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Der Schönheit auf der Spur

05.01.2019

 

Eine Freundin erzählte mir letztes Jahr schonungslos ehrlich: „Als es langsam Frühling wurde und die Natur wieder aufzublühen begann, bekam ich Lust, neue Farbe in meinen Kleiderschrank zu bringen – bzw. Farbe an mich selbst ‘ranzubringen. Beschwingt machte ich mich auf in die Stadt. Doch vor dem Spiegel in der Umkleidekabine war es plötzlich aus mit dem Schwung. Mein Spiegelbild knallte mir unbarmherzig entgegen: ‚Du bist nicht mehr gerade schlank. Und sportlich bist du auch nicht mehr – und schon gar nicht mehr jugendlich, anmutig, sondern … Tja, du bist eben aus der Form geraten, mit zu vielen Kilos um die Körpermitte herum behaftet, bindegewebe-belastet ...‘

Dabei möchte ich doch so gern aussehen, wie ich meine, aussehen zu können oder zu sollen. Denn ich bin sicher, dann würde mir alles, was mir jetzt schwerfällt, viel besser gelingen. Allein schon, weil ich dann immer gute Laune hätte und mich alle mögen würden …“

Erkennen Sie sich wieder?
Manchmal genügt ein Blick in den Spiegel, um meine gute Laune, meine beschwingte Stimmung in den Keller zu setzen. Ich mache mein Selbstbewusstsein, mein Tagesgefühl, meine Tagesstimmung von einem einzigen Blick abhängig. Und ich stelle einen seltsamen Zusammenhang her, einen Zusammenhang, den es in der Realität gar nicht gibt. Ich unterstelle nämlich: Wenn ich schlank und gut aussehend wäre (was immer das auch heißen mag), dann wäre ich gleichzeitig beliebter, sympathischer, besserer Laune und irgendwie erfolgreicher.

Dabei fällt mir sofort meine Nachbarin ein. Sie ist wirklich gertenschlank, kleidungsmäßig „on top“ – aber chronisch schlecht gelaunt und in der Regel ohne jegliche positive Ausstrahlung. Wogegen Gerda, unsere Bäckersfrau, ihre Figur kaum gebändigt bekommt, meist in einer überdimensionalen, formlosen weißen Schürze steckt, aber mit glücklich wirkenden roten Bäckchen Fröhlichkeit und Zuversicht in ihrem kleinen Geschäft verbreitet und für jeden das passende Wort findet.

Gibt es das: DIE Schönheit?
Gibt es sie eigentlich: DIE Schönheit? Nein, es gibt kein allgemein gültiges Schönheitsideal. Unsere Vorstellungen von Schönheit sind kultur- und zeitabhängig. Was vor 50 Jahren als „schön“ galt, wird heute durchaus nicht mehr in derselben Weise anerkannt – und was heute als „schön“ bezeichnet wird, wird in zehn, fünfzehn Jahren sicher nicht mehr den jetzigen Kriterien entsprechen, denn sie werden sich bis dahin schon wieder verändert haben.

In China gelten kleine Füße als anziehend und attraktiv. In Punjab, einem indischen Bundesstaat, begrüßen sich die Bewohner mit den anerkennenden Worten: „Du siehst heute frisch und fett aus“ – und das ist wertschätzend gemeint. In Afrika, im Tschad, wo wir drei Jahre lebten, waren dicke Frauen die speziell beliebten. Dick wurde gleichgesetzt mit: gesund, kräftig, kann viele Kinder gebären und harte Arbeit auf dem Feld leisten. (Falls Sie Probleme mit Ihrer „Fülle“ haben, gehen Sie einfach in den Tschad! Dort werden Sie geschätzt und bewundert werden! )

Warum Schönheit für Frauen so bedeutsam ist
Das Selbstwertgefühl von Männern scheint primär durch ihr Handeln und Können bestimmt zu sein – wobei die „männliche“ Schönheitsindustrie in den letzten Jahren durchaus auch ihre Anhänger gesucht und gefunden hat. Frauen sind, egal ob sie sich schön finden oder nicht, anfälliger für eine überbetonte Beschäftigung mit ihrem Aussehen und dessen Wirkung auf andere. Was uns via Werbung und Medien tagtäglich suggeriert wird, erweckt den Eindruck, äußere Attraktivität würde gleichzeitig innere Attraktivität, Erfolg, Glücksgefühle sowie Ausgeglichenheit zur Folge haben. Oft merken Frauen nicht (genügend), dass es der Schönheitsindustrie nicht auf ihre innere Zufriedenheit ankommt, sondern es einzig und allein um leere Versprechungen bzw. hartes Geld geht.

Wahre Schönheit kommt von innen
Eigentlich wissen wir es doch von uns selbst, oder? Stellen Sie sich mit Ihrem inneren Auge drei Frauen vor, die Sie ehrlich bewundern. Entsprechen sie dem gängigen Schönheitsideal? Von den drei Frauen, die mir spontan einfallen, hat eine links unten am Kinn ein überdimensionales Muttermal, die nächste hat ausgeprägte X-Beine, und die Dritte muss mit einer ziemlich brüchigen Stimme klarkommen. Aber ganz ehrlich: Das fällt mir im Umgang mit ihnen überhaupt nicht mehr auf, denn Clara mit dem Muttermal singt unglaublich schön und geht mit viel Fröhlichkeit und Leichtigkeit durchs Leben, ihr zu begegnen ist einfach nur Mut-machend. Und Annegret mit den X-Beinen hat unwahrscheinlich viel Humor. Dadurch hat sie schon manche verzwickte Situation gerettet, und ihr perlendes, ansteckendes Lachen lässt einen trübsinnige Gedanken völlig vergessen. Hanna mit der brüchigen Stimme kann zuhören wie ein Weltmeister. Sie gibt sich Mühe, ganz genau hinzuhören, um herauszufinden, was ihr Gegenüber bewegt und was es braucht. Und sie kann mit wenigen Worten weise Rückfragen stellen oder Tipps geben, die einen Weg zeigen und weiterhelfen.

