war für Kindergarten und Schule. Die Kehrseite: Sie kann auch heute noch ganz verweilen im Augenblick, sich ganz einer Sache widmen. Das ist bewunderungswürdig, und sie hat damit auch eine Botschaft für die heutige Zeit und für uns selbst. Eigenart ist nicht Unart. Diese Erkenntnis half uns schon oft, etwas gelassener damit umzugehen und das Kind in sich zu stärken.

 

Aus: unser weg, Schönstatt Familienmagazin 1/2009

www.unserweg.com


 

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