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Warum bist Du queer?

02.10.2022

Queere Menschen in der Kirche

Am 24. Januar 2022 wurde in der ARD die Dokumentation „Wie Gott uns schuf“ ausgestrahlt. In der Sendung kamen mehr als 100 Personen zu Wort, die im Dienste der katholischen Kirche stehen. Das Besondere: Priester und Ordensleute, Gemeindereferentinnen und Bistums-Mitarbeitende bekannten sich dazu, schwul oder lesbisch zu sein. Unter den Befragten war auch Pfarrer Armin Noppenberger.

Klaus Glas: Pfr. Noppenberger, Sie haben bei der ARD-Dokumentation „Wie Gott uns schuf“ mitgewirkt. Sie sagten im Interview, sie seien „katholischer Priester und schwul“. Was hat Sie bewogen, mit dieser Aussage an die Öffentlichkeit zu gehen?

Pfr. Noppenberger: Die Solidarität mit 124 anderen Mitmenschen im kirchlichen Dienst und deren arbeitsrechtlich unsichere Grundlage, wenn sie ihre Orientierung in Beziehung leben wollen; mit ihnen und auch für sie mit zu bewegen. Die im Herbst 2018 veröffentlichte MHG-Studie und ihre Empfehlung, wie Kirche mit dem Faktum umgehen soll, dass verhältnismäßig viele Priester homosexuell sind. Ich habe seitdem nach einer Möglichkeit gesucht, zunächst in meine Heimatdiözese hinein zu einem offeneren, ernsthafteren Gespräch beizutragen; zu helfen, das ungute Schweigen zu überwinden. Mit mir persönlich und meiner Orientierung bin ich seit zehn Jahren völlig d‘accord, sie ist ein Teil von mir. Ich danke Gott dafür im Sinn von Psalm 139,14. So engagiere ich mich mit versöhntem Herzen.

Klaus Glas: Was war die schlimmste und was war die schönste Reaktion auf Ihr Coming-out?

Pfr. Noppenberger: Unter anderem, dass am 30. Januar 2022 mehr als 80 Prozent der Gläubigen mit einer Mund-Nasen-Maske in Regenbogenfarben im Gottesdienst waren (Die Regenbogenfahne steht für die Vielfalt von Schwulen und Lesben in aller Welt). Die krasseste Reaktion war ein verschlossener, leerer, anonymer Briefumschlag mit dem Absender „Die Bibel – Gottes Wort“. Darunter geschrieben zwei pink markierte Bibelstellen, in denen steht, dass Menschen, die homosexuelle Handlungen vollziehen, getötet werden sollen (Levitikus 20,13) bzw. den Tod verdienen (Römerbrief 1,32). Dabei wird - das ist auffallend - homosexuellen Menschen schon von vornherein sündiges Verhalten unterstellt. Es scheint mir ein reaktionäres Kommentierungs-Muster zu sein, das sich quer durch die christlichen Konfessionen und Kirchen zieht. Gegenüber heterosexuellen Menschen beobachte ich das so gut wie nicht.

Klaus Glas: Die Laien in der Kirche interessiert natürlich auch, wie viele katholische Priester schwul sind. Was wissen Sie dazu aus Ihrem Umfeld oder aus Studien, - sofern es da welche gibt?

Pfr. Noppenberger: In der Kirche des deutschsprachigen Raums dürften es bis zu 30 Prozent aller Priester sein. Der Theologe, psychologische Therapeut und ehemalige Leiter des Recollectio-Hauses Münsterschwarzach Dr. Wunibald Müller schätzt das so ein – aus seiner über 25 Jahre langen Begleitungsarbeit mit Priestern in Lebens- und Berufungskrisen. Während meines Studiums Mitte der 1990er Jahre habe ich ähnliches gelesen über den nord- und südamerikanischen Klerus.

Klaus Glas: In jüngster Zeit liest man in Veröffentlichungen öfter die Worte „Queer“ oder „Queer-Sein“. Was ist damit gemeint?

Pfr. Noppenberger: Das englische Wort „queer“ bedeutet ursprünglich „ungewöhnlich“ oder „seltsam“. Zuerst war es ein Schimpfwort für alle lesbischen, bi-, trans- und intersexuellen Menschen und insbesondere für schwule Männer. Heute verwenden das Wort „queer“ oder „schwul“ all diese Menschen als positive Selbstbezeichnung. „Queer“ oder „Queer-Sein“ ist ein Sammelwort für Menschen, die nicht heterosexuell sind und/oder deren Geschlechtsidentität oder Geschlechts auftreten nicht mit den Vorstellungen der Mehrheitsgesellschaft, z. B. nicht mit dem bei der Geburt zugeordneten Geschlecht, übereinstimmt.

Klaus Glas: Viele queere Menschen in der Kirche fühlen sich diskriminiert. Wie sehr haben Sie selbst entsprechende Erfahrungen gemacht, die sie als verletzend empfunden haben?