Hätte ich etwas von diesen Dreien, wenn sie zwar makellose Schönheiten wären, diese für sie typischen charakterlichen Eigenschaften aber niemals ausgeprägt hätten? Nein! Außer einem bewundernden „O, sind die schön!“ würde für mich und alle anderen nichts „abfallen“. Und noch zugespitzter: Ich glaube, ich würde sie – trotz aller äußeren Schönheit – auch nur dann schön finden, wenn sie nicht unnahbar, eingebildet und kalt wären, sondern zugewandt, warmherzig, freundlich.

Charme macht schön
Charme ist das, was Frauen zutiefst schön macht – unabhängig von irgendwelchen Traum-Maßen, die wir vielleicht niemals erreichen werden und die, objektiv betrachtet, für geglücktes Menschsein auch nicht wichtig sind. Achtsamkeit sich selbst gegenüber und eine innere Ruhe, die ausstrahlt und sich liebevoll auf andere überträgt – wiegt das nicht sehr viel mehr als äußere „Form-Schönheit“? Die Art zu lächeln oder jemandem ermutigend zuzublinzeln. Die Klarheit im Verhalten, an der andere andocken können. Gelassenheit im Umgang mit eigenen Schwächen und mit den Fehlern anderer. Das bewusste Einnehmen einer eigenen Position. Innere Schönheit eben, die nichts Aufgesetztes, Abgegucktes, Angeklebtes ist, sondern klar wirkt: ehrlich, zugewandt, mitfühlend, fröhlich. Und die eine gewisse Leichtigkeit verströmt. Eine Leichtigkeit, die allen, die mit dieser Person zusammentreffen, innerlich Mut macht, dass dieses Leben doch nicht so düster, gefährdet und sorgenvoll ist, wie sie bisher vielleicht dachten.

Was ist bei mir dran?
In meinen „Zehn Minuten“ Rückzugszeit am Tag, in denen ich eine Kerze entzünde und mich auf unserem bequemen Sofa gegenüber vom Kreuz und Marienbild „parke“, überlege ich: Was ist bei mir dran – jetzt, heute, in diesem Moment? Wenn ich nicht mehr in den Spiegel schauen kann, ohne mich selbst schrecklich zu finden und zu verdammen, ist es höchste Zeit, damit aufzuhören, meinen Schöpfer weiter zu kritisieren – denn das tue ich ja, wenn ich mich äußerlich schrecklich finde –, sondern mir auf einem Gebiet selbst mehr Achtung zu schenken.

Immer wieder fällt mir auf, wie rasch Frauen ihre Einstellung zu sich selbst verändern, wenn sie etwas für sich selbst tun. Da ist zum Beispiel Gerda, die sich eine Farb- und Stilberatung von ihrem Geburtstagsgeld gönnt. Oder da ist Sabrina, die sich körperlich und dadurch auch seelisch viel besser fühlt, seit sie an der Aqua-Gymnastik teilnimmt. Oder Lore, die sich den „Tag der Frau“ freigehalten hat und nun hochmotiviert mit neuen Ideen zum Entrümpeln und Entgiften nach Hause kommt. Und da ist Lea, die seit kurzem in den Chor geht und spürt, wie sie ihre Sorgen geradezu wegsingen kann und wie gut es ihr tut, diese zwei Stunden jeden Mittwochabend in Gemeinschaft mit anderen zu verbringen.

Was ist es bei mir? Welchen „kleinen Punkt mit großer Wirkung“ will ich verändern? Was gönne ich mir, um mein Ja zu mir kraftvoll und mit Charme sprechen zu können?

Die Gottesmutter ist auch in diesem Bereich eine recht gute Beraterin. Und auch hier gilt: „Neues wagen. Mit dir.“

Packen wir’s an! In uns selbst und für unser Umfeld geht eine wärmende, kraftvolle Sonne auf, wenn wir ein volles Ja zu uns selbst sprechen können. Warum sollten wir es uns und der Welt vorenthalten?

Immer wieder neu
Für mich selbst habe ich einen neuen Gradmesser entdeckt: Wenn ich – beim Besuch meiner Mutter im Altenheim – täglich mit dem Aufzug in den vierten Stock fahre, erwartet mich dort oben ein riesiger Spiegel. Schaffe ich es, reinzuschauen, mir zuzunicken, zu schmunzeln oder sogar zuzulächeln – und mir „dahinter“ Gottes ermutigendes Lächeln abzuholen?

Gestern wollte ich unbedingt zu Fuß hochgehen ... Nun ja, da werde ich heute Nachmittag in meinen „Zehn Minuten“ wohl doch mal mit Maria überlegen müssen, an welcher Stelle ich wieder etwas „Feuer“ für mich nachlegen darf.

in: BEGEGNUNG- Zeitschrift aus Schönstatt für Frauen 1/2018
www.zeitschrift-begegnung.de


 

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