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Der Mann und sein Charisma

26.08.2009


Nach Jahrzehnten der Frauenbewegung kommt - langsam, aber sicher - Bewegung in das Leben des Mannes. Neben dem traditionellen Typ von Mann, dem die berufliche Karriere über alles geht, gibt es den neuen Mann, der sich um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf redlich bemüht. Jeder fünfte Mann ist dem neuen Typus zuzurechnen. Die meisten Männer aber sind verunsichert in ihrer Rolle.


In die Erlebniswelt des modernen Mannes gehören Religion und Kirche nicht mehr dazu. Nach einer Studie, die im Auftrag der katholischen und evangelischen Männerarbeit durchgeführt wurde, bezeichnen sich die Hälfte der befragten Frauen, aber nur etwas mehr als ein Drittel der Männer als religiös. Dabei ist der Begriff „religiös" sehr weit gefasst.

Betrachtet man den regelmäßigen Kirchgang sieht es ziemlich mau aus: von den 40 - 49jährigen Männern gehen 12%, von den 30 - 39jährigen gerade Mal 2% sonntags in die Kirche (Zulehner & Volz, 1998, S. 207 ff).

Für 97% der Männer gehört dementsprechend eine gemeinsame religiöse Überzeugung nicht zu dem, was man sich unter einer idealen Ehe vorstellt. Bei der Bewältigung von Lebenskrisen und Leid hat der religiöse Glaube als Kraftquelle ausgedient. Vom „Gott des Lebens", wie ihn Pater Kentenich gekündet hat, kann der heutige Mann nur wenig in sich und seiner Umwelt entdecken.

Kirchlich engagierte Männer und Väter stellen eine Minderheit in der modernen Welt dar. Sie brauchen ein starkes Gegensatzbewusstsein. Dazu gehört der Mut zum Anderssein in Ehe, Familie und beruflichem Alltag.

 

Ehemann

Eine Erziehungsaufgabe des Mannes besteht darin, vom Pascha zum Partner zu werden. Das ist leichter gesagt als getan. Denn von Natur aus ist der Mann eher aufs Kämpfen und Herrschen aus. Obwohl das Bibel-Wort „Bevölkert die Erde, unterwerft sie euch" (Gen 1, 28) an beide Geschlechter gerichtet ist, hat sich vor allem der Mann mit diesem Auftrag identifizieren können. Tatsächlich hat der Schöpfer der Mannesnatur eine große Portion Aggression mitgegeben. Nach außen wird das schon im Verhalten der Jüngsten sichtbar: jeder Junge erprobt gerne seine Kräfte in kleinen Kämpfchen. Seine Geschwister, vor allem die Schwestern, können ein Lied davon singen. Den Knaben geht es dabei nicht nur ums Spiel. Man(n) beginnt nämlich ernsthaft, um Vorrechte zu kämpfen. Dabei sind die kleinen Helden nicht gerade zimperlich. Sie beanspruchen ihre vermeintlichen Rechte oft mit brachialer Gewalt. Schnell wird in der Kindergruppe klar, wer der „King" ist. Rangpositionen stehen dann - sofern die Gruppe zusammenbleibt - auf Jahre hin fest. Dieses männertypische Verhaltensmuster trifft man in vielen Kulturen (Bischof-Köhler, 2004). 

 

Es scheint, als ob in jedem Mann ein Krieger stecke. Das ist auch wörtlich zu verstehen, denn die Herstellung von Waffen und das Kriegführen sind eine männliche Angelegenheit. Nach kirchlicher Vorstellung ist die im Mann angelegte „Tendenz, den anderen zu beherrschen" auf den „Bruch mit Gott durch die Sünde im ersten Menschenpaar" zurückzuführen, also ein Folge der Erbsünde (Kongregation, 2004).

