Foto: Christoph Armbrust

Wenn Eltern schwierig werden

13.04.2014

 

In gereiztem Ton fragte mich mein 18-jähriger Sohn, wo Akku-Schrauber und Stichsäge seien. Er wolle ein Regal bauen und bräuchte die Sachen sofort. Ich reagierte nicht angemessen, weil ich müde war. Das brachte ihn erst recht auf die Palme. Wir suchten und fanden das Werkzeug schließlich. Kurz darauf vernahm ich aus dem Hobbykeller ein Stockwerk tiefer das bekannte Geräusch der Stichsäge. Vielleicht sollte ich noch erwähnen: Es war 3 Uhr in der Nacht - und anderntags warteten auf meinen Sohn die Lehrer und auf mich Klienten in der Praxis.
 
Zwischen 15 und 25 Jahren werden viele Jugendliche zu „Eulen“: sie gehen spät schlafen. Das Problem ist nicht damit gelöst, die Kids früher ins Bett zu schicken, denn der Schlaf-Wach-Zyklus ist nach hinten verschoben. Von den neun Schlaf, die Heranwachsende benötigen, gehen so schnell ein, zwei Stunden pro Nacht verloren. Die Folge: Jungen und Mädchen sind unter der Woche müde und am Wochenende bis zum Mittagessen abwesend, weil sie den Schlaf der Gerechten nachholen. Einige US-amerikanische Highschools haben auf das jungendtypische Phänomen reagiert und den Unterrichtsbeginn auf 9 Uhr verschoben. Der Entwicklungsbiologe John Medina unterstützt diese Maßnahme. In seinem Buch „Gehirn und Erfolg“ hat er dem Schlaf ein eigenes Kapitel und eine eigene „Gehirn-Regel“ gewidmet: „Sleep well, think well.“
 
Der chronische Schlafmangel hat nachweislich einen Einfluss auf die kognitiven Fähigkeiten und die Befindlichkeit. In einer Studie mit Schülern stellte sich heraus, dass bei weniger als sieben Stunden Schlaf selbst die Klassenbesten nur noch schlechte Zensuren nach Hause bringen. Eine schlaflose Nacht, wie sie bei einem Disco-Besuch schon mal vorkommt, führt zu einem Rückgang der geistigen Fähigkeiten um 30 Prozent. Während der Nacht wird das in der Schule Gelernte im Kopf geordnet und mit vorhandenem Wissen verknüpft. Der Hirnforscher Manfred Spitzer erklärt, was im Gehirn passiert: „Das geordnete Wechselspiel von Tiefschlaf und Traumschlaf dient dem Transfer und der Off-line-Verarbeitung von neu erlernten Inhalten.“ So hat die Bibel doch recht: „Den Seinen gibt der Herr es im Schlaf“ (Ps 127, 2).
 
Als mein Sohn mich mitten in der Nacht weckte, reagierte ich gereizt. Ihm geht es ähnlich, wenn ich ihn am Wochenende wecke, um den Rasen zu mähen. Unregelmäßige Ess- und Schlafgewohnheiten beeinträchtigen die Befindlichkeit. Diese können entweder zu vermehrter depressiver Verstimmung oder zu mehr aggressiven Verhaltensweisen führen. Das war, so scheint es, schon immer so. So klagt um das Jahr 400 der Kirchenlehrer Augustinus über penetrante Pennäler: „Sie stürmen unverschämt herein und zerstören mit frecher Stirn alle Ordnung, die man zur Förderung des Unterrichts eingeführt hat. In unglaublicher Roheit verüben sie tolle Streiche und müssten nach den Gesetzen bestraft werden, schützte sie nicht die Gewohnheit“ (Bekenntnisse, S. 123).
 
Neben den Schlafproblemen haben Jugendliche noch andere Sorgen. Sie müssen lernen, ihren Körper mit seinen vermeintlichen Makeln zu akzeptieren. Vor allem den Mädchen fällt es oft schwer, sich in ihrer Haut wohlzufühlen. Diäten und Hungerkuren können zu Ess-Störungen führen. Sexuelle Impulse und das erregte Anstarren nackter Frauen im Internet beschäftigen manchen jungen Mann. Vor diesem Hintergrund haben es unsere Kinder nicht gerade leicht, die großen Fragen des Jugendalters zu beantworten: „Wer bin ich?“, „Wie sehen mich andere?“, „Was will ich machen in dieser Welt?“
 
Die Identität stellt nach Ansicht der meisten Entwicklungspsychologen das zentrale Thema des Jugendalters dar. Es geht zum einen um Selbst-Erkenntnis, zum anderen um Selbst-Gestaltung. Als junger Vertrauenslehrer und geistlicher Begleiter hat Josef Kentenich 1912 seine Schüler aufgerufen: „Wir wollen lernen..., uns selbst zu erziehen zu festen, freien... Charakteren!“ Das konnte nach Überzeugung der kirchlichen Schule, an der er unterrichtete, nur mit Gottes Hilfe gelingen. Überraschend war für die frommen Schüler aber der Hinweis auf das Miteinander: „Wir wollen lernen. Nicht bloß ihr, sondern auch ich. Wir wollen voneinander lernen. Denn niemals lernen wir aus, zumal nicht in der Kunst der Selbsterziehung.“
 
Für mich als Vater dreier heranwachsender Kinder (22, 18, 16) sind diese Worte wichtig geworden. Ich lerne von meinen Kindern. Und mein Sohn lernt von mir, vor allem dann, wenn ich Vorbild bin: wenn ich selber auf etwas verzichte, wenn ich mich ehrenamtlich engagiere, wenn ich versuche, täglich 10.000 Schritte zu gehen – mit Hilfe eines elektronischen Schrittzählers. Identitäts-Arbeit ist für beide Seiten anstrengend. Da tut es gut, sich zu besinnen, dass Gott ein „Gott des Lebens“ ist, der gerade auch dort ist, wo es schwer ist. Aber auch dort, wo gelacht wird, wo unerwartet Komisches passiert.
 
So wollten meine Frau und ich an einem sonnigen Sonntagabend im offenen Cabrio zum abendlichen Gottesdienst fahren. Aber – das schicke Auto war weg. Sofort fiel mir mein Sohn ein. Tatsächlich meldete er sich freudig am Handy: „Vadder, es ist total cool hier. Ich bin mit vier Kameraden zum Guckaisee gefahren. Von dort sind wir zum „Pferdskopf“ aufgestiegen, wo wir gerade Shisha rauchen. Gut, dass wie beide erst neulich hier waren, so konnte ich allen die schöne Gegend hier zeigen...“
 
So kann's gehen, wenn man mit seinem Sohn von frühester Kindheit an viel unterwegs war. Als Psychologe hätte ich ja wissen müssen, dass Kinder „am Modell lernen“. Als Vorbilder haben wir mächtig Einfluss. Was wir im Laufe der Jahre alles Gute bewirken – mit Gottes Hilfe - „tun wir im letzten Grunde nicht durch den Glanz unseres Wissens, sondern durch die Kraft, durch den inneren Reichtum unserer Persönlichkeit“, war Josef Kentenich überzeugt.
 
Literatur-Tipps
Medina, John (2009). Gehirn und Erfolg. 12 Regeln für Schule, Beruf und Alltag. Heidelberg: Spektrum.
Schneewind, Klaus A. & Böhmert, Beate (2011). Jugendliche kompetent erziehen. Der interaktive Elterncoach „Freiheit in Grenzen“. Bern: Huber.


 

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