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Nach oben delegieren

09.01.2015

 

Burnout-Prophylaxe

 

Manchmal geht gar nichts mehr. Manche Menschen sind da anfälliger als andere. Aber auch religiöse Menschen sind vor einem Zusammenbruch nicht gefeit.

 

„Am liebsten die Decke über den Kopf ziehen! Nichts hören und sehen! Nicht einmal ein Kran mit fünf Tonnen Tragkraft bekäme mich aus dem Bett. Dabei müsste ich doch …“ – Solche Gedanken schießen Ralf durch den Kopf. Es geht nicht. Es geht überhaupt nichts mehr. Tränen schießen ihm in die Augen. Was soll das? Das sind nicht die Nachwirkungen der mit Antibiotika unterdrückten Grippe. Aber was ist es dann? – Auf jeden Fall in der Firma anrufen und krank melden! Doch wer soll seine Gesprächstermine übernehmen? Schließlich ist er der Projektleiter und sein nomineller Stellvertreter hat doch nicht die Übersicht. Es geht trotzdem nicht! Seine Frau fährt ihn zum Hausarzt, und nach drei Tagen findet er sich in der psychosomatischen Klinik wieder. Diagnose Burnout. Dabei hat er noch außerordentliches Glück gehabt, denn die Wartezeiten sind üblicherweise viel länger.

 

Wenn die Sicherung rausfliegt

Im Gespräch mit der Therapeutin fällt noch einmal helles Licht auf die letzten Monate: Eigentlich hatte er es geahnt, aber er wollte es nicht wahrhaben. Mit ein bisschen mehr Disziplin und ein bisschen mehr Anstrengung müssten doch beide Projekte termingerecht zu schaffen sein. Und wenn die üblichen Stunden im Büro nicht reichten, dann eben zu Hause und am Wochenende. Danach würde es dann besser werden. Seine Frau hatte Verständnis, dass er wenig Zeit für sie und die Kinder hatte, schließlich brauchten sie das Geld, um den Kredit für das Haus abzuzahlen. Sie wollte ihm schon den Rücken frei halten. Und überhaupt: Die letzte Welle des Personalabbaus war noch einmal an Ralf vorübergegangen, aber sicher war nichts, gar nichts! Also Zähne zusammenbeißen und durch. – Doch nun hatte der Körper eindeutig die Botschaft gesandt: „So nicht mit mir!“ Beim Haus kann die Hauptsicherung rausfliegen – aber dass der Körper auch so etwas eingebaut hatte, damit hatte Ralf nicht gerechnet. Er hielt sich fit, und früher war er neben seinen Kleinen, die mit dem Kinderfahrrad fuhren, hergelaufen. Aber in der letzten Zeit war selbst dafür kein Platz mehr. Auch wenn die beiden lange Gesichter machten – Papa muss arbeiten!

 

Idealisten, Perfektionisten, Menschen, die sich für unersetzlich halten, Dünnhäutige, Menschen mit breitem Begabungsprofil und Menschen mit ausgeprägtem Verantwortungsbewusstsein sind mehr gefährdet als andere. Ein Sprachfehler ist häufig bei Burnout-Patienten zu finden: Sie können nicht Nein sagen. Miriam Meckel, die über ihren Burnout das Buch „Brief an mein Leben“ (2010) geschrieben hat, erwähnte in einem Interview, dass ihr ein Freund danach ein T-Shirt geschenkt hat mit der Aufschrift: ‚Which part of the NO you didn‘t get?‘ -also, ‚Welchen Teil von NEIN hast du nicht verstanden?‘ Auf Distanz gehen können, abschalten können, sich eine dickere Haut wachsen lassen – das sagt sich so leicht und ist doch für die, die seit ihrer Jugend das Gegenteil trainiert haben, sehr schwer.

