Ein Held © K. Glas

Zivilcourage

23.09.2010


Zivilcourage

 

Samstagvormittag in der Warteschlange vor den Kassen eines Möbelhauses. Plötzlich ein Schrei, danach lautes Weinen. Ein paar Kassen weiter stand ein junges Ehepaar mit einem ca. 20 Monate alten Baby. „Hast wohl noch nicht genug?“, brüllt der Mann. Dann schlägt er dem Mädchen mitten ins Gesicht. – Keiner der Wartenden reagierte. Eine Frau flüstert ihrem kleinen Sohn zu, dass sie gleich wiederkäme und kämpft sich durch die Wartenden zu diesem Ehepaar. „Sie haben eine sehr niedliche Tochter. Und sie dürfen sie nicht schlagen.“ Der Vater, mit einer Bierfahne umgeben, macht einen schwankenden Schritt auf die Sprecherin zu: „Das geht Sie gar nichts an! Das ist mein Kind! Damit kann ich machen, was ich will!“ – „Doch, das geht mich etwas an. Das ist Ihr Kind, stimmt! Aber es wurde Ihnen von Gott anvertraut. Das Kind ist ein Geschenk Gottes. Daher sollten Sie gut mit ihm umgehen!“ Die Mutter, erst sprachlos, schreit dann schrill: „Was wollen Sie eigentlich? Verschwinden Sie!“ – „Ich möchte, dass dieses Kind die Liebe bekommt, die es verdient. Die Kleine ist müde. Wir alle sind müde. Bestimmt hat sie Durst. Meinen Sie nicht auch?“ Dann drehte sie sich um. Die schweigende Menge schaute teils skeptisch, teils spöttisch, die meisten ausdruckslos. Als sie ihren eigenen Einkaufswagen wieder erreicht, zittern ihr die Knie. „Mama, mach das bitte nie wieder!“ flüsterte ihr Sohn zu ihr. Der Schreck stand ihm ins Gesicht geschrieben.i

 

Die das erzählt hat, ist Christine Eichel, Journalistin beim Magazin CICERO. In ihrem Buch „Warum ich wieder bete. Das Ende des Zynismus“ erzählt sie von der persönlichen Wiederentdeckung des Glaubens nach Jahren des Zweifels. Eine praktische Konsequenz des lebendigen Glaubens ist die Einmischung. Auch wenn sie mit einer Portion Selbstironie das Kapitel überschreibt mit „Jean d’Arc im Westentaschenformat“, so bringt sie nicht nur das oben erwähnte Beispiel, sondern auch andere. Einmal hört sie beim Spaziergang hinter sich, wie ein Vater seinem ca. 15jährigen Sohn zuzischt: „Warte nur, bis wir zu Hause sind, dann kriegst du was mit dem Gürtel!“ Sie dreht sich um und spricht den Jungen, dem die Angst ins Gesicht geschrieben steht, an: „Du bist ein Kind Gottes, und niemand hat das Recht Dich zu schlagen. Noch bist Du diesem Mann ausgeliefert, aber bald lebst Du Dein eigenes Leben. Gott wird Dich erlösen.“ Der Vater ist perplex. „Was reden Sie denn da? Was Soll das? Ich habe nicht von Schlägen gesprochen.“ In dem Moment huschte ein Lächeln über das Gesicht des Jungen. „Ich wäre sehr glücklich, wenn ich mich getäuscht hätte. Sie sehen wirklich nicht so aus, als ob Sie es nötig hätten, Ihren Sohn zu schlagen.“ ii

 

Für Christine Eichel ist Zivilcourage eine praktische Konsequenz lebendigen Glaubens. Schutzbedürftige Menschen vor den Übergriffen von gefühllosen und brutalen Menschen zu schützen, das gehört für sie zur Nächstenliebe. Sie führt weiter aus: „Ich vollbringe keine Heldentaten. Aber ich bekenne mich, auch durch meine kleinen Interventionen. Die Kraft dazu schenkt mir das Gebet. Es öffnet mir den Himmel und gibt mir den Mut, wildfremde Leute anzusprechen, vor denen ich lieber Reißaus nehmen würde.“iii

 

© P. Elmar Busse

 

i Christine Eichel, Warum ich wieder bete. Das Ende des Zynismus. Güterlsoher Verlagshaus, Güterlsoh 2009, S. 154-157. Die wörtliche Rede ist im Originalton übernommen.

ii A.a.O. 160f. Die wörtliche Rede ist im Originalton übernommen.

iii A.a.O. 166.


 

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