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Nirgends besser als daheim

04.01.2024


Wenn unsere jugendlichen Töchter nach einem anstrengenden Wochenende wieder zuhause einliefen, sagten sie manchmal mit einem Augenzwinkern: „Es ist nirgends besser als daheim.“ Sie zitierten Dorothy (Judy Garland) aus dem Filmmusical „Der Zauberer von Oz“ (USA, 1939). Das Mädchen Dorothy erlebt im magischen Land Oz allerhand aufregende Abenteuer. Schlussendlich will sie aber wieder nach Hause zurück in die vertraute Umgebung. So schlägt sie dreimal die Hacken ihrer roten Lackschuhe zusammen, denkt dabei ganz doll an den bekannt gewordenen Spruch: „Es ist nirgends besser als daheim“ - und findet sich just in ihrem Elternhaus wieder.

Was ist Heimat?
Heimat ist ein Begriff, der typisch ist für die deutsche Kultur und Sprache. So wie man die Vokabel Zeitgeist nicht ins Englische übersetzt, sondern so belassen hat, lässt sich Heimat nicht einfach in eine andere Sprache übertragen. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war Heimat ein Stück Grund und Boden, das man erben oder erwerben konnte, um es zu bewohnen und zu bewirtschaften. Später entwickelte sich daraus die amtliche Verwendung von Heimat. 2018 wurde das Bundesministerium des Innern um die Zuständigkeit für den Bereich Bauwesen erweitert und in Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat umbenannt. Im Zusammenhang mit den beiden Weltkriegen wurde Heimat in ihrer Konnotation zunehmend politisch und psychologisch aufgeladen. In den 1950er Jahren kam die Genre-Bezeichnung Heimatfilm auf. Volle Kinosäle nährten damals die Idylle einer heilen Welt.

„Der Archetyp der deutschen Heimat ist das kleine Haus am Wald, wo die gute Mutter hinterm Zaun steht und auf das Heimkommen der Kinder oder des Mannes wartet“, schreibt Beate Mitzscherlich. Die Psychologin unterscheidet drei Bedeutungen von Heimat. Etwa ein Drittel der von ihr interviewten Personen benennen so ihren Geburts- oder Herkunftsort; diese Sichtweise kommt der ursprünglichen Bedeutung des Begriffs nahe. Ein weiteres Drittel versteht unter Heimat eine Lebenssituation, die mit emotionaler Sicherheit einhergeht: die eigenen vier Wände, Freunde und der Arbeitsplatz, - sofern man sich dort wertgeschätzt fühlt. Schließlich gibt es eine zukunftsorientierte Sicht, die mit Heimat die Hoffnung verbindet, in einer unsicherer gewordenen Welt Erfahrungen der Geborgenheit machen zu können.

Heimat tun
Für den Erziehungswissenschaftler Jörg Knoll ist Heimat der Raum, wo grundlegende Erfahrungen gemacht werden, die nachhaltige Wirkungen im persönlichen Leben hinterlassen. Für prägende positive Erlebnisse braucht es junge Menschen, die in die Gänge kommen: „Heimat hat zu tun mit Handeln, und zwar mit eigenem Handeln. Sie ist also nicht einfach etwas, was uns überkommt oder vorgegeben wird.“ Ähnlich argumentiert der Pastoraltheologe Hubertus Brantzen: „Damit Heimat entstehen kann, ist eine Verflechtung personaler, lokaler und ideeller Bindungen notwendig.“ Je ganzheitlicher das Bindungsgeflecht bei einem Menschen angelegt sei, umso deutlicher könne dieser Heimat erfahren. Der Soziologe Hartmut Rosa deutet Heimweh als Sehnsucht nach einer „antwortenden, entgegenkommenden Welt“. Heimat definiert er als „das Resonanzverhältnis zu einem anverwandelten Stück Welt – klassischerweise einem Ort, an dem die Dinge zu uns sprechen und uns etwas sagen: der Baum, der Bach, das Haus...“

Psychologisch gesprochen ist Heimat ein Stück Welt, das ich mir sozial-kognitiv einverleibt habe, und das zu einem Teil meines Selbst - der unbewussten Hemisphäre meines Ich - geworden ist.

