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Unser Leben mit Rafaela

05.02.2015


Unsere Tochter Rafaela ist die jüngste von unseren vier Kindern. Sie ist im Februar 17 geworden. Ihre Geschwister sind dann 19, 21, und 23 Jahre. Rafaela ist ein Teenager mit Down-Syndrom.

 

Nichts ist selbstverständlich

Das Leben mit ihr ist einerseits eine besondere Herausforderung, andererseits aber auch ein „Geschenk in einer besonderen Verpackung“. Diese Umschreibung habe ich mal in einer Behindertenzeitschrift gelesen.

 

Das Leben mit Rafaela hat meinen Blick auf den Menschen und menschliches Leben stark verändert. Vieles, was vorher selbstverständlich erschien, wird plötzlich zu einem Geschenk. So erinnere ich mich an eine Situation auf dem Spielplatz. Rafaela war drei Jahre und konnte erst seit einigen Monaten laufen. Andere junge Mütter beklagten sich über ihre Kinder, die ca. 18 Monate waren und nun laufen konn­ten und dadurch natür­lich in der Wohnung für Unordnung sorgten. Ich konnte sie gut verstehen, weil es mir mit unseren drei älteren Kindern genauso ging. Rafaela lernte erst mit drei Jahren laufen, und es war egal, ob sie alles ausräumte oder nicht. Ich war einfach nur dankbar, dass sie über­haupt jetzt laufen konnte. Seit dieser Zeit war es für mich nicht mehr selbstverständ­lich, dass Kinder laufen, allein essen, sich allein anziehen können und so weiter, sondern eher ein Wunder, das Staunen in mir hervorruft.

 

Man kommt an die eigenen Grenzen

Obwohl Rafaela ein son­niges Gemüt hat, fit und aufgeschlossen ist, gibt es viel Alltägliches, was mühsam eingeübt werden muss. Die größte Herausforderung für mich ist die Geduld, das Abwarten und Loslassen können. Sie kann sich allein anziehen, aber es dauert mitunter unendlich lange. Manchmal helfe ich ihr, damit es schneller geht und wir zum Beispiel den Schulbus nicht verpassen. Das hat oft zur Folge, dass sie will, dass man ihr jeden Tag dabei hilft. Genauso ist es beim Zähneputzen. Habe ich einmal erlaubt, es ausfallen zu lassen, ruft das in den nächsten Tagen wieder harte Kämpfe hervor.



Das bringt mich immer wieder an meine körperlichen und seelischen Grenzen, weil es unmöglich ist, immer konsequent und geduldig zu sein. Es hat lange gedauert, bis ich dies als gegeben hinnehmen konn­te. Immer wieder hatte ich Schuldgefühle, Rafaela nicht genug zu fördern oder nicht konsequent genug zu sein. Mittlerweile habe ich gelernt, viel barmherziger und liebevoller mit mir selbst umzugehen.

 

Bereicherung für unser Leben

Gerade in den Situationen, in denen ich einfach nicht weiß, wie ich mich denn ver-halten soll, um zum Beispiel etwas ein­zuüben oder eine Gewohnheit nicht ein­reißen zu lassen, ist die Gottesmutter im Hausheiligtum meine „letzte Rettung“. Dann zünde ich eine Kerze an, schaue die Gottesmutter an und bleibe so lange sitzen, bis ich spüre, dass Gott mich liebt, gerade jetzt in meiner Hilflosigkeit, in meiner Wut und Aggression, in meinem Unvermögen. Lange, lange Jahre war ich überzeugt davon, dass ich vor Gott nur bestehen kann, wenn ich alles richtig mache.

 

So hat das Leben mit Rafaela mich gelehrt, dass Gottes Liebe zu mir nichts mit Leistung und Können zu tun hat. Denn Rafaela kann die Leistungen, die allgemein erwartet werden, nicht erbringen und wird trotz­dem von allen Familienmitgliedern innigst geliebt.

 

Eine weitere Herausforderung ist die „Verlangsamung“. Down-Menschen werden in anderen Kulturkreisen auch „unsere Langsamen“ genannt. Mahlzeiten, Körperpflege, Spaziergänge, Radtouren, Ausflüge, alles geht mit Rafaela langsamer. Vieles geht und vieles geht nicht. Das Loslassen schmerzt oft sehr. Dann versuche ich, es vielleicht als Segen zu betrachten, dass ich einiges absagen „darf“ und die Ausbremsung als gewonnene Ruhe zu sehen. So sind mein Mann und ich herausgefordert, Prioritäten konsequent zu setzen. Und das kann auch richtig gut tun.

 

Eine Bereicherung für unser Leben ist Rafaelas offene Art. Sie ist sehr direkt und sagt, was sie denkt und fühlt. Dadurch ist sie total authentisch, was wir „gesunde“ Menschen allzu oft nicht sind. Wenn sie mich einfach so ohne Grund umarmt und sagt: „Mama ich hab Dich lieb, du bist die Beste“, dann macht mich diese einfa­che, schlichte Art sehr glücklich. Sie bringt uns oft mit ihren „coolen“ Sprüchen zum Lachen. Wer sie kennt, mag sie einfach!

 

Übrigens: Rafaela heißt „Gott heilt“



T. und M. Korbach

Aus: unser weg, Schönstatt Familienmagazin 1/2013

www.unserweg.com


 

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