Plakat in Tram in Berlin © K. Glas

Erfahrungsberichte: Wie Krisen uns voran bringen

02.09.2009

Krisen verunsichern. Krisen werfen unsere Zukunftspläne um, machen Angst, rütteln an unserem Selbstbewusstsein. Interessanterweise bedeutet das Wort "Krise" im Chinesischen gleichzeitig auch "Chance". Krisen nicht nur als etwas Negatives wahrzunehmen und zu erleben, sondern auch als Chance für einen Neuanfang, das ist eine Kunst, die gelernt sein will. Pater Kentenich, der Gründer der internationalen Schönstattbewegung, spricht von "Zeitenstimmen" als "Gottesstimmen". Gott will uns durch alle Ereignisse - auch durch die vielfältigen Krisen, die wir im Allgemeinen und hautnah erleben - etwas sagen. Er ist auch in der Krise der Gott unseres Lebens, der uns nicht alleine lässt. Er will und er kann uns aus jeder Krise dahin führen, wo er uns haben will - wenn wir aufmerksam sind, uns führen lassen, mitgehen.

Einige Frauen erzählen von Krisen, die sie erlebt haben, und was ihnen geholfen hat.

 

Dankbarer, tiefer, sensibler

"Warum muss das gerade mir passieren?", hadern wir oft mit unserem Schicksal. Jeder wünscht sich im Grunde, dass sein Leben glatt verläuft, dass Krankheit und Leid ihn und die Seinen verschonen und dass er so seine Jahre einigermaßen sorgenfrei und zufrieden verbringen kann. Aber wir alle wissen auch, dass die Wirklichkeit oft anders aussieht. Von einem Augenblick zum anderen verliert das Leben seine Normalität, unvermittelt stürzen wir in eine Krise, nach der wir nie mehr der Mensch sind, der wir vorher waren.

 

Zwei der einschneidendsten Erlebnisse in meinem Leben waren der Tod meiner Eltern. Mein Vater ging eines Sonntagabends zu Bett und schlief ein. Für uns alle war dieser plötzliche Tod ein Schock, aber für den Verstorbenen nannten es viele eine "Gnade", und auch ich höre mich noch sagen: "Wenn ich es mir aussuchen könnte, möchte ich auch gern so sterben."

 

Ganz anders war es einige Jahre später bei meiner Mutter, als bei einer Untersuchung die Diagnose "Krebs im finalen Stadium" lautete. Zwei Monate blieben mir danach noch mit ihr, zwei Monate im Wechsel aller Gefühle - von verzweifeltem Aufbegehren über hilflose Resignation bis hin zum letztlichen Annehmen des Unabänderlichen im Vertrauen auf Gott. Aber auch zwei Monate intensivster Empfindungen für den Menschen am Rande der Ewigkeit. Im Bewusstsein der Begrenztheit der uns verbleibenden Zeit wurden die Stunden kostbar. Jedes Wort, jede Geste hatte eine tiefere Bedeutung als je zuvor. Ich, die ich zuerst die "Ungerechtigkeit des Schicksals" nicht fassen konnte, lernte von meiner Mutter, den Weg anzunehmen, der uns vorgegeben war. Und am Ende verlor alles seine Bedeutung, nur die tiefe Liebe zwischen Mutter und Kind blieb bis zuletzt. Als es dann - trotz allem doch unerwartet plötzlich - zu Ende ging, saß ich neben ihr, hörte ihr leises "Auf Wiedersehen, auf Wiedersehen" und zweifle keinen Augenblick daran, dass es das eines Tages geben wird.

