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Kinderkrippen - Kritische Anmerkungen

24.05.2012


2007 wurde der Begriff „Herdprämie“ zum Unwort des Jahres gekürt, weil er laut Jury Frauen, die ihre Kinder zu Hause erziehen wollen, diffamiere. Dennoch wird das Wort in jüngster Zeit immer wieder bemüht, wenn es um die Frage geht, ob der Staat den Familien ein Erziehungsgehalt zahlen oder ob er besser in öffentliche Kinderkrippen investieren soll.

 

Beruf und Familie

Für den Ausbau von Krippenplätzen sprach sich vor Jahren die damalige Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) aus. Das Ziel: Bis 2013 sollen 750.000 Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren geschaffen werden. Ein gewichtiges Argument ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Es sei falsch, wenn man Frauen signalisiere, dass sie wegen der Kindererziehung jahrelang aus dem Beruf ausscheiden sollen, so von der Leyen. Klar, wenn bei solchen Äußerungen Gegenwind aufkommt. Manche sehen eine Tendenz zur Kapitalisierung der Familie: Das Zweck- und Nutzen-Denken mache auch vor der Familie keinen Halt.

Der engagierte evangelische Theologe Bernd Wannenwetsch weist stattdessen auf die Würde der Familie hin. Die Familie sei eine Lebensform, die „dem Willen des Schöpfers selbst entstammt.“ Familie habe ihren „Wert“ schon in sich selbst: „unvergleichlich, konkurrenzlos, unersetzbar.“

 

Die Befürworter der Krippen pochen auch auf die vielfältigen Möglichkeiten der Frühförderung. So kommen etwa in der Hamburger Kindertagesstätte der „Bucerius Law School“ schon sechs Monate alte Babys in den Genuss von naturwissenschaftlicher, künstlerischer und sprachlicher Bildung. Schon für Kleinsten ist das Angebot bilingual: deutsch-englisch. Bei der Kita-Eröffnung 2008 schwärmte die damalige Kita-Schirmherrin Loki Schmidt: „Ich finde das Konzept wunderbar - hier erfahren die Kleinen die Begegnung mit Sprache, Kunst und Natur.“

 

Beziehung ist wichtig

Bedenken äußert sich die Journalistin und vierfache Mutter Birgit Kelle. Sie argumentiert, bis zum dritten Lebensjahr sei Liebe wichtiger als Englisch zu lernen. Lieselotte Ahnert, Professorin für Entwicklungspsychologie, spricht gar von einem Frühförderungs-Hype. Sie kritisiert „Jubelmeldungen über Intelligenzsteigerungen dank Mozart-Musik“ und die „reichlich skurrilen Versuche von Eltern, ihrem Nachwuchs in kürzester Zeit möglichst viel beibringen“ zu wollen. Stattdessen macht die international renommierte Expertin klar, worauf es in den ersten Lebensjahren ankommt: „Kinder lernen vor allem durch Menschen, in sozialen Interaktionen und durch emotionale Beziehungen. Deshalb hängt der Ertrag früher Bildungsprozesse von Beziehungs- und Bindungsprozessen ab.“

 

Um den „Glaubenskrieg um die Krippe“ zu beenden, haben Fachleute in den letzten Jahren begonnen, die Sache aus der Perspektive des Kindes zu betrachten. Dabei beziehen sie sich auf Untersuchungsergebnisse, die in jahrzehntelanger Kleinarbeit gesammelt wurden.

Einigkeit besteht darüber, dass ein Kind in den ersten drei Lebensjahren im alltäglichen Umgang mit seiner Mutter Beziehungserfahrungen macht, die für sein ganzes Leben prägend sind. Im günstigen Fall entwickelt ein Kind ein sicheres Bindungsmuster. Die Mutter wird dabei als sichere Heimatbasis angesehen, von der aus die weite Welt erobert werden kann. Der Vater spielt dabei eine wichtige Rolle: Von Natur aus ist der Mann eher ein Explorator, einer der neues Terrain erkundet und der seinen Kindern auch erlaubt, Risiken einzugehen.

 

Natürlich kann das Baby auch zu anderen Erwachsenen enge Bindungen aufbauen. Das ist ja alltägliche Erfahrung. Aber die Eingewöhnung in eine Kinderkrippe muss sehr behutsam erfolgen. Hinweise der Erzieherin, die Trennung von der Mutter müsse kurz und schmerzlos erfolgen, sind nicht bindungsorientiert und schaden dem Kind, so Karl Heinz Brisch, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Das Baby sollte im Beisein seiner Mutter mit der Krippenerzieherin spielen und sich später wickeln und füttern lassen: „Je körpernäher die Pflege ist, umso sicherer muss sich das Baby fühlen.“

 

Erziehung der Erzieher

Neben der vorsichtigen Eingewöhnung spielt die Persönlichkeit der Erzieherin eine große Rolle. Sie sollte, wie der Theologe und Pädagoge Josef Kentenich oft betonte, eine „Erzogene Erzieherin“ sein. Sie darf in „gar keiner Weise traumatisiert oder selbst emotional belastet sein“, betont Brisch. Bislang wird in der Praxis darauf kaum Wert gelegt. Die Psychologin Christiane Ludwig-Körner nimmt kein Blatt vor den Mund: „Während von Piloten selbstverständlich eine Prüfung ihrer Flugtauglichkeit verlangt wird, wozu auch eine Überprüfung ihrer Persönlichkeit gehört, gibt es keinen diesbezüglichen Eignungscheck bei Personen, denen wir unsere Kinder anvertrauen.“

 

Ein Qualitätsmerkmal einer guten Krippe ist auch der Betreuungs-Schlüssel. Er gibt an, wie viele Kleinkinder von einer Erzieherin betreut werden. Nach internationalen Studien ist es ratsam, wenn eine Krippen-Erzieherin nur drei Kinder in ihrer Verantwortung hat. Der real existierende Krippenalltag sieht aber anders aus: Zwei Erzieherinnen haben in der Regel 12 und mehr Kinder unter ihren Fittichen. Wenn, wie in manchen Einrichtungen, darüber hinaus die Pflegekräfte häufig wechseln, ist das mit dem Kindeswohl nicht mehr vereinbar.

 

Kein Wunder, wenn bekannte Erziehungswissenschaftler, wie Jörg Maywald und Bernhard Schön, den Politikern die Leviten lesen: Sie würden in Kauf nehmen, dass vielerorts Einrichtungen „aus dem Boden gestampft“ werden – ohne dass „konzeptionell, personell und räumlich die notwendigen Voraussetzungen“ dafür bestünden. Die Psychoanalytikerin Ann Kathrin Scheerer fragt sich besorgt, „ob institutionelle, kollektive Betreuung in der Zeit der frühesten Prägungen ... besonders unter den unzureichenden gegenwärtigen Bedingungen, ein menschlicher Rückschritt sein könnte“. Steve Biddulph, Psychologe und Autor bekannter Erziehungsratgeber, ist überzeugt: „Es wäre billiger und qualitativ besser, die Familie zu unterstützen.“

 

in: "basis - Zeitschrift aus Schönstatt", 4/2012
patris-verlag.de


 

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