 

Dass der Ehemann seiner Gefährtin mehr Kamerad sein soll entspricht übrigens neueren psychologischen Erkenntnissen. Für den Psychologen und Ehe-Experten John Gottman (2000) ist wahre Freundschaft zwischen den Eheleuten das wahrscheinlich wichtigste Geheimnis einer glücklichen Beziehung. Vorraussetzung für diese Freundschaft ist das „den anderen ernst nehmen, ohne seine Gefühle zu bewerten" (Grün, 2003, S. 134). Dazu muss der Mann in der Ehe bereit sein, Macht abgeben. Das trifft auf unterschiedliche Lebensvorgänge zu. Beispiel Gesundheit: Würde ein Ehemann mehr auf seine Frau hören, würde er sich besser ernähren und bei körperlichen Beschwerden rechtzeitig zum Arzt gehen würde. Tatsächlich reagiert das Herz-Kreislaussystem eines Mannes viel sensibler auf Stress als das weibliche. Vielleicht wäre mancher Mann auch zufriedener, wenn er Nörgeleien seiner Frau zum Anlass nähme, an der Kommunikation in der Partnerschaft zu arbeiten.

 

Vater

Durch die Mutter lernen die Kinder die christlichen Bräuche und Rituale kennen. Meist kümmert sie sich um Tisch- und Abendgebet und schickt die Kleinen zur Messdienerstunde. Für den religiösen Glauben der heranwachsenden Kids spielt der Vater aber eine ungleich wichtigere Rolle: ob die jugendliche Tochter den Glauben an Gott als einen Wert ansieht oder ob der Sohn auch mit 30 Jahren noch in die Kirche geht, hängt wesentlich vom Vorbild des Vaters ab. Wissenschaftlich ausgedrückt: die Einstellungen des Vaters zu Gott und Kirche haben langfristige Wirkungen auf das religiöse Leben der erwachsenen Kinder (Gareis, 2000, S. 53).

 

Gemeinsam mit den jüngeren Kindern und später für die jugendlichen Kinder beten ist eine anspruchsvolle Aufgabe für den christlichen Mann von heute. Der ist ein Mann, der beten kann. Zumal er sich gesellschaftlich auf glaubensfernem Terrain bewegt. Hinzu kommen die Schwierigkeiten innerhalb der häuslichen Gemeinschaft, denn - so Pater Kentenich - „was sind da nicht viele Plackereien in der Familie! So viele Unannehmlichkeiten, die Zeit wegnehmen: wir können nicht beten. Deswegen: weg damit!". Er konnte in den USA der 1960er Jahre mehr als 10 Jahre den Familienalltag studieren. Den Vätern legte er ans Herz, Gegensatzbewusstsein auszubilden und in der Kindererziehung mitzuarbeiten: „Also nicht sagen, ich bin müde, die ‚Balgen' sollen mich in Ruhe lassen... Wenn ich ... ein Heiliger werden will, verlangt meine Laienfrömmigkeit von mir als Familienvater, dass ich hauptsächlich für die Familie da bin" (Kentenich, 1997, S. 25 f).

 

Es gehört zum Charisma des Vaters, den Kindern die kraftvoll-mächtige Seite Gottes sichtbar zu machen. Männer können sich nun einmal gut für die „Sache Jesu" begeistern und einsetzen. Das Wort Jesu „Geht hinaus in die ganze Welt, und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen!" (Mk 16, 15) ist zuerst den verbliebenen elf Apostel und in deren Nachfolge vor allem den Männern ins Stammbuch geschrieben.

 

Pater Kentenich würde den Mann von heute vielleicht darauf hinweisen, dass er „windows-fähig" werden müsse; als ein „Fenster zum Himmel hin" hat der Vater die Aufgabe, die heraus-fordernde Seite Gottes für seine Kinder sichtbar zu machen. Denn Gott „ist nicht nur Liebe, sondern auch der in seiner Liebe Fordernde" (Fraas, 2000, S. 73). Der Mann, der mit seinem Jungen gerne Mountainbike fährt, dürfte auch im religiösen Leben mehr das Abenteuer suchen. Vater und Sohn als Abenteurer Gottes.

 

Berufstätiger

Jeder Mann hat das „Columbus-Gen" in sich: von Natur aus ist der Mann ein Explorator, einer der neues Terrain erkundet und der bereit ist, dafür auch Risiken einzugehen. Unter anderem deshalb gibt es so viele männliche Gründer: von Benedikt von Nursia (Kloster Montecassino) bis Josef Kentenich (Schönstattbewegung), von Gottlieb Daimler (Daimler-Benz) bis Bill Gates (Microsoft). Bis auf den heutigen Tag gelten Männer als Schrittmacher, die dem Neuen positiv gegenüberstehen. Das Bewusstsein, „Macher" zu sein, ist tief im Mann verankert. Am meisten kann der Mann diese schöpferische Gabe Gottes im Beruf und im Verein ausleben.