 

Ja, aussuchen würden wir uns immer den einfacheren Weg, den schnellen, schmerzlosen Tod statt eines langen Abschiedsschmerzes, einen kurzen, heftigen, aber klärenden Streit statt monatelangem hinterhältigem Mobbing, einen abschließenden Strich und Schluss unter lange währende Eheprobleme. Wachsen können wir aber nur, wenn wir lernen, Schwierigkeiten zu meistern, Menschen zu nehmen, wie sie sind, und schließlich auch mit Leid umzugehen. Ich glaube, dass jeder von uns in seinem Leben bestimmte Aufgaben zu lösen hat - manche scheinen leichter, manche schwerer, einige unlösbar. Aber, wie es neulich in einer Todesanzeige hieß, "am Ende kommt es gar nicht darauf an, ob man gewonnen oder verloren hat, sondern nur, wie man das Spiel gespielt hat". Das akzeptieren, was Gott für uns vorgesehen hat, Herausforderungen annehmen und versuchen, das Beste daraus zu machen. Und auch das Hochgefühl nicht einbüßen, wenn man am Ende des Tunnels wieder ins Licht hinaustritt.

 

Nie war ich in meinem Leben so dankbar dafür, eine Gurke zu schälen, wie nach einem Bandscheibenvorfall, der mich monatelang mit Schmerzen ans Bett gefesselt hatte. Als ich dann zum ersten Mal wieder in meiner Küche stand und Gemüse schälte - dieses Glücksgefühl war unbeschreiblich! Auch tue ich seitdem nie mehr die Schmerzen eines anderen mit einem "Ach, stell dich nicht so an!" ab, denn was man selbst durchlebt hat, macht einen viel sensibler für die Menschen in ähnlichen Situationen.

 

Und in all den schweren Zeiten unseres Lebens dürfen wir darauf vertrauen, dass Gott immer bei uns ist. "Du wirst geführt" haben wir uns dieses Jahr als Wahlspruch gesetzt. Was auch passiert, wir sind nicht allein. Pater Kentenich vergleicht unser Leben mit einem bunten Teppich voll verworrener Fäden, dessen Rückseite erst die wundervollen Führungen und Verknüpfungen erkennbar macht. Nicht immer wissen wir, warum die schwarzen und wirren Schicksalsfäden in den Teppich unseres Daseins gewebt sind, aber wir dürfen darauf vertrauen, dass sie genau an der rechten Stelle auftauchen, um am Ende aus unserem Leben ein stimmiges und einmaliges Meisterwerk zu machen.

A.G.

Entscheidend ist die Entscheidung

Sie kam ganz und gar unerwartet und schlug ein wie eine Bombe: die plötzliche Kündigung meiner Arbeitsstelle! Mehr als zwei Jahrzehnte war ich bei einem kirchlichen Arbeitgeber beschäftigt gewesen - und ich war es gern. Und nun so, auf diese Art und Weise! Es war ein Schock für mich wie auch für weitere betroffene Mitarbeiter. Als Grund für die Kündigung wurde meine berufliche Tätigkeit hinterfragt, erkennbar war aber, dass es um Einsparung von Personal und finanziellen Mitteln ging. Umso tiefer hat mich der vorgeschobene Grund der Kündigung getroffen. Gleichzeitig war klar: Es war aussichtslos, einen neuen Job zu bekommen. Die ganze Sache belastete mich sehr - und noch umso mehr, als Kollegen um mich herum drängten, diese Angelegenheit sei ein "Fall für die Öffentlichkeit"; ich sollte doch die Presse einschalten und meine Rechte bei Gericht einklagen.

Ich war innerlich sehr aufgewühlt, verletzt, enttäuscht. Wie kann die Kirche so mit mir, mit uns umgehen? Und wie gehe ich damit um? Zahle ich mit gleicher Münze zurück?

 

In meiner Not habe ich zu Pater Kentenich gebetet und auf ihn geschaut, der ja auch von der Kirche her manches an Unverständnis und Unrecht erleben und ertragen musste. Er hat sich immer eindeutig loyal der Kirche gegenüber verhalten - also kann er auch für mich Vorbild sein. Ich habe dann nicht die Presse eingeschaltet, keine Klage eingereicht und öffentlich nicht negativ über den Arbeitgeber gesprochen. Aber viele Fragen kamen immer wieder in mir hoch: Wie schauen dich die Menschen jetzt an? Wie oder was denken sie von dir? Wird dir unter vorgehaltener Hand nicht doch unrechtes Verhalten am Arbeitsplatz vorgeworfen? Wie wird die Zukunft in der Stadt, in der du lebst, aber auch innerhalb der Kirche aussehen? Kann ich mich wieder frei und ungezwungen, natürlich wie zuvor bewegen?

