05.01.2025
Handeln statt jammern
In den Wochen vor dem Wettbewerb hatte die 30-jährige Leichtathletin mit den Folgen einer Corona-Infektion zu kämpfen. Malaika Mihambo litt unter Atemproblemen und hartnäckigem Husten, der sie am Schlafen hinderte. Angesichts der gesundheitlichen Probleme war es erstaunlich, dass sie überhaupt im Stadion antrat. Tatsächlich gewann sie bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris eine Medaille im Weitsprung: „Das muss erst mal jemand schaffen, so gehandicapt an den Start zu gehen und da noch eine Silbermedaille rauszuholen. Von daher bin ich einfach unheimlich stolz und glücklich, dass mir das gelungen ist, - und sehr dankbar“, sagte Malaika Mihambo bei einer Pressekonferenz.
Der aus Sansibar stammende Vater verließ die kleine Familie; da war Malaika zwei Jahre alt. Die alleinerziehende Mutter aus Deutschland schaffte es, eine gute Bindung zu ihrer Tochter aufzubauen. In ihrem Buch „Spring dich frei“ bedankt sich Malaika in rührender Weise bei der Mutter für die gemeinsame Zeit und die Liebe, die sie erhalten habe. Es gäbe „so viele positive Erinnerungen“, an denen sie in schweren Zeiten habe festhalten können: „Sie hatte mir die Kraft gegeben, die Sicherheit, dass ich nicht an schwierigen Situationen zerbrach.“
„Besser sein als beim letzten Mal“
Der Bindungsstil, den ein Kind in vielfältigen Begegnungen mit seinen Eltern entwickelt, beeinflusst sein weiteres Leben. Die Art der Bindungsbeziehung wirkt sich auf das Erleben von Verlusten und Bedrohungen aus: Kann ich das Gefühl der Traurigkeit bei einer Niederlage angemessen verarbeiten? Gibt es ein Licht am Ende des Tunnels, wenn ich körperlich oder seelisch erkrankt bin? Unbewusst erwartet eine sicher gebundene Person, schwierige Situationen und schwere Lebensphasen bewältigen zu können. Malaika Mihambo konnte vieles meistern mit Unterstützung ihrer Mutter und guten Freunden. Sie hatte die innere Gewissheit, es werde schon gut gehen: „Ich werd's schon schaffen, With a Little Help from My Friends.“
Was die Weitspringerin nach eigener Aussage angetrieben hat, war nicht die Einstellung, die Konkurrentinnen besiegen zu wollen. Sondern die Motivation, besser zu sein als beim letzten Mal: „Es war jedes Mal ein Wettkampf mit mir selbst.“ Das gute Gefühl, etwas zu können, hat der kanadische Psychologe Albert Bandura (* 1925; ✝ 2021) „Selbstwirksamkeit“ genannt. Personen mit hoher Selbstwirksamkeit haben die Erwartung, Aufgaben meistern und Ziele erreichen zu können. Ein hohes Selbstwertgefühl stellt sich ein, wenn man wiederholt auf Schwierigkeiten stößt, die man erfolgreich überwindet. Wer sich selbst wirksam erlebt, bewertet stressige Ereignisse eher als Herausforderung und weniger als Bedrohung. Der Sozialpsychologe C. Nathan DeWall resümiert: „Wer sich mit sich selbst wohlfühlt, erlebt seltener schlaflose Nächte, erliegt weniger leicht dem Druck der Konformität und zeigt mehr Ausdauer bei schwierigen Aufgaben.“
Selbstwirksamkeit kann man lernen
Weil Selbstwirksamkeit mit erfolgreichem Handeln zu tun hat, ist es sinnvoll, Kindern und Jugendlichen Erfahrungen zu ermöglichen, in denen sie sich sozial und kognitiv kompetent erleben. Wenn die Schulnoten nur mittelmäßig sind, kann ein Junge in der Fußballmannschaft Punkte auf seinem Kompetenz-Konto sammeln. Ein Mädchen, das schüchtern ist, kann in einer christlichen Jugendgemeinschaft sozial-emotionale Kompetenzen erwerben und Freundinnen fürs Leben kennenlernen. Eine gute Nachricht für alle: Das Selbstwertgefühl - eine Frucht der Selbstwirksamkeit - steigt vom Jugendalter bis zum mittleren Erwachsenenalter (40 bis 65 Jahre) stetig an. Das fanden Forschende in einer Studie mit fast 1 Mio. Menschen aus 48 Nationen heraus.
