Radfahren im Schnee? Vertrauen! © K. Glas

Kontrolle ist gut, Vertrauen besser

06.12.2010


Wir wollen das Beste für unsere Kinder – aber wie sieht das konkret im Alltag aus? Eine mögliche Antwort gibt die Vertrauenspädagogik von Pater Josef Kentenich.

 

„Wir setzen alles daran, die wenigen Kinder, die wir haben, perfekt zu fördern“, so schreibt Tanja Stelzer in dem Erfahrungsbericht einer Mutter über die Wahl einer Grundschule für ihren Sohn. In ihrem Artikel, der unter dem Titel „Wir wollen ja nur dein Bestes“ im „ZEITmagazin LEBEN“ Nr. 33/2008 erschienen ist, fährt die Mutter fort: „Wir kennen die neuesten (und sich stets widersprechenden) Forschungen zum Fremdsprachenerwerb im Kleinkindalter. Wir lassen die Zähne unserer Kinder versiegeln und führen in der Kita regelmäßig Elterngespräche. Bis zur Erschöpfung tun wir alles, um gute Eltern zu sein und unsere Kinder zu guten Schülern zu machen.“ Wohl kaum eine Elterngeneration war je so eifrig bemüht und zugleich so ängstlich besorgt um eine optimale Förderung ihrer Kinder wie die heutige.

 

Es gibt eine weit verbreitete – meist unausgesprochene – Überzeugung, dass wir als Eltern das Schicksal unserer Kinder in der Hand haben. Wir glauben, dass wir durch die richtige Ernährung, das pädagogisch wertvolle Spielzeug, den richtigen Musikunterricht, Sprachkurs und Sportverein und natürlich die Wahl einer Schule mit dem idealen Konzept alle entscheidenden Weichen für das spätere Wohlergehen unserer Kinder stellen können. Aber sitzen wir nicht einer Illusion auf, wenn wir glauben, tatsächlich die Lebensfäden unserer Kinder in der Hand zu haben?

 

Kontrolle ist gut...

Ohne Frage ist es unsere elterliche Pflicht, wichtige Entscheidungen für unsere Kinder zu treffen. Wir müssen ihnen Regeln und Orientierung geben und dürfen sie nicht einfach sich selbst überlassen. Aber allzu schnell wird uns bewusst, dass unsere Kontrollmöglichkeiten über das Leben unserer Kinder sehr begrenzt sind.

 

Als wir kürzlich unsere älteste Tochter zu ihrem ersten Schultag in die weiterführende Schule brachten, da merkten wir uns und den versammelten anderen Elternpaaren neben dem Stolz auf die heranwachsenden Kinder auch ein gewisses Gefühl der Beklemmung und der Unsicherheit an. Ja, vielleicht war auch ein wenig Ängstlichkeit dabei. Wie wird das jetzt mit den überfüllten Bussen morgens und nachmittags? Werden unsere Kinder mit den neuen Lehrern zurechtkommen? Werden sie bald Freunde finden in der neuen Klasse? Hoffentlich überfordert sie die neue Situation mit den langen Schultagen nicht!

 

Am nächsten Morgen haben wir unsere Tochter noch mal zum Bus gebracht – und wieder mehrere andere Eltern getroffen, mit denen man sich über viele Details des Stundenplans, des Schulranzeninhalts und des Busfahrplans unterhalten konnte. Über all den Einzelheiten stand ein gemeinsames Gefühl: Unsere Kinder gehen jetzt auf die weiterführende Schule, und wir müssen sie loslassen. Ab morgen werden sie alleine zum Bus gehen und erst irgendwann am Nachmittag wieder nach Hause kommen. Kontrolle ist gut, aber wie weit reicht sie wirklich?

 

Vertrauen ist besser!

In der Pädagogik Pater Kentenichs entdecken wir eine Kategorie, die über die Kontrolle hinausweist und von der Ängstlichkeit befreit, nicht alles kontrollieren zu können. Es ist die Kategorie des Vertrauens. Kentenich's Pädagogik kann als eine Pädagogik des Vertrauens verstanden werden. Ihr liegt ein Bild vom Menschen zugrunde, das durch und durch positiv ist. Vertrauen ist die Grundhaltung, mit der der Gründer der Schönstattbewegung den Menschen, die er zu erziehen hatte, begegnet ist. Das ist eine Haltung der Liebe und der Ehrfurcht, die den anderen erst einmal bedingungslos gern hat und ihn groß sieht, weil sie gläubig davon ausgeht, dass er genau so, wie er ist, eine Lieblingsidee des Schöpfers ist. Seine Aufgabe als Pädagoge versteht Kentenich als einen Dienst an dem Anderen, der ihm im letzten auch immer ein Fremder bleibt.

 

Unsere Kinder sind ja nicht unsere eigenen Geschöpfe, sondern diejenigen des unendlich großen Gottes, dessen Pläne wir mit unserem kleinen Verstand nie erfassen werden. So ist es auch geradezu vermessen, wenn wir uns als Lenker und Kontrolleure des Lebenswegs unserer Kinder verstehen.

 

Freiheit schenken

Unsere Aufgabe als Eltern ist es, bei unseren Kindern in jedem Alter und in jeder Entwicklungsstufe jeweils das Wachstum zu fördern, das sich gerade in den Kindern regt. Selbstverständlich brauchen unsere Kinder dazu auch Regeln. Aber es sollten so wenig Regeln wie möglich sein. Und die Regeln müssen verlässlich sein. Starke Persönlichkeiten können sich am besten entwickeln, wenn sie ein hohes Maß an Freiheit und Entscheidungsmöglichkeiten in einem durch klare Regeln eindeutig festgelegten Rahmen genießen. Die Grundhaltung des Vertrauens schenkt Freiheit, nicht nur unseren Kindern, sondern auch uns selbst. Wir trauen ihnen etwas zu. Wir ermutigen sie, dass sie selbst sich trauen, ihren eigenen Weg zu gehen. Nein, wir haben diesen Weg nicht unter Kontrolle. Aber wir dürfen darauf vertrauen, dass er in der Hand dessen aufgehoben ist, der der Grund für alles menschliche Vertrauen schlechthin ist. Mit einer großen Gelassenheit können wir unsere Tochter morgens aus dem Haus gehen lassen. Und wir freuen uns, wenn sie uns gelegentlich durch ihr Erzählen an den großen und kleinen Erlebnissen auf ihrem Weg teil haben lässt.

 

Aus: unser weg, Schönstatt Familienmagazin 1/2009

www.unserweg.com


 

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