 

Mein Glaube an den liebenden Gott, wie er in Schönstatt vermittelt wird, und der Rückhalt in meiner Familie haben mir geholfen, die belastenden Schwierigkeiten zu überwinden. Ich durfte spüren, dass Gott mich auch in dieser Krise nicht allein gelassen hat, sondern wirklich bei mir war und mich geführt hat.

Im Rückblick auf die Ereignisse kann ich inzwischen sagen: Gott hat eine bessere Übersicht und einen besseren Plan von meinem Leben! Die Krise hat mich zu einer bewussten Entscheidung "pro Kirche" geführt. Mein Engagement für die Kirche bleibt! Inzwischen bin ich gern und intensiv ehrenamtlich für sie tätig!

N. N.

Verstehender für andere

Meine bisher größte Lebenskrise liegt schon einige Jahre zurück. Als junge verheiratete Frau und Mutter von vier noch kleinen Kindern verliebte ich mich in einen anderen Mann. Heute weiß ich, dass unsere Ehe damals im Einerlei von Alltäglichkeiten stecken geblieben war. Jeder von uns war nur noch mit der Bewältigung seiner Aufgaben befasst, wir hatten das Gefühl der Zusammengehörigkeit verloren und bemühten uns auch nicht mehr darum. Das bot guten Nährboden für das Werben des "neuen" Mannes! Schmetterlinge im Bauch, Sehnsucht und Träume, das Gefühl, begehrt zu werden - all das war so schön, so aufregend ... Außer heimlichen Telefonaten hatten wir jedoch kaum Gelegenheit, uns zu treffen - und heute bin ich sicher, dass das bereits zum guten Plan Gottes für mich gehörte. Stichwort: Vorsehungsglaube.

 

Mein schlechtes Gewissen und der Versuch, zu meinem Mann zurückzufinden, war immer gegenwärtig, doch es war schwer und wir stritten häufig miteinander. Erst, als die Bitte des "Anderen" kam, ich solle doch meinen Mann verlassen, um mit ihm zusammenzuleben, besann ich mich so richtig. Nein, ich wollte und konnte nicht so egoistisch sein, meinen Kindern den Vater zu nehmen, und ich hatte auch nicht den Mut, den Schritt aus meiner Ehe herauszugehen, hatte und habe ich doch im Grunde einen treuen und fürsorgenden Ehepartner, der zudem mein Versprechen hat: "... in guten und in schweren Tagen".

 

Wenn ich damals auch dachte, der Teufel sei es, der mich in diese Versuchung gebracht hat, heute bin ich nahezu sicher, dass Gott und die Gottesmutter auf diesem Weg ihr Geschenk an mich vorbereiteten - denn mit diesem Ereignis veränderte sich meine Einstellung zum Leben meiner Mitmenschen völlig. War ich vorher sehr leicht geneigt, alle Handlungsweisen in "Kisten" zu sortieren und abzuurteilen, so wurde ich nun behutsamer, sensibler, sanfter im Umgang mit anderen Menschen und im Blick auf meine Neigung zum Verurteilen. Ich hatte nun am eigenen Leib erfahren, dass solche Lebenskrisen plötzlich und unbeabsichtigt hereinbrechen können und einer Lösung bedürfen.

Die größte Veränderung, die ich erlebte, war jedoch die im Glauben. Dank eines guten, erfahrenen Beichtvaters begann ich, den liebenden und vergebenden Gott zu entdecken. Im Letzten führte diese tiefe Krise mich in die offenen Herzen und Türen der Schönstattbewegung. Hier fühle ich mich nun zutiefst beheimatet. Hier durfte ich schon so viele Gnaden, Freundschaften, Beziehungen und Liebe erfahren. Und auch hier habe ich inzwischen mein ganzes "Ja" gesagt - für gute und für schwere Zeiten.

A.L.

 

Aus: BEGEGNUNG - Zeitschrift aus Schönstatt für Frauen, 3 /2009

www.zeitschrift-begegnung.de


 

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