Schmaler Weg: Zugbrücke in Barcelona © K.Glas

Der schmale Weg zur inneren Freiheit

04.04.2011


Pubertät – Schreckgespenst für die einen, notwendige Zeit im Leben ihrer Kinder für die anderen. Für viele Jugendliche ist dies aber sicher die Zeit höher und tiefer zu suchen und das Eigene zu finden. Eine Spurensuche.

 

Veränderungen

Unser ältester Sohn ist elf, unsere Tochter neun Jahre. Wir genießen ein harmonisches Familienleben, viel gemeinsame Zeit und immer wieder schöne Gespräche. Wir nehmen jedoch auch wahr: Der häufigere Blick in den Spiegel, das Tagebuch, „lebensnotwendige“ Zeit mit Freunden, ... Mama, das verstehst du nicht ...“, Unsicherheiten und peinliche Gefühle.

 

Mit Interesse, Freude und Neugier sehen wir diese Veränderungen. Noch haben wir das Gefühl, nah an unseren Kindern dran zu sein. Noch sehen wir entspannt den kommenden Jahren entgegen. Wir beginnen aber bereits zu ahnen, dass sich tiefgreifende Veränderungen anbahnen. Auch wenn wir sehen, dass die Entwicklung unserer Kinder seit Beginn ihres Lebens immer „im Fluss“ ist, scheint die Pubertät eine besondere Aufgabe zu haben.

 

Aufgaben

Henning Köhler schreibt in seinem Buch „Jugend im Zwiespalt“: „Wir haben den für heutige Bewusstseinsverhältnisse wohl noch unvermeidlichen Fehler gemacht, uns oftmals nicht dem Kind, sondern unseren Lieblingsvorstellungen über das Kind zuzuwenden. Davon reißt es sich jetzt los und dieser Prozess ist schmerzlich.“

 

Uns fordert dieser Gedanke heraus, die Bilder, die wir uns über unsere Kinder machen, zu überprüfen und immer wieder neu der sich verändernden Realität nahe zu bringen. Wenn wir davon ausgehen, dass Gott in jedes unserer Kinder sein eigenes originäres Bild hinein gelegt hat, dann müssen wir alles tun, dass dieses Bild zur Entfaltung kommen kann. Dieses Bild zu entdecken und zu leben ist die Aufgabe unserer Kinder – nicht die unsere.

 

Wichtig erscheint mir in diesem Zusammenhang, meine eigene Geschichte nicht in der Lebensgeschichte der Kinder zu verarbeiten. Mit was hatte ich Schwierigkeiten in meiner Pubertät? Was habe ich an unbewältigten Gefühlen aus dieser Zeit mit in mein Erwachsenenleben mitgenommen? Und was „müssen“ meine Kinder deswegen „besser“ oder „anders“ machen?

 

Ungewissheit

Die eigentliche Herausforderung aber sehe ich darin, das Ungewisse zuzulassen, die Kontrolle abzugeben, eben nicht mehr alles im Griff zu haben:

 

„Das Abenteuer des Übergangs von der Kindheit zum Erwachsensein, das Pubertät heißt, führt über einen so schmalen Grat, dass er leicht vom Weg abkommen kann. Dennoch ist es besser, diesen schmalen Pfad einzuschlagen, als später mit einer kindlichen Seele in einem erwachsenen Körper leben zu müssen, denn dann wird es noch schwieriger sein, den Lebenspfad zu finden.“ Diese Worte Jeanne Meijs´, Mutter, Großmutter, Therapeutin und Autorin mehrerer Erziehungsratgeber, sprechen mich sehr an. Sie stellen das Ziel dieser jugendlichen Entwicklungsphase vor Augen: Ein freier Mensch mit seiner gewachsenen Seele, der sich in der Welt der Erwachsenen gut zurecht finden kann. Die Angst vor dem, was „schief“ gehen kann, muss ich als meine Aufgabe nehmen. Und die Antwort auf jede Angst ist das Vertrauen in Gottes liebende Nähe.

 

Innere Haltung

Wenn die Schritte unserer Kinder heute schon größer und weiter werden, versuche ich mich in eine neue Haltung hinein zu arbeiten und ihnen mit dem Wissen um ihre besondere Lebenssituation zu begegnen, die sie in den nächsten Jahren begleiten wird. Ich bin dabei auch immer wieder fasziniert von der Veränderung, die so ganz ohne unser Zutun geschieht. Und wir als Eltern stehen staunend davor, wie die verschiedenen Persönlichkeiten immer klarer werden.

 

„Nur selten bereut ein Mensch die Entscheidungen, die er selbst getroffen hat, sogar dann nicht, wenn er später dazu gezwungen ist, seinen Kurs zu ändern. Häufiger aber bereut man im späteren Leben die vernünftigen Entschlüsse, die andere einem eingeredet haben, auch wenn diese einem Erfolg gebracht haben.“ Diese Sätze las ich in einer Zeitung. Sie erinnern mich auch daran, zurückhaltend zu sein mit meinem vermeintlichen „Erwachsenenwissen“.

 

Wegweiser

Dazu fällt mir das Gespräch mit einer Freundin ein. Sie erzählte mir von einer Predigt, die sie sehr beeindruckt hat. Es ging um Johannes den Täufer – Wegbereiter Jesu. Der Pfarrer überlegte: Was sind die Kennzeichen eines guten Wegweisers?

 

Er muss stimmen. Das, was auf ihm geschrieben steht, muss wahr sein. Übertragen auf uns Eltern: Authentisch sein. Der Wegweiser darf auch nicht im Weg stehen, er bietet sich am Rande des Weges an. Er möchte vielleicht gerne gelesen werden, drängt sich aber nicht auf. Und dazu muss er lesbar sein, in einer Sprache geschrieben sein, die verstanden werden kann: In der Sprache desjenigen der den Weg weiter gehen will.

 

Vielleicht ist dies ein gutes Bild für uns Eltern, die mit ihren heranwachsenden Kindern leben und sie begleiten möchten in ihr eigenes, neues und freies originäre Menschsein.

 

Aus: unser weg, Schönstatt Familienmagazin 3/2009

www.unserweg.com


 

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