03.11.2021
Klaus Glas
Die Menschen in unserer Gesellschaft werden immer älter. Im Jahr 2020 waren mehr als 20.465 Personen mindestens 100 Jahre alt. Zwanzig Jahre zuvor lebten hierzulande gerade Mal 3.000 Menschen, die ein solch biblisches Alter erreicht hatten. Der Frauenanteil unter den Hundertjährigen liegt bei 80 Prozent. Als „alte Alte“ gelten in der Gerontologie Leute, die älter als 85 Jahre alt sind. Zu den „jungen Alten“ zählt die Gruppe der 60 bis 85-Jährigen.
Die Alterspsychologin Daniela Jopp ist überzeugt, dass man bei der Erforschung der Langlebigkeit nicht nur auf körperliche Faktoren achten dürfe, vielmehr müsste man stärker psychologische Faktoren berücksichtigen. Ein Beispiel, was damit gemeint sein kann, liegt schon mehr als 40 Jahre zurück.
Wir schreiben das Jahr 1979. In einem ehemaligen Kloster in New Hampshire sind für eine Woche einige 80-jährige Männer untergebracht. In den alten Gemäuern ist alles so eingerichtet, als ob die Zeit um 20 Jahre zurückgedreht worden wäre. In einem Raum summt ein Mann an einem Morgen zu der Moritat von Mackie Messer, während sich eine Vinylscheibe mit den Liedern der Dreigroschenoper auf dem Schallplattenspieler dreht. Später bereiten die Männer ihr Mittagessen zu. Dabei unterhalten sie sich belustigt über einen Artikel, den sie in einer Zeitschrift entdeckt hatten; da ist von einer schlanken Plastikpuppe die Rede, die der Spielzeug-Konzern Mattel kürzlich unter dem Namen „Barbie“ auf den Markt gebracht hat.
Die Senioren waren Teilnehmer der „Counterclockwise“-Studie, die von der US-amerikanischen Psychologin Ellen Langer geleitet wurde. Mit ihrem Team hatte sie zeitgleich eine Gruppe von Männern begleitet, die in ihrem alten Leben zu Hause geblieben waren. Vor und nach Beginn des Experiments wurden alle Teilnehmer ausgiebig medizinisch-psychologisch getestet. Das Ergebnis der Untersuchung war erstaunlich: die alten Herren, die sich auf Zeit-Reise begeben hatten, waren im Vergleich zu den Daheimgebliebenen mental und körperlich jünger geworden! Sie erreichten in gerade Mal einer Woche höhere Werte im Intelligenztest. Zudem änderte sich ihr körperlicher Zustand signifikant: ihre Sehkraft verbesserte sich, ebenso das Hörvermögen. Die Männer waren körperlich mobiler und der Griff ihrer Hände fester als eine Woche zuvor. Die Offenheit, sich auf das Experiment einzulassen und die gemeinsamen Aktivitäten hatten bewirkt, was keiner für möglich gehalten hätte: die Grenzen, die das Alter dem Erleben, Denken und Tun setzt, konnten ein bisschen geweitet werden.
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