Jugendlicher Dirtbiker in Winterberg © K. Glas

Was Müttern hilft, ihr "Abenteuerland Sohn" zu verstehen

24.09.2009


"Sie haben einen Jungen!" Mit diesem Ausruf startet im Geburtszimmer das Abenteuer Mutter-Sohn. Damit startet auch die Herausforderung, ein kleines Wesen zu verstehen, das so ganz anders angelegt ist, als "frau" selbst.


Jungen sind Entdecker

Andere Ausrufe werden folgen: "Er ist ein echter Junge!" In dieser Feststellung klingt Stolz mit, manchmal auch ein leichtes Befremden oder Unverständnis. Zum Beispiel: "Filius" hat gerade eine Puppe zerlegt. Kleine Jungs interessieren sich einfach für das Innenleben von Dingen: Warum funktioniert was wie? Ich habe heute noch das Stöhnen einer Freundin im Ohr, wenn sie ihren Sohn Manuel wieder einmal dabei überraschte, wie er gerade eine Uhr auseinander nahm, die Mikrowelle "reparierte", die Taschenlampe oder Kulis in alle Einzelteile zerlegte und diese anschließend nicht mehr zusammen bekam. In dieser Phase wird der Grundstein gelegt, dass Männer später auf kaputt gegangene Sache einen Blick werfen und wissen, wie sie sie reparieren können.

Männern - und das werden kleine Jungs später einmal - liegt das Abenteuer im Blut. Sie wollen Dinge selbst herausfinden und sie brauchen dringend Herausforderungen. Ich musste mühsam lernen, dass es weitaus besser ist, begleitend neben meinem Sohn zu sitzen und ihn zu ermutigen: "Ich bin mir sicher, dass du herausfindest, wie du dieses Spielzeugauto wieder zusammenschrauben kannst!", anstatt hilfreich - wie Frauen nun mal gerne sind - zu sagen: "Komm, wir nehmen diese Schraube und drehen sie hier ein ..." Das nimmt ihm den Spaß und die Herausforderung, es vermittelt ihm das Gefühl, es nicht selbst gewusst zu haben. Unter Umständen schlussfolgert er enttäuscht, nichts zu können, nicht gut genug zu sein.


Herausforderungen gesucht

Weitere Herausforderungen, die Jungs genießen: steile Klippen, unebene Wege, verschlungene Pfade. Teerstraßen oder gut ausgebaute, touristische Wege dagegen sind anödend. Was reizt, sind Schürfwunden, Regenwürmer, Zäune, die zum Klettern einladen, hohe Mauern, die "überbalanciert" werden müssen oder von denen man springen kann ... Sicher können Sie noch viele weitere Beispiele aufzählen. Weise Mütter lernen hier: einmal tief einatmen, dreimal tief durchatmen, beten und dann freudestrahlend - weil der Schutzengel wieder mal zur Stelle war - loben und sich mit dem mutigen Kind freuen.

In späteren Jahren übt der Computer einen starken Reiz aus, nicht zuletzt deshalb, weil man hier so viele Dinge herausfinden und sich gleichzeitig mit anderen messen kann, zum Beispiel bei all diesen Spielen, bei denen man sich Herausforderungen stellen muss, wo man Konkurrenten rauswerfen kann, wo Wettkampf angesagt ist. Deshalb fordert die weise Mutter in dieser Zeit die Einhaltung bestimmter Computerzeiten und schaut, dass sich dem Sohn auch noch Herausforderungen aus erster Hand bieten. "Und wenn es ist, dass ich ihn beim Alpenverein anmelde", wie Lena neulich meinte.


Wettkampf ist alles

Jungen sind von Natur aus kampfbetont. Das hängt auch mit dem 20-mal höheren Testosteronspiegel zusammen, den Männer im Gegensatz zu Frauen haben. Wenn Jungen Körperkontakt zueinander suchen, dann ringen und boxen sie miteinander. Sie fordern einander körperlich heraus. Das ist gut so. Wir müssen ihnen erlauben, diese Art der Angriffslust auszuüben und gleichzeitig lehren, wie sie sich die Angriffslust zunutze machen können, ohne die Schwelle zur Gewalttätigkeit zu überschreiten.

