Quelle: Benjamin Thorn/ pixelio.de

Ins Leben begleiten

17.04.2012


Wie innig die Beziehung einer Mutter zu ihrer Tochter sein kann, zeigt häufig erst der Moment, wenn die Tochter ihre Schritte ins eigene unabhängige Leben gehen möchte. Dass das für Mütter eine herausfordernde Aufgabe ist, zeigt der folgende Bericht.

 

Alle paar Monate sehe ich meine Friseurin. Wir kennen uns nicht so gut, aber doch erzählt sie mir immer wieder von ihrer Tochter. Was sie schulisch macht, welche Probleme sie mit ihr hat, wie die Tochter auf ihre Erziehungsmaßnahmen reagiert ...

 

Veränderungen

Heute morgen war ich wieder beim Haare Schneiden. Das Gesprächsthema war wieder ihre Tochter. Sie ist 17 Jahre alt, hat gerade ihren Realschulabschluss gemacht. Sie ist das einzige Kind ihrer alleinerziehenden Mutter. Seit einigen Wochen ist im Leben von Mutter und Tochter alles anders: Die Tochter hat einen Freund. Selbst der Schulabschluss war nicht so schwerwiegend, denn das Mädchen geht weiterhin zur Schule, um das Abitur anzustreben. So ändert sich am Verhältnis von Mutter und Tochter dadurch nicht viel. Aber die Beziehung ihrer Tochter zu einem jungen Mann wirft die Mutter aus der Bahn. Die Tochter wendet sich weg von der Mutter hin zu ihrem Freund. Sie bespricht mit ihm Dinge, die sie vorher mit der Mutter besprochen hatte. Nächste Woche fährt die Mutter in Urlaub, aber die Tochter geht nicht mehr mit, da sie lieber mit ihrem Freund zusammen sein will. „Wenigstens einen Tag könntest du doch etwas mit mir unternehmen!?“, macht sie einen Versuch, noch ein wenig Zuwendung von ihrer Tochter zu bekommen.

 

Leben für die Tochter?

Der Satz: „Na ja, dann genieße ich eben die neue Freiheit“ wirkt eher als gescheiterter Versuch, mit der neuen Situation klar zu kommen, denn als wirkliche Überzeugung. Die Mutter hatte für dieses Mädchen gelebt. Das Kind gab ihr die Perspektive und den Antrieb, ein eigenes Friseurgeschäft aufzubauen. Sie war der Beweggrund, auch Durststrecken und Risiken der Selbstständigkeit zu meistern. Die Mutter hat in der Förderung und Entfaltung ihrer Tochter, im Ebnen einer guten Zukunft ihre Lebensaufgabe gesehen. Mit einem Schlag, durch das Eintreten des Freundes in das Leben der Tochter, wird ihr klar, dass diese Lebensaufgabe wegbrechen wird. „Wofür strample ich mich dann noch ab?“ Sie klammert sich an ihre Tochter, fährt sie zum Freund, um zu sehen, wo und wie dieser wohnt, ist zu Hause um sie herum, wenn der Freund da ist. Sie isst mit ihnen, wenn sie gemeinsam kochen, obwohl sie deren Gerichte gar nicht mag. Der Freund spricht nicht viel mit ihr und sie fragt sich, ob er sie wohl nicht leiden könne? Sie möchte gerne seine Zuneigung gewinnen, um ihn und damit die Tochter vielleicht so auf ihre Seite zu ziehen. Unweigerlich wird die Mutter durch die neue Entwicklung zurück verwiesen auf sich selbst. Zumindest unbewusst wird ihr klar, dass sie sich in Zukunft wieder ihrer eigenen Person und Geschichte stellen muss. Die Fragen nach Partnerschaft und Beziehung in ihrem eigenen Leben stellen sich deutlicher, ebenso die Fragen nach Lebenssinn und Ziel. Konnte sie bisher alle schwierigen Fragen in diese Richtung ausblenden durch die Sorge um die Tochter, wird ihr jetzt klar, dass sie ihnen nicht mehr davon laufen kann. Ihr Alleinsein wird ihr schmerzlich bewusst. Sie ist herausgefordert, Brüche in ihrem Leben neu anzuschauen und sich neu zu orientieren. Das kostet Mut und Kraft.

 

Bestärken und Ermutigen

Eine andere Mutter, ebenfalls alleinerziehend, erzählte mir, wie es ihr erging, als die älteste Tochter zum Studieren wegzog. Alle Neuanschaffungen für Zimmereinrichtung und Studentenhaushalt sind gemacht, das Auto ist gepackt, die Abfahrt und somit der Auszug stehen bevor. Der Mutter fällt es schwer, die Tochter ziehen zu lassen, aber sie erzählt, dass sie mit folgender Einstellung an die Verabschiedung gegangen ist: Ich möchte sie freigeben, sie bestärken, dass sie es schafft, ermutigen, innerlich den Schritt aus dem Elternhaus zu tun, sie stärken, in der Ungewissheit des Neuanfangs ihren Weg zu finden. Innen drin im Herzen sah es ganz anders aus: Sie fühlte sich verlassen, es schmerzte das Loslassen und Hergeben, auch der Tochter als Gesprächspartnerin, da ja der Partner fehlte. „Gott sei Dank konnte ich meine Tränen zurückhalten, bis sie abgefahren war. Sie soll nicht aus Mitleid ein schlechtes Gewissen haben, sondern frei werden, um ihr eigenes Leben zu leben.“

 

Aus: unser weg, Schönstatt Familienmagazin 3/2010

www.unserweg.com


 

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