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Das Böse ist immer und überall

23.03.2022

Klaus Glas

Als Student habe ich mir ziemlich oft das Lied „Banküberfall“ mit anhören müssen. Denn ein naher Mitbewohner im Studentenwohnheim war Fan der österreichischen Pop-Band „Erste Allgemeine Verunsicherung (EAV)“. Der Refrain endet mit der Zeile „Das Böse ist immer und überall!“ Daran musste ich dieser Tage denken.

Denn die Folgen des russischen Überfalls auf die Ukraine sind auch hierzulande zu spüren. Ein Rentner klagte mir kürzlich sein Leid. Er müsse bald Heizöl bestellen. Momentan kosten 100 Liter Heizöl mehr als 180 (!) Euro. Vier Wochen zuvor gab es die gleiche Menge Öl noch für 94 Euro. Neben den Energiepreisen hat der Krieg in der Ukraine auch Auswirkungen auf die sozialen Beziehungen. Dieser Tage schrieb mir eine Freundin, die Schulleiterin an einem Gymnasium ist: „Mittlerweile erleben wir, dass Kinder mit russischem Migrationshintergrund angegriffen werden. Die Schülerinnen und Schüler haben in den letzten Jahren gelernt, dass sie Mitverantwortung tragen für den Klimawandel, für die Gesundheit ihrer Großeltern und für ihr Lernen zu Hause im Lockdown. Man könnte sagen, Kinder werden seit einiger Zeit „adultisiert“. Auch jetzt glauben viele Kinder, sie müssten „etwas tun“. Doch diese Bürde ist viel zu groß für sie. Der Krieg ist ein Erwachsenen-Problem, das nur durch Erwachsene in Verhandlungen gelöst werden kann.“


Der Argwohn gegenüber Personen, die aus Russland kommen, betrifft nicht nur die Kleinen. Derzeit sind auch Künstlerinnen und Künstler betroffen. Daniel Barenboim, der am 6. März in der Berliner Staatsoper ein Benefizkonzert für die Ukraine leitet, verurteilt den Krieg in der Ukraine mit scharfen Worten. Zugleich finde er es aber nicht gut, „dass man im Westen automatisch russischen Künstlern absagt“, sagte der bekannte Dirigent im Gespräch mit der „Berliner Morgenpost“. Zumeist hätten die Personen gar nichts mit Putin zu tun und auch keine gute Meinung von ihm.

 

Sozialwissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass Menschen in der westlichen Welt mit einer positiven und friedlichen Einstellung durchs Leben gehen. Sobald sie dem abgrundtief Bösen begegnen, müssen sie erklären, wie dieses in die Welt gelangen konnte. Was man als „das Böse“ bezeichnet, existiert vor allem im Auge der Opfer und mitfühlender Mitmenschen. Menschen, die Böses tun - Mörder und Machthaber - betrachten sich selbst nicht als böse. Im Gegenteil: sie sehen sich als Gut-Menschen, die sich darum bemühen, sich und ihr Land vor den Mächten des Bösen zu schützen. „Das Gesicht des Bösen ist also in einem gewissen Sinn kein reales Gesicht – es ist vielmehr ein falsches Bild, das dem Gegner übergestülpt oder auf ihn projiziert wird“, schreibt Roy Baumeister [in: „Vom Bösen. Warum es menschliche Grausamkeit gibt“].

Der amerikanische Sozialpsychologe spricht vom „Mythos des reinen Bösen“. Dieser beruht auf verschiedenen Annahmen. Eine lautet: das Böse strebt absichtsvoll danach, anderen um jeden Preis zu schaden. Menschen, die Böses tun, haben offenbar Spaß daran, andere leiden zu sehen. Die Opfer sind dagegen unschuldig und gut. Der Böse - der Mörder, der Machthaber - gehört nie zur Eigen-Gruppe; er gehört zur dunklen Seite der Macht. Der Mythos beinhaltet zudem die Vorstellung, dass das Böse schon von Beginn der Menschheitsgeschichte dagewesen sei. Typischerweise haben die bösen Menschen ihre Gefühle nicht im Griff. Selbstregulation? Fehlanzeige! Das Böse braucht immer das Gute als Antithese: das Gute will Frieden, Freiheit, Ordnung. Das Böse will Krieg, Unterdrückung und Chaos.

Für Roy Baumeister birgt der hier skizzierte „Mythos vom reinen Bösen“ erhebliche Risiken und Nebenwirkungen: „Im Allgemeinen verschleiert der Mythos vom reinen Bösen die wechselseitigen Ursachen von Gewalt und trägt damit vermutlich zu einer Zunahme der Gewalt bei.“


 

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