Verbunden mit dieser Lust an "Kampf" (ich glaube, es gibt kein Ding im Haus, das sich nicht in eine Pistole umwandeln lassen würde) ist das männliche Konkurrenzdenken. Jungen - und Männer - lieben es, aus allem einen Wettbewerb zu machen. Neulich fragte ich meinen großen Sohn beim Autofahren im Feierabendverkehr: "Warum entspannst du dich nicht und bleibst auf der rechten Spur, anstatt ständig die Spuren zu wechseln, nur um eine Minute schneller anzukommen?" Die Antwort meines Sohnes: "Mensch Mam, es macht doch viel mehr Spaß, zu schauen, ob ich mich nicht verrechnet habe, dass die mittlere Spur schneller läuft und ansonsten eben zu wechseln. Wettkampf ist alles!" "Wettbewerb, Wettkampf und Angriffslustscheinen einen wesentlichen Platz in der männlichen Seele einzunehmen, sicher hilfreich um Gottes Wunsch "Macht euch die Erde untertan" (1 Gen, 1,26) (im positiven Sinne) in die Tat umzusetzen.

Simone erzählt: "Ich habe mich immer aufgeregt, wenn wir Sonntags mit unseren drei Söhnen eine Radtour machten. Es ging nur um Schnelligkeit, Wendigkeit, wie viel Kilometer in welcher Zeitspanne und so weiter. Keiner interessierte sich für die Schönheit der Natur, die Wärme der Frühlingssonne. Jetzt kann ich das besser einordnen und mich vielleicht sogar darüber freuen. In Zukunft muss es sicher beides geben: die schnellen Touren mit Papa und die anderen, wo man auch auf Mama und die schwächeren und kleineren Geschwister Rücksicht nimmt."


Mama ist die erste Liebe

Über seine Mutter lernt das Kind viel über die Liebe, das Leben und das Gespräch. Eine zärtliche, respektvolle Mutter, die dem Sohn gegenüber keine Besitzansprüche erhebt oder seine Welt beherrschen möchte, öffnet vertrauensvoll Türen in dieses komplizierte Leben. Zu wem läuft der kleine Junge, wenn er sich verletzt hat? Wo geht er hin, wenn er bedrückt ist? Bei wem holt er sich abends vor dem Schlafengehen Rat, wenn er die schwierigen Dinge des Tages zur Sprache bringen möchte? Bei Mama - dieser Frau, deren Stimme, Lächeln und Geruch das besondere Gefühl von "daheim" vermitteln.

Ein Kind findet seine Mutter immer schön, es hat sich in ihre innere Schönheit verliebt, in die Kraft ihres Herzens. Das Äußere, nach dem andere Menschen beurteilen, ist da nicht das Entscheidende. Auch Jungs haben zärtliche Regungen, und wir Mütter können entscheidend dazu beitragen, sie zu schützen und zu pflegen. Wenn ein Junge Gelegenheit hat, sich um jüngere Kinder zu kümmern oder Tiere zu versorgen, entdeckt man, wie liebevoll er sein kann. Später kann dann die Verantwortung für eine Jungen- oder Jugendgruppe viel Liebe und Verantwortung, aber auch eigene Bestätigung in ihm freisetzen.


Lehren, wie man kommuniziert

Eine Fähigkeit, die Jungen erwerben müssen, ist, sich anderen Menschen zu öffnen, Gefühle wahrzunehmen und über Gefühle zu sprechen. Wenn wir als Mütter unseren Söhnen helfen, ihr Fühlen in Gedanken und Worte zu fassen, kommt das später in hohem Maß den Ehefrauen und Kindern zu Gute, ganz zu schweigen vom beruflichen Umfeld und dem Umgang mit Menschen insgesamt. Wichtig dabei ist: viel mit dem kleinen Sohn reden (den Großen nervt das nur), nach seinen Gefühlen fragen und diese Gefühle ernst nehmen. Wenn er sagt: "Ich habe Angst!" sind wir vielleicht schnell dabei zu trösten: "Du brauchst keine Angst haben!" Aber das verunsichert eher. Dann denkt er: Ich habe ein falsches Gefühl! Auf was kann ich mich eigentlich verlassen? Besser ist, nachzufragen, was ihm Angst macht, und bestätigen: "Ja, das kann ich gut nachfühlen. Lass uns mal überlegen, es muss doch einen Weg geben, wie wir mit dieser Angst umgehen können." Hier ist dann wieder der Entdecker gefragt.

 Hilfreich ist auch, seine Fragen zu beantworten, selbst Fragen an ihn zu stellen - in der Küche, beim Essen, im Auto -, seine Leidenschaften und Interessen zu teilen (meistens fragen wir da nicht viel nach, weil sie uns zu exotisch sind). Interesse zu zeigen auf dem Gebiet, das ihm wichtig ist, in dem er sich auskennt, öffnet sein Herz und seine Gefühlswelt, denn das teilt ihm mit: Ich bin interessant, ich bekomme Aufmerksamkeit, mein Wort und mein Tun sind gefragt. Ein Satz wie "Ich bin stolz auf dich!" ist wichtiger "Treibstoff" für einen Jungen (und natürlich auch für den Ehemann).


Hilfe für ein positives Selbstbild

Auch in der Pubertät, wenn sich der Sohn zurückzieht und kaum mehr als "uff", "mmmh", "neee" oder "grrr" äußert, bleibt die ermutigende Kommunikation seitens der Mutter wichtig. Er fühlt sich elend und schlecht in seiner zu klein gewordenen Haut, und die neue Haut ist ihm noch viel zu groß ... Da tut es ihm gut, wenn Mutter immer wieder bemerkt: "Du hast viel Humor!" Oder: "Danke, das hat mir heute so gut getan, dass du was erzählt hast!" Oder: "Du hast eine gute Art, mit anderen in deinem Freundeskreis umzugehen, was ich so mitbekomme ..."

Andreas, 18, sagte einmal: "Dass meine Mutter immer so tat, als wenn hinter meinem pickligen Gesicht und Wesen schon das Neue, Gute herauskommen würde, war echt krass für mich. Wenn die Eltern vorwiegend kritisieren in einer Zeit, in der man selbst am allerwenigsten an sich glaubt, wird alles nur noch uncooler!"


Lernen durch Konsequenzen

Regeln sind unabdingbar notwendige Wegweiser für Jungen. Jungs rangeln so lange, bis ihnen klar ist, wer welche Position hat. Je schneller sich das klärt, desto weniger Unruhe und Umtrieb. Für die Erziehung von Söhnen ist die Festlegung und das konsequente Einhalten von klaren Regeln geradezu überlebensnotwendig. Das hängt mit der männlichen Vorliebe für Strukturen zusammen, die Klarheit geben. Jungs murren und stöhnen zwar weit mehr über Regeln als Mädchen; deshalb meinen wir, ihnen manches erlassen zu müssen - und erkennen zu spät, dass wir uns und ihnen damit ins eigene Fleisch schneiden. Unruhe, Disharmonie, Nörgeln und Unzufriedenheit sind die Folge. Hier ist Muttis Stehvermögen gefragt, ihre Fähigkeit, sich kurzzeitig unbeliebt zu machen, um langfristig mehr zu gewinnen.


Im richtigen Moment zurücktreten

Um nicht dem "Böse-Schwiegermutter-Syndrom" zu verfallen oder den Sohn in ungesunde Abhängigkeiten zu bringen, brauchen Mütter die Fähigkeit, im richtigen Moment zurückzutreten und anderen den Vortritt zu lassen. Wenn sie während der ersten sechs Jahre des Kindes seine wichtigste Bezugsperson und Lehrmeisterin in Sachen Liebe, Beziehung und Sicherheit ist, wird im Alter zwischen 6 und 13 Jahren die zunehmende Orientierung am Vater wichtig. Denn in dieser Phase entwickelt sich das Gefühl des Jungen dafür, was es heißt, ein Mann zu sein, stolz zu sein auf Männlichkeit; er braucht es nun dringend, dass er mit seinem Vater Zeit verbringen kann. Im Alter zwischen 14 und 18 Jahren spielt das soziale Umfeld (Freunde, Clique) die wichtigste Rolle, danach die Freundin, die Ausbildung, der Beruf, die Kollegen und schließlich die Ehefrau, die eigene Familie. Wir dürfen nicht beleidigt in der Ecke schmollen, sondern sollten gern Beziehungsbereiche an andere abgeben - auch wenn "diese junge unerfahrene Schwiegertochter doch gar nicht wissen kann, was meinem Jungen gut tut ..." Das hilft dem Sohn, Mann zu werden, die Mutter weiterhin zu schätzen und doch seinen ureigenen Weg zu finden, Entdecker sein zu dürfen, nicht Bevormundeter oder Verhätschelter.


Maria - Mutter eines Sohnes

Ich bin sehr froh, dass Maria, die Gottesmutter, einen Sohn gehabt hat. Ich fühle mich bei ihr gut aufgehoben, wenn ich mich schwer tue, meine Söhne zu verstehen und den momentan richtigen Umgang mit ihnen zu finden. Sie ist eine liebevolle Ermutigerin fragengeplagter und verunsicherter Mütter, eine kompetente Ratgeberin, bei der man - und "frau" - sich festmachen kann.


CLAUDIA BREHM
 
Aus: BEGEGNUNG - Zeitschrift aus Schönstatt für Frauen,1 /2009
www.zeitschrift-begegnung.de

 

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