Allzu oft hören wir, unserer Erleben und Verhalten sei von einer guten bzw. schlechten Kindheit abhängig. Das stimmt in dieser verkürzten Version nicht. In der Kindheit machen wir Erfahrungen, die unser Gehirn programmieren in Bezug auf den Umgang mit bevorstehenden belastenden Ereignissen. Die wichtigsten kognitiven Komponenten, die unser Wohl und Wehe beeinflussen, sind wahrscheinlich Erwartungen. Ein Mensch mit einer niedrigen Selbstwirksamkeits-Erwartung rechnet mit dem Schlimmsten oder resigniert im Vorhinein: „Wozu soll ich mich abrackern? Ich hab' eh keinen Einfluss, auf das, was rauskommt.“ Am Ende tritt das ein, was man befürchtet hat. Erwartungen führen oft zu sich selbst erfüllenden Prophezeiungen. Das gilt im Schlechten wie im Guten. „Ich bin immer wieder erstaunt, wozu Menschen in der Lage sind, wenn sie ihre negative Sichtweise auf sich selbst ablegen“, schreibt der Psychologe und Systemische Therapeut Jens Förster („Warum wir tun, was wir tun“, Droemer). Wer hoffnungsvoll lebt - „Ich hab' schon andere Situationen gemeistert. Ich schaff' das diesmal auch“ - erfährt eher den Lohn der eigenen Anstrengung als jemand, der jammert und die Hände in den Schoß legt.
An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen
„Selbstwirksamkeit beeinflusst nicht nur, welches Verhalten Menschen ausführen, sondern auch, wie sehr sich sich dabei anstrengen“, betont der britische Psychologe Geoffrey Haddock. Menschen mit niedriger Selbstwirksamkeit setzen sich keine hohen Ziele, sie strengen sich weniger an und geben schneller auf als Personen mit hoher Selbstwirksamkeit.
Ein bestimmtes Ereignis kann bei verschiedenen Menschen unterschiedliche Erlebens- und Verhaltensweisen triggern. Wer beispielsweise für ein ehrenamtliches Engagement wenig Lob erhält, kann die Situation als Herausforderung ansehen und sich noch mehr anstrengen. Eine andere Person kann jedoch in dieser Lage zu dem Schluss kommen, die anderen mögen ihn nicht und sich enttäuscht zurückziehen. Was andere (vermeintlich) über uns denken, beschäftigt uns.
Bei einem Raucherentwöhnungs-Programm wurden einige Leute per Los zwei Gruppen zugewiesen. Teilnehmenden der ersten Gruppe sagte man, sie seien für das Programm ausgewählt worden, weil sie eine besonders hohe Motivation hätten, mit dem Rauchen aufzuhören. Menschen der zweiten Gruppe bekamen lediglich den Hinweis, sie seien per Zufall in diesen Kurs geraten. Ergebnis: Personen, die glaubten, sie seien wegen ihres starken Willens ausgewählt worden, hörten eher mit dem Rauchen auf als Menschen, denen man vermeintlich nichts zutraute.
Ein gesundes Selbstbild zahlt sich aus: Für den Einzelnen und die Gesellschaft. Der christlich geprägte Psychologe David G. Myers, der ein Standardwerk der Psychologie verfasst hat (David G. Myers & C. Nathan DeWall, Psychologie, Springer) unterstreicht den Zusammenhang von Selbst- und Nächstenliebe. „Akzeptiere dich selbst, und du wirst andere leichter akzeptieren können. Wenn Sie sich selbst gering schätzen, werden Sie zur Geringschätzung anderer neigen. Manch einer liebt seinen Nächsten wie sich selbst, andere hassen und verachten ihren Nächsten wie sich selbst.“
Selbstwertgefühl und Glaube
Studien zeigen: Der Glaube an Gott, die Häufigkeit des Gottesdienstbesuches und das Zugehörigkeitsgefühl zu einer religiösen Gemeinschaft sagen gut voraus, wie zufrieden jemand ist. Zum Lebensglück eines Christen braucht es offenbar den Glauben an sich und den Glauben an Gott. Selbstwirksamkeit und Gottvertrauen sind wie zwei Beine, auf denen wir - wie P. Josef Kentenich es ausdrückte - „hoffnungsfreudig und siegesgewiss“ durchs Leben gehen können.
Verkörpert wird diese Haltung in sympathischer Weise von Yemisi Ogunleye. Die 25-jährige Kugelstoßerin errang bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris überraschend die Goldmedaille. Vor dem letzten Versuch sprach sie ein Stoßgebet: „Gott, geh' du mit mir in den Ring und gib mir die Kraft und den nötigen Mut, einfach loszulassen.“ In einem Interview mit dem ZDF (vom 09.08.2024) bekannte die Athletin: „Dieses Vertrauen in Gott, zu wissen, dass er mich liebt, ob mit oder ohne Medaille, hat mich bis zum heutigen Tag getragen und zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin.“
Klaus Glas
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