Pfr. Noppenberger: Als Priester bin ich mit vielen anderen in einer Rolle, in einem Stand, in dem Diskriminierung eigentlich hauptsächlich im Stillen und im systemischen Schatten der Kirche spürbar wird, es fällt nach außen kaum auf. Man spürt es ab da innerlich, wo einem die Auseinandersetzung mit der eigenen Orientierung nicht mehr erspart bleibt, wo man sie nicht mehr verdrängen kann. Man braucht selbst noch nichts gesagt zu haben, da spüren es andere. So hat mir vor Jahren einmal ein jungerwachsener Mann aus der Gemeinde unvermittelt im Smalltalk gesagt, er sei der Meinung, alle Schwule gehörten weggesperrt und verschwand wieder im Party-Getümmel.

Klaus Glas: Wenn man an die Öffentlichkeit geht, hat man ja eine Botschaft. Welche Botschaft wollen Sie den Brüdern und Schwestern im Glauben vermitteln? Und zu was wollen Sie die Gläubigen bewegen?

Pfr. Noppenberger: Seid ohne Furcht, überwindet die Angst, wählt den Mut! Sucht proaktiv das Gespräch. Es bricht die Macht unguten Schweigens und Verschweigens. Bei Kindern und Jugendlichen, die sich schwertun mit ihrer queeren Orientierung: klar zu kommen. Das kann manchmal Leben retten! Ich möchte alle „normalen“ Gläubigen dazu ermutigen, den Erfahrungen der queeren Mitchrist:inn:en zu trauen; konkret das Gespräch und den reflektiert selbstverständlichen Umgang mit ihnen zu üben und zu pflegen. Da sind wir pastoral erst am Anfang.

Klaus Glas: Was bedeutet Ihr öffentliches Coming-out für andere Gemeinschaften der Schönstatt-Familie, etwa für die Familien oder die Schönstätter Marienschwestern? Ich könnte mir vorstellen, dass Sie da buchstäblich als Queer-Treiber oder Störenfried wahrgenommen werden...

Pfr. Noppenberger: (lacht) Ja, Störenfried fiel schon im humorvollen Zusammenhang. Aber es gibt bestimmt auch einen Denk-Anstoß zum Gespräch. Warum nicht in der Gemeinschaft ein geschütztes und einfühlsames Gespräch zum Gesamtthema mit Mitschwestern, die noch Zeit- und Lebenszeugen von Ihrem Gründer sind und dessen geistliche Begleitung genossen haben? Anstoß zum Austausch erhoffe ich mir auch im Netzwerk der Familien-Gemeinschaften. Queer-Sein, Homosexualität kommt eben „in den besten Familien“ vor! Da darf das Thema doch auf den Tisch und ins Gespräch, das hilft allen. Da muss sich die „Pädagogik der Liebe“, bei der es ja um Bindung und Freiheit geht, bewähren. Am 26. Januar sprach Franziskus I. in der Generalaudienz außerhalb seines Manuskriptes auch zu jenen Eltern, „die unterschiedliche sexuelle Orientierungen bei ihren Kindern sehen; und wie sie damit umgehen und ihre Kinder begleiten und sich nicht in einer Haltung der Verurteilung verstecken“ mögen. Ihnen rief er zu: „Habt keine Angst … Verurteilt niemals ein Kind.“

Klaus Glas: Noch immer gilt der Satz: Wir können in der Katholischen Kirche in Deutschland zwar manches ausprobieren. Aber wenn Rom nicht mitspielt, bewegt sich am Ende: nichts. Was erwarten Sie vom Papst in Bezug auf das Queer-Sein in der katholischen Kirche?

Pfr. Noppenberger: Von Papst Franziskus und seinen Kollegen im Bischofsamt erwarte ich, die „unter-komplex“ gebliebene Beurteilung homosexuellen Seins und Lebens rasch und gründlichst zu überdenken. Die päpstliche Bibelkommission empfiehlt dazu im Dokument „Was ist der Mensch?“ aus dem Jahr 2019 eine die Wissenschaften übergreifende Diskussion. Und ich erwarte, dass sie zugleich damit aufhören, mit dem Argument von Tradition und Lehre permanent auch eine langlebige Tradition der Diskriminierung des Queer-Seins zuzulassen. Das sollten Christ:inn:en nicht mehr länger tun, es ist sehr weltlich. Ich erwarte das erkennbare Bemühen, künftig für die Ehe und Familie so einzutreten, dass das nicht mehr auf Kosten nicht-heterosexuell orientierter Menschen geschieht. Denn bisher sind diese angeblich daran schuld, dass das Ehe-Ideal verdunkelt wird.

Klaus Glas: Haben Sie Ihren Schritt an die Öffentlichkeit bereut?
Pfr. Noppenberger: Nein, keinen Tag!

Klaus Glas: Zum Schluss möchten wir Sie fragen nach Ihrem Lieblingszitat von P. Josef Kentenich.
Pfr. Noppenberger: „Unser echtes Menschsein soll für die anderen Brücke zum Göttlichen sein.“

Klaus Glas: Pfr. Noppenberger, Danke für das Gespräch!

 


 

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