 

Erwerbsarbeit ist nach wie vor die wichtigste Quelle männlicher Identität. Hat der Mann Arbeit, ist er was. Die chronische Krise der Arbeit hinterlässt Spuren in der Männerseele. Männer sind eben nur „außen hart", innen aber „ganz weich." Sie bangen viel mehr als die Frauen um ihren Arbeitsplatz (Zulehner & Volz, 1998). An solch steinigen Arbeitsbedingungen könnte man sich leicht die Zähne ausbeißen. Interessanterweise hat Gott eine Sicherung in die Männerseele eingebaut: mit Misserfolgen kann der Mann in der Regel besser umgehen als die Frau. So neigen Männer dazu, berufliche Niederlagen mehr auf die äußeren Umstände als auf eigenes Unvermögen zurückzuführen. Erfolge verbuchen sie dagegen vollständig auf das Konto eigenen Könnens und Machens (Bischof-Köhler, 2002). Pater Kentenich empfahl in aller Nüchternheit: „Wir müssen die heutigen Verhältnisse nehmen wie sie sind und wenigstens im Kleinen versuchen, helles erquickendes Wasser des Lebens aus dem harten Felsen unbefriedigender Arbeit herauszuschlagen" (Schönstattmann, 2005, S. 40).


Was Rosowski und Ruffing (2000, S. 21) für die kirchliche Männerseelsorge empfehlen, ist zugleich Auftrag für jeden christlich engagierten Mann: „... die Spuren Gottes im Alltagsleben zu entdecken, sensibel, aufmerksam und offen für Gott im alltäglichen Leben zu werden..."

 

Literatur

Bischof-Köhler, D. (2002). Von Natur aus anders. Die Psychologie der Geschlechterunterschiede. Stuttgart: Kohlhammer.

Bischof-Köhler, D. (2004). Von Natur aus anders. „Die kleinen Helden" aus evolutionärer Perspektive. Vortrag in der Evangelischen Akademie, Loccum, 12.11.2004.

Fraas, H.-J. (2000). Der Mann im religiösen Kontext. In: Rosowski, M. & Ruffing, A. (Hrsg.). MännerLeben im Wandel. Würdigung und praktische Umsetzung einer Männerstudie. Ostfildern. Schwabenverlag.

Gareis, B. (2000). Männerseelsorge - eine pastorale Herausforderung. In: Rosowski, M. & Ruffing, A. (Hrsg.). MännerLeben im Wandel. Würdigung und praktische Umsetzung einer Männerstudie. Ostfildern. Schwabenverlag.

Gottman, J.M.  (2000). Die 7 Geheimnisse der glücklichen Ehe. München: Ullstein.

Grün, Anselm (2003). Dem Alltag eine Seele geben. Freiburg: Herder.

Kentenich, J. (1997). Am Montagabend... Mit Familien im Gespräch, Bd. 20: Eheliche Liebe als Weg zur Heiligkeit. Vallendar-Schönstatt: Schönstatt-Verlag.

Kongregation für die Glaubenslehre (2004). Schreiben an die Bischöfe der katholischen Kirche über die Zusammenarbeit von Mann und Frau in der Kirche und in der Welt.

Rosowski, M. & Ruffing, A. (2000). Kirchliche Männerarbeit - eine erste Adresse für Männerentwicklung. In: Rosowski, M. & Ruffing, A. (Hrsg.). MännerLeben im Wandel. Würdigung und praktische Umsetzung einer Männerstudie. Ostfildern: Schwabenverlag.

Der SchönstattMann 1/2005. Herausgeber: Sekretariat der Schönstatt-Männerliga.

Zulehner, P.M. & Volz, R. (1998). Männer im Aufbruch. Wie Deutschlands Männer sich selbst und wie Frauen sie sehen. Ein Forschungsbericht. Ostfildern: Schwabenverlag.

 

Klaus Glas
Aus: UNSER WEG, Schönstatt Familienmagazin
www.unserweg.com

 

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