 

Religiöses Wachstum

In der Schönstatt-Bewegung ist es guter Brauch, sich eine Tagesstruktur zu überlegen, die das geistliche Leben stützt und vertieft, die sogenannte Geistliche Tagesordnung (GTO). Diese wird allabendlich kontrolliert. Die Punkte können immer variieren, geben aber einfach eine gewisse Kontinuität im Wachsen und Stabilisieren. Pater Kentenich sprach von „Sicherungen gegen Stimmungsschwankungen und gegen Vergesslichkeit.“ Mir fällt auf, dass Jugendliche sich viel häufiger Punkte auf ihre „GTO“ setzen, die typische Herausforderungen sind. Die Er-wachsenen setzen viel häufiger Übungen auf ihre GTO, die der Entspannung dienen: Schlafengehenszeit, Fernsehkonsum, regelmäßig Sport. In der Adventszeit hatten verschiedene Ehepaare „Terminefasten“ auf ihrem Programm. Pater Kentenich wollte mit einer solchen Ausrichtung auf das Bessere, Idealere ganz bewusst die Spannung zwischen dem jeweiligen Ist-Zustand und der erfüllten Sehnsucht erhöhen, damit die entstandene emotionale Energie Wachstums-, Heilungs-und Befreiungsprozesse ermöglicht. Er war sich aber auch darüber im Klaren, dass dabei für Menschen mit religiös untermauerter Motivation die Gefahr besteht, wie auf einer Rutschbahn geradezu in den Burn-out zu schlittern.

 

wie dich selbst!

Schon Jesus selber sah das Maß der Gottes-und Nächstenliebe in einer gesunden Selbstliebe: „Liebe deinen Nächsten wie (nicht „mehr als“!!!) dich selbst.“ (Mt 19,19)

Außerdem sollte über die Ausrichtung auf das Idealere nur geredet werden, wenn gleichzeitig auch der andere Grundpfeiler der Schönstatt-Spiritualität, die Kindlichkeit, entsprechend erläutert wird. Ein Kind ist sich im Idealfall der Liebe der Eltern sicher. Es hat nicht den Druck, sich die Liebe der Eltern erst verdienen zu müssen. Es kann die geschenkte Liebe annehmen und genießen. Eng verbunden mit der Kultur der Kindlichkeit ist der vitale Glaube an die Barmherzigkeit Gottes.

 

Ohne Ende sorglos sein

Ein weiterer Schutzfaktor, um nicht in den Burn-out zu schlittern, ist das, was Pater Kentenich mit Werkzeugsfrömmigkeit beschrieb. Der Ausdruck stammt aus der Apostelgeschichte. Dem ängstlichen Hananias offenbart Gott, dass der gefürchtete Saulus bekehrt ist und berufen wurde: „Geh nur! Denn dieser Mann ist mein auserwähltes Werkzeug.“ (Apg 9,15) Werkzeugsbewusstsein zu pflegen heißt dann, ganz bewusst immer wieder die Sorgen, Nöte und Verantwortlichkeiten „nach oben“ zu delegieren. Gott ist der Letztverantwortliche, er kann allgegenwärtig sein, er ist allmächtig, er ist perfekt und heilig. Das entlastet, wenn diese Botschaft nicht nur „gewusst“ wird, sondern auch im Herzen angekommen ist und unsere Gefühle entsprechend darauf reagieren. Am Abend einen Schlussstrich ziehen können, das Unerledigte liegenlassen können – oder um es musik-kabarettistisch auszudrücken: Sich jeden Abend die Unvollendete vorspielen. Das ist ein wirksamer Selbstschutz vor Burn-out.

 

„Meine größte Sorge ist es, endlos sorglos zu sein“, so formulierte Kentenich sein inneres Ringen als Häftling im Konzentrationslager Dachau. Was sich unter solchen extremen Bedingungen bewährt hat, taugt auch für Alltagsbelastungen.

 

Aus: unser weg, Schönstatt Familienmagazin 1/2013

www.unserweg.com


 

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