Warum wir Heimat brauchen
In seinem zweiten Tagebuch (1966 - 1971) formulierte Max Frisch einige Fragebogen. Einer beschäftigt sich mit dem Thema Heimat. Der Schweizer Schriftsteller will zum Nachdenken anregen: „Wie viel Heimat brauchen Sie?“ und „Können Sie sich überhaupt ohne Heimat denken?“

Bindungen an Menschen, Orte und Überzeugungen sind in den letzten Jahren fragiler geworden. Das in der menschlichen Natur verankerte Bedürfnis nach Zugehörigkeit, kann nicht mehr so leicht wie in früheren Zeiten befriedigt werden. Das Zeitalter der Moderne ist nach Hartmut Rosa geprägt durch Beschleunigung. Dem Beschleunigungsprozess liege eine systematische und unaufhebbare Eskalationstendenz zugrunde: „Es ist nicht die Gier nach mehr, sondern die Angst vor dem Immer-weniger, die das Steigerungsspiel aufrechterhält.“

Das Lebensvorgang der Beheimatung ist damit grundlegend bedroht. Einige Psychologen betonen in diesem Zusammenhang v.a. die persönliche Verantwortung. Jeder und jede müsse sich halt immer wieder entscheiden, was zu einem Teil seines oder ihres Selbst werden soll und was nicht. Es hört sich für den Leser anstrengend an, wenn die Autorin Beate Mitzscherlich betont, die Arbeit an der Identität und an „der Immer-wieder-neu Beheimatung“ sei ein lebenslanger Prozess.

Viele Menschen fühlten sich heute „entwurzelt und heimatlos“. Diese Ansicht vertritt Ernst-Dieter Lantermannn (Interview mit hna.de am 07.03.2018). Der Sozialpsychologe unterstreicht, die „Sicherung und Wiedergewinnung von Heimat“ sei nicht nur eine individuelle, sondern auch eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe. Mit Blick auf Rechtspopulisten kritisiert er jene Idee, die das Recht auf Heimat nur für „anständige Volksdeutsche“ proklamiert. Eine solche Politik „würde uns alle heimatlos machen.“

Beheimatung suchen
Pater Josef Kentenich war überzeugt, Menschen könnten einander Heimat sein: „Wo wir Geborgenheit finden und geben, da ist Heimat.“ Zudem war er sich sicher, dass man in der Welt zuhause und im Himmel daheim sein könne. „Unsere Heimat aber ist der Himmel.“ (Phil 3, 20) Kentenich verstand religiöse Selbst-Erziehung als eine Querschnittsaufgabe, die sich über die gesamte Lebensspanne erstreckt. Die tägliche Suche nach Spuren, die Gott im persönlichen Leben - analog einer Schnitzeljagd - hinterlasse, sei unerlässlich. Dem Seelsorger ging es sowohl um die Erfüllung des katholischen Sonntagsgebots als auch um das Streben nach Heiligkeit im Alltag. Nicht nur der Gottesdienst im Gotteshaus sei wichtig, sondern vielfältige Gottesbegegnungen in Alltag, Arbeit und Routine.

Um ein religiös fundiertes Heimatgefühl zu erwerben, muss man viel üben. Von nichts kommt nichts; das gilt in vielen Bereichen des Lebens. Der Neurowissenschaftler und Psychiater Manfred Spitzer weist beispielsweise darauf hin, dass ein guter Musiker bis zum etwa 20. Lebensjahr „mindestens 10.000 Stunden mit seinem Instrument zugebracht hat.“ Eine ebenso einfache wie effektive Möglichkeit, religiöse Beheimatung einzuüben, besteht darin, sich am Abend zu fragen: Für welche drei Begegnungen und Erfahrungen kann ich Gott Danke sagen?

Pater Josef Kentenich hat aufgrund vielfältiger Gottes- und Menschen-Begegnungen im Konzentrationslager Dachau beten können: „So sind wir über alle Welt ins Göttliche hineingestellt, sind mehr in deinen Augen wert als ohne uns die ganze Erd`“

Klaus Glas


 

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