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Kirche und Homosexualität

02.10.2022

Klaus Glas

Vor einiger Zeit traf ich - nach 35 Jahren - einen alten Kameraden aus der Schönstatt-Mannesjugend (SMJ) wieder. Wir waren als Referenten bei einer Tagung eingeladen. Beim Beisammensein am Abend kamen wir darauf zu sprechen, wie unsere Verbindung zur Schönstatt-Bewegung heute sei. Ich erwähnte, mit meiner Frau würde ich mich bei den Familien engagieren. Ob das bei ihm auch so wäre. Er zögerte kurz und sagte: „Wie soll das gehen mit meinem Mann?“

Anstößige Worte
Natürlich war ich in dieser Situation etwas irritiert. Irritiert kann man auch reagieren, wenn man sich mit Begriffen wie „Schwule“, „Lesben“ oder „Homosexuelle“ konfrontiert sieht. Einige Christen empfinden allerdings auch Abscheu und weigern sich, derartige Worte auszusprechen. Wenn man sagt „Herbert ist homosexuell“, verbindet man damit, dass dieser Sex mit anderen Männern praktiziert, - unabhängig davon, ob das stimmt oder nicht. Mit der Mitteilung „Heinrich ist heterosexuell“ erntet man dagegen Gelächter.

Menschen mit homosexueller Orientierung bemühen sich um eine geschlechtergerechte Sprache. Dabei werden bestimmte Begriffe oder Abkürzungen genutzt. Eine längere Abkürzung lautet so: LSBTIQ+. Die Buchstaben stehen für lesbisch, schwul, bisexuell, transgender, inter und queer; das Plus-Zeichen verweist auf weitere sexuelle Orientierungen. Wahrscheinlich wird sich künftig das einfache Wörtchen „queer“ (sprich: kwier) durchsetzen. Es stammt aus dem englischen Sprachraum und bedeutet seltsam, eigenartig oder verrückt. Anfangs wurden Bezeichnungen wie „lesbisch“, „schwul“ oder „queer“ diskriminierend gebraucht. Aus den einstigen Schimpfworten sind mittlerweile Selbstbezeichnungen geworden, welche die queere Gemeinde mit Stolz verwendet.

Wie viele Menschen sind homosexuell?
Homosexualität gibt es auf der ganzen Welt: von den Niederlanden, das weltweit als erstes Land die gleichgeschlechtliche Ehe eingeführt hat, bis hin zu Nigeria, wo das Thema tabuisiert wird und homosexuelle Handlungen vom Staat bestraft werden. Wie viele Menschen hetero- oder homosexuell sind, darüber gibt es unterschiedliche Angaben. Aufgrund von Umfragen, die in Europa und in den USA durchgeführt wurden, geht man davon aus, dass 2 Prozent der Männer und 1 Prozent der Frauen eine ausschließlich schwule bzw. lesbische Identität haben. Rund 6 Prozent der Männer und 17 Prozent der Frauen haben schon einmal ein gleich-geschlechtliches sexuelles Erlebnis gehabt. Der Geschlechterunterschied wird auf die höhere „erotische Plastizität“ des weiblichen Geschlechts zurückgeführt. So ist bei Frauen die Wahrscheinlichkeit, bisexuelle Empfindungen zu haben und auch auszuleben, höher als bei Männern.Wie man sieht, ist sexuelles Verhalten nicht gleichbedeutend mit sexueller Identität. Es ist bekannt, dass in Gefängnissen gelegentlich gleichgeschlechtliche Beziehungen aufgenommen werden, ohne dass sich die Männer oder Frauen als schwul oder lesbisch bezeichnen würden.

Auf der ersten Seite der Bibel lesen wir: „Gott schuf also den Menschen als sein Abbild, als Abbild Gottes schuf er ihn, als Mann und Frau schuf er sie“. (Gen 1,27) Diese binäre Geschlechtsidentität stellt man in der Psychologie in Frage. Die
sexuelle Orientierung wird als ein dimensionales, abgestuftes Person-Merkmal betrachtet. Jede Person kann hinsichtlich ihrer sexuellen Orientierung auf einer siebenstufigen Skala platziert werden. Neben den beiden Endpunkten „ausschließlich heterosexuell“ vs. „ausschließlich homosexuell“ gibt es fünf weitere Abstufungen, wie etwa „heterosexuell, mit umfangreicher homosexueller Erfahrung“.

Wie entsteht Homosexualität?
Genetische Faktoren spielen bei der Entwicklung der sexuellen Orientierung eine Rolle. Zwillings-Studien liefern dafür Belege: schwule Männern und lesbische Frauen, die einen identischen Zwilling haben, sind zu 50 Prozent ebenfalls schwul bzw. lesbisch. Weitere Forschungen sprechen für einen frühen hormonellen Einfluss, der die Struktur des kindlichen Gehirns im Mutterleib verändert. So haben schwule Männer im Vergleich zu heterosexuellen Männern mit höherer Wahrscheinlichkeit ältere Brüder. Der „Älterer-Bruder-Effekt“
beruht auf einer Immunreaktion. Eine Mutter, die bereits ein oder zwei Jungen zur Welt gebracht hat, entwickelt während der nachfolgenden Schwangerschaften Antikörper gegen ein Protein, das für die Hirnentwicklung des Kindes von Bedeutung ist. Die sexuelle Orientierung des männlichen Fötus würde demnach schon im Mutterleib durch den Einfluss von Hormonen programmiert. Dieser pränatale Vorgang spielt bei 10 bis 30 Prozent der schwulen Männer eine ursächliche Rolle.

Wann die sexuelle Orientierung festgelegt wird, ist in der Wissenschaft umstritten. Einige Experten nehmen an, dass dies nicht im Mutterleib, sondern im Vorschulalter, zwischen 5 und 6 Jahren, geschieht. Andere Fachleute sind überzeugt, dass erst mit 10 oder 12 Jahren klar ist, ob der oder die Heranwachsende eine hetero- oder homosexuelle Identität entwickelt. Lesbische Frauen und schwule Männer erinnern sich oft daran, in ihrer Kindheit Spiele gespielt zu haben, die unsere Gesellschaft eher mit dem anderen Geschlecht in Verbindung bringt. Die Durchsicht der Biographien von rund 1000 bekannten Persönlichkeiten ergab, dass homosexuelle Menschen unter Schriftstellern (21%) sowie Schauspielern und Musikern (15%) überrepräsentiert sind.

Kann man Homosexualität ändern?
Der deutsche Psychiater Carl Westphal bezeichnete 1869 in einem Fachartikel Homosexualität als angeborene Krankheit. Mit der Etablierung der Psychiatrie als eigenständige medizinische Disziplin zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde Homosexualität als „soziopathische Persönlichkeitsstörung“ klassifiziert. Erst das Auftreten der Schwulen- und Lesbenbewegung gegen die vielfältig erlebte Diskriminierung veranlasste Ärzte und Psychotherapeuten, ihre pathologisierende Haltung zu ändern. So wurde 1973 Homosexualität aus dem Handbuch der psychischen Störungen (DSM-II) gestrichen und nicht mehr als „Geisteskrankheit“ diagnostiziert. Dementsprechend erklärte die American Psychological Association (APA) im Jahr 2007: „Homosexualität, an und für sich, ist nicht mit psychischen Störungen oder emotionalen oder sozialen Problemen verbunden.“

Es gibt keine wissenschaftliche Evidenz dafür, dass man sexuelle Orientierungen durch eine Therapie verändern kann. Eine Gruppe von Therapeuten, die sich fast 40 Jahre lang um die Umerziehung homosexueller Menschen bemühte, löste sich aus diesem Grund 2013 auf. D
ie sexuelle Orientierung wird gelegentlich mit der Händigkeit verglichen. Die meisten Menschen sind Rechtshänder, aber 10 bis 15 Prozent der Weltbevölkerung nutzt die linke Hand. Egal, was sich beim Kind herausbildet: es bleibt ein Leben lang entweder Links- oder Rechtshänder. „Die meisten Psychologen nehmen heute an, dass die sexuelle Orientierung weder frei gewählt wurde noch willentlich verändert werden kann“, betont der renommierte Sozialpsychologe David G. Myers.

Miteinander statt übereinander reden
Udo Rauchfleisch fordert im Raum der Kirche einen Perspektivenwechsel: weg vom Prinzip der Macht hin zum Prinzip der Liebe. Der Schweizer Psychotherapeut wünscht sich, man solle Schwul- und Lesbischsein eher als Segen denn als Fluch bewerten. Der Weg zu diesem Ziel muss vom Miteinander der Gläubigen geprägt sein. Der katholische Priester und Pfarrer Armin Noppenberger, der sich in der TV
-Dokumentation „Wie Gott uns schuf“ zu seiner Homosexualität bekannte, sagt eindringlich: „Es ist wichtig, dass wir miteinander ins Gespräch kommen statt weiter übereinander zu reden.“ Die sog. „Kontakthypothese“ ist in der Sozialpsychologie gut belegt. Diese besagt, man kann Vorurteile gegenüber einer Gruppe von Menschen, die einem fremd oder bedrohlich erscheinen, am besten durch fortwährende persönliche Begegnungen abbauen.

Wolfgang F. Rothe, katholischer Priester und Herausgeber des Buches „Gewollt. Geliebt. Gesegnet.“ äußert sich klar: „Es gibt sie aber: Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und andere queere Personen in der katholischen Kirche. Es gibt sie – und zwar um Gottes